(Mynewsdesk) In dem kurz vor Jahreswechsel unterzeichneten Koalitionsvertrag widmet Schwarz-Rot immerhin 11 Seiten dem Bereich ?Gesundheit und Pflege?. Doch Papier ist bekanntlich geduldig. Was dürfen Sie von der Gesundheitspolitik der neuen Bundesregierung erwarten, welche Gefahren birgt die ein oder andere scheinbar harmlose Formulierung für die Ausübung Ihrer freiberuflichen Tätigkeit? Die PVS Baden-Württemberg hat im Abschnitt zur Ambulanten Gesundheitsversorgung für Sie genauer hingeschaut und einzelne Reformvorschläge aus Sicht der Niedergelassenen bewertet.1. Sicherstellung der flächendeckenden ambulanten VersorgungAngesichts des sich verschärfenden Ärztemangels besonders in ländlichen Gebieten sollen Unterschiede in der Bereitstellung der ambulanten Versorgung durch ein Maßnahmenpaket ausgeglichen werden: Anreize zur Niederlassung in unterversorgten Gebieten Ärzte sollen verstärkte Anreize zur Niederlassung in strukturschwachen Regionen erhalten. Die Rahmenbedingungen der Zulassung von Ärzten und Psychotherapeuten sollen flexibilisiert, bürokratische Hürden abgebaut werden. Außerdem wird die Förderung von Praxisnetzen erweitert und verbindlich gemacht. +? Eine Lockerung der formalen Hürden kann den Anreiz zum Einstieg in die ambulante Versorgung erhöhen.-? Worin konkret die Flexibilisierung der Rahmenbedingungen oder die Förderung von Praxisnetzen bestehen soll, wird nicht ausgeführt. Ermächtigung von Krankenhausärzten zur ambulanten VersorgungDie ?Ermächtigung? von Krankenhausärzten nach § 116 a SGB V als bedarfsabhängige Teilnahmeform an der ambulanten Versorgung im Falle festgestellter Versorgungslücken soll von einer Kann- in eine Muss-Vorschrift umgewandelt werden. Stellt der Zulassungsausschuss in einer Region Unterversorgung fest, muss er zukünftig Krankenhäuser nach entsprechendem Antrag zur ambulanten Versorgung zulassen. Allerdings haben die in der Region bereits niedergelassenen Ärzte ein Einspruchsrecht gegen diese Konkurrenz.+? Dem Patienten werden in ländlichen Gebieten längere Anfahrtswege zu einem niedergelassenen Arzt erspart, wenn er ein Krankenhaus in räumlicher Nähe zur ambulanten Behandlung aufsuchen kann. -? Gerade in strukturschwachen Gebieten fehlt den Krankenhäusern häufig schon Personal für die stationäre Versorgung. Die zusätzliche Übernahme ambulanter Leistungen stellt erhöhte Anforderungen an die Ressourcenplanung des Krankenhauses.Aufkauf von Vertragsarztsitzen durch KVenBei regionaler Überversorgung hat der Zulassungsausschuss der KV zukünftig die Pflicht, den Sitz von Einzelpraxen, die in überversorgten Regionen zur Übernahme ausgeschrieben sind, aufzukaufen. Die bereits seit Inkrafttreten des Versorgungsstrukturgesetzes im Januar 2012 bestehende Kann-Regelung zum Vorkaufsrecht durch die KV (§ 103 Abs. 3a SGB V) wird in eine Soll-Vorschrift umgewandelt.-? Durch den Aufkauf von Praxissitzen durch die KVen wird die Zahl der verfügbaren Zulassungen künstlich begrenzt und so eine Marktregulierung erzwungen. Für den entgangenen Verkaufserlös am freien Markt wird der Abgeber von der KV mit dem Verkehrswert entschädigt. Für den abgabewilligen Arzt bedeutet die neue Soll-Vorschrift eine potenzielle Bedrohung seines Vermögens, da der tatsächliche Wert einer Praxis an einem attraktiven Standort den Verkehrswert i.d.R. überschreitet und der Verkaufserlös meist ein wichtiges Standbein der Altersversorgung darstellt. Die Zahlung des Verkehrswertes für die Stilllegung der Praxis bedeutet für die KVen eine finanzielle Belastung, welche aus vorhandenen Mitteln kompensiert werden muss. 2. Reduzierung der Wartezeiten auf FacharzttermineZur Unterstützung der Vergabe zeitnaher Termine bei der Überweisung an einen Facharzt soll eine zentrale Terminservicestelle bei der KV eingerichtet werden, die in Kooperation mit den Krankenkassen betrieben werden kann. Sie vermittelt den Patienten innerhalb einer Woche einen Behandlungstermin, der innerhalb einer Frist von 4 Wochen liegen soll. Andernfalls wird dem Patienten ein Termin zur ambulanten Behandlung in einem Krankenhaus angeboten, ausgenommen sind medizinisch nicht begründete Fälle. Die im Krankenhaus entstehenden Behandlungskosten gehen zulasten des KV-Budgets. +? Grundsätzlich ist das Bemühen um die Verkürzung von Wartezeiten auf einen Facharzttermin aus Patientensicht positiv zu werten, wenn es sich um dringliche Fälle handelt, die keines Aufschubs bedürfen. -? Eine Zwangsregelung durch Deadlines für Terminvergabe und Wartezeiten über die Köpfe der Ärzte hinweg ist jedoch ein fragwürdiger Ansatz der Problemlösung. Durch die im Koalitionsvertrag vorgesehenen Maßnahmen wird zwar ein Symptom bekämpft, aber die Ursachen des Problems werden nicht angegangen: Die von Politikern bemängelte Knappheit von Facharztterminen kommt durch eine steigende Inanspruchnahme fachärztlicher Leistungen ebenso zustande wie durch den Mangel an niedergelassenen Fachärzten. Nicht zuletzt ist die Deckelung von Budgets in der vertragsärztlichen Versorgung Grund für die Verschiebung nicht dringlicher Behandlungsterminen in das nächste Quartal, da viele Fachärzte verständlicherweise nicht gewillt sind, Patienten nach Ausschöpfung des Budgets umsonst zu behandeln. Durch die Zwangsmaßnahme der zentralen Terminvergabe werden die Fachärzte in Zugzwang gebracht, Patienten trotz erreichter Auslastung zu behandeln. Wenn sie dies ablehnen, wird die Verantwortung für die Sicherstellung der fachärztlichen Versorgung in den stationären Bereich verlagert, wo jedoch aufgrund des Fachärztemangels vergleichbare Ressourcenprobleme herrschen. Damit besteht die Gefahr, dass die weniger schweren Behandlungsfälle an das Krankenhaus umverteilt werden, worauf die Kliniken nicht eingestellt sind. -? Die Pläne der Koalition bergen auch in finanzieller Hinsicht Zündstoff: Da die Behandlung der Patienten im Krankenhaus aus dem KV-Budget bestritten wird, gehen die benötigten finanziellen Mittel vom Honorar der Vertragsärzte und -psychotherapeuten ab. Die Krankenkassen werden durch den Gesetzgeber aktiv an der Umsetzung der Patientenversorgung beteiligt und erhalten ein Mitspracherecht bei der Ressourcenverteilung, ohne finanzielle Verantwortung übernehmen zu müssen.-? Auch der Schutz von Patientendaten wird nicht adäquat berücksichtigt: Bei einer Kooperation der Terminservicestelle mit den Krankenkassen werden zwangsläufig sensible Patientendaten an den Kostenträger übermittelt, was datenschutzrechtlich bedenklich ist.3. Stärkung der Rolle des Hausarztes und der hausarztzentrierten VersorgungDie hausärztliche Versorgung soll weiter gestärkt werden. Die von Fachärzten erbrachten hausärztlichen Leistungen sollen nicht den hausärztlichen Teil der Gesamtvergütung mindern und umgekehrt. Die gesetzliche Verpflichtung der Krankenkassen zu einem Angebot hausarztzentrierter Versorgung bleibt erhalten, neue Instrumente zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit und Qualitätssicherung werden eingeführt, bestehende Vergütungsbeschränkungen aufgehoben.+? Den Hausarzt als elementare Säule der Gesundheitsversorgung zu stärken und auch seine Vergütung zu verbessern ist grundsätzlich begrüßenswert. -? Die Frage, woher das zusätzliche Budget genommen werden soll, bleibt offen.4. Zulassung arztgruppengleicher MVZKünftig erhalten auch Angehörige gleicher Fachgruppen die Zulassung für ein MVZ, außerdem können auch Kommunen, nachrangig zu den ärztlichen Bewerbern, MVZ gründen. MVZ sollen bei Zulassung und Vergütung keine Nachteile erfahren.+? Die Möglichkeiten zur Gründung von MVZ werden erweitert und damit die Entwicklung moderner Versorgungsformen gefördert.?- Es bleibt die Frage der konkreten Ausgestaltung, welche Gründungen in der jeweiligen Region Sinn machen, ohne die bestehende ambulante Versorgung zu benachteiligen. 5. Ersatz der Wirtschaftlichkeitsprüfungen durch regionale VereinbarungenDie Wirtschaftlichkeitsprüfung soll bis Ende 2014 durch regionale Vereinbarungen zwischen Krankenkassen und KVen ersetzt werden, unberechtigte Regressforderungen bei Retaxationen von Heilmitteln (Regressverfahren der gesetzlichen Krankenkassen gegen Apotheker aufgrund von Fehlern bei der Abgabe von Arzneimitteln) sollen unterbunden werden.+? Die oft existenzielle Bedrohung der Ärzte und Apotheker durch Regressforderungen wird gemindert.6. Delegation und Substitution ärztlicher Leistungen Die Delegation ärztlicher Leistungen an qualifizierte nichtärztliche Gesundheitsberufe soll flächendeckend ermöglicht und leistungsgerecht vergütet werden. Neue Formen der Substitution ärztlicher Leistungen sollen modellhaft erprobt und je nach Ergebnis der Evaluation in die Regelversorgung aufgenommen werden.+? Die Übertragung der Ausführung ärztlicher Leistungen an qualifiziertes nichtärztliches Personal trägt zu einer zielgerichteten Verwendung der begrenzten Ressourcen des Arztes bei und unterstützt den reibungslosen Behandlungsablauf in der Praxis.-? Die Delegation ärztlicher Leistungen muss in jedem Einzelfall medizinisch vertretbar sein und darf nicht allein aus Kostengründen erfolgen. Aus diesem Grund haben bisher die Bundesärztekammer und die Landesärztekammern Richtlinien zur Delegationsfähigkeit ärztlicher Leistungen herausgegeben, die nicht unter dem Diktat von Einsparpotenzialen stehen. Eine Substitution, also der Ersatz ärztlicher Leistungen kann in letzter Konsequenz zur Entwertung des Arztberufes zugunsten nichtärztlicher Gesundheitsberufe führen.7. Förderung der WeiterbildungDie finanzielle Förderung der Weiterbildung der Allgemeinmedizin erfährt eine 50%ige Steigerung, die Weiterbildung aller Fachrichtungen im ambulanten Sektor soll gefördert werden. Auch im dem zu erarbeitenden ?Masterplan Medizinstudium 2020? soll u.a. die Stärkung der Allgemeinmedizin im Fokus stehen.+? Qualifizierte Weiterbildung ist mehr denn je Trumpf im Wettbewerb um eine moderne, patientengerechte Gesundheitsversorgung und wird besonders für den hausärztlichen Bereich vorangetrieben.-? Die Ausführungen im Koalitionsvertrag beinhalten keine praktischen Vorschläge zur Umsetzung. Hier ist die ärztliche Selbstverwaltung aufgerufen, die Förderung der Weiterbildung durch ein stimmiges Konzept zu unterstützen.8. Einrichtung eines InnovationsfondsDie Krankenkassen sollen über einen Innovationsfonds 300 Mio. Euro zur Förderung innovativer sektorübergreifender Versorgungsformen und für die Versorgungsforschung erhalten. Der G-BA legt die Vergabekriterien fest und führt das jährliche Ausschreibungsverfahren zur Mittelvergabe durch.+? Die Absicht einer Anschubfinanzierung für moderne Methoden in der Medizin geht in die richtige Richtung, da Innovationen bereits in der Planungs- und Realisierungsphase kostenintensiv sind.-? Es bleibt abzuwarten, welche Neuerungen nach positiver Evaluation in die Regelversorgung aufgenommen werden und wie sie, auch in der Übergangszeit bis zur Aufnahme in den Leistungskatalog, vergütet werden.Reaktionen aus der ÄrzteschaftDas Echo unter den Ärztevertretern auf den gesundheitspolitischen Teil des Koalitionsvertrages fiel zunächst verhalten aus. Die Standesvertretungen der Ärzte, KBV und Bundesärztekammer, finden im Vertrag durchaus positive Ansätze wie die Stärkung der Allgemeinmedizin und die Förderung der Weiterbildung. Bundesärztekammer-Präsident Montgomery sieht in der detailverliebten Ausarbeitung aber keinen ?großen Wurf?, der auf eine radikale Veränderung des Gesundheitssystems hindeutet. Montgomery sieht vor allem die umfassende Kompetenzausweitung des G-BA kritisch, da sie die Kontrollbürokratie verschärfen und die Gestaltungskraft der Selbstverwaltung schwächen könne. Das eingangs im Koalitionsvertrag formulierte Bekenntnis zur ärztlichen Freiberuflichkeit als Säule einer flächendeckenden Gesundheitsversorgung wird durch die in den nachfolgenden Vorschlägen geschaffenen Einwirkungsmöglichkeiten der Krankenkassen auf Therapieentscheidung und Patientenversorgung stark relativiert. Dementsprechend scharf kritisierte Montgomery das neue Recht des MDK, in Krankenhäusern unangemeldet Qualitätskontrollen durchzuführen.Für KBV-Vorstand Regina Feldmann bedeuten die geplanten Vergütungszuschläge für höhere Qualität, der Abschluss qualitätsbezogener Einzelverträge zwischen Krankenkassen und Krankenhäusern und die Berücksichtigung von Qualitätskriterien in der Krankenhausplanung eine Verschiebung des Schwerpunkts von der Ausgabenorientierung zur Qualität als Gradmesser der Versorgung. Eine ähnliche Einschätzung ließ die Deutsche Krankenhausgesellschaft über ihren Hauptgeschäftsführer Baum verlauten: Zwar stelle der Koalitionsvertrag höchste Anforderungen an Qualität und Personal, treffe aber über die Finanzierung der Ressourcen keine oder nur rudimentäre Aussagen. Die Verknüpfung von Qualität und Vergütung sei der falsche Weg.Quo vadis deutsches Gesundheitssystem?Interessant ist auch, was im Koalitionsvertrag nicht gesagt ist: Konkrete Aussagen zur Investitionsfinanzierung der Kliniken vermisst Ärztepräsident Montgomery ebenso wie Anstrengungen, die Säule der Privatversicherung durch eine Reform der GOÄ zu stärken. Weder zu dem seit Jahrzehnten überfälligen Inflationsausgleich noch zu einer grundsätzlichen Novellierung der Privatgebührenordnung werden Aussagen getroffen. Die dringend notwendige Reform der Finanzierung des Systems privater und gesetzlicher Krankenversicherung wird noch nicht einmal erwähnt. Zwar ist das Thema Bürgerversicherung und die Eingliederung der Privaten Krankenversicherung in die gesetzliche Grundversorgung damit wohl erst einmal vom Tisch, aber ebenso die Forderung nach einem verstärkten Wettbewerb innerhalb der PKV, z.B. durch die Möglichkeit der Mitnahme von Altersrückstellungen beim Wechsel der Versicherung.Ein Konzept, um das Gesundheitssystem auf das demographische Problem der Überalterung vorzubereiten und generationengerecht zu gestalten, ist nicht erkennbar, die Frage der Finanzierung steigender Gesundheitsaufgaben bleibt ungelöst. Die Frage, ob der Koalitionsvertrag eine vertane Chance der Zukunftssicherung des Gesundheitssystems oder ein pragmatischer Reformansatz ist, wird sich letztendlich erst nach der konkreten Ausgestaltung der skizzierten Pläne beantworten lassen. Denn: Papier ist schließlich geduldig.
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