Dr. Viola Andresen ist Oberärztin an
der medizinischen Klinik des Israelitischen Krankenhauses in Hamburg
und war Koordinatorin der kürzlich veröffentlichten Leitlinie zur
Diagnostik und Therapie der Verstopfung. Lesen Sie, warum die
Leitlinie erstellt wurde, wie diese aufgebaut ist und was sie
beinhaltet.
1 Sie haben die Erstellung der Leitlinie zur chronischen
Verstopfung vorangetrieben. Warum halten Sie diese Leitlinie für
wichtig?
Die chronische Verstopfung ist ein häufiges medizinisches Problem,
das für die Betroffenen zum Teil eine erhebliche Beeinträchtigung der
Lebensqualität bedeutet. Aber dennoch hat diese Erkrankung oft den
Ruf, eine reine Befindlichkeitsstörung zu sein, an der die Patienten
durch eine falsche Lebens- und Ernährungsweise auch noch selbst
Schuld seien. Zudem erhalten Patienten immer wieder die Rückmeldung,
eine Behandlung der Verstopfung mit Medikamenten sei auf Dauer
schädlich. Vor diesem Hintergrund erschien es sehr wichtig, mittels
einer medizinischen Leitlinie den aktuellen Kenntnisstand zur
Verstopfung zusammenzufassen, zumal sich in den letzten Jahren die
Erkenntnisse zu den Therapieoptionen deutlich verbessert haben.
2 Für wen ist eine solche Leitlinie gedacht?
Für alle, die mit dem Thema zu tun haben: die behandelnden Ärzte,
die Apotheker, bei denen die Patienten ebenfalls vielfach Beratung im
Rahmen der Selbstmedikation einholen, und nicht zuletzt für die
Patienten selber.
3 Ab wann spricht man von Verstopfung und wann handelt es sich um
eine chronische Erkrankung?
Die Verstopfung ist gekennzeichnet durch eine Reihe von Symptomen.
Dazu gehören eine mühsame und unbefriedigende Stuhlentleerung, wie
z.B. starkes Pressen, harter Stuhl, seltene Stuhlentleerung und das
Gefühl einer unvollständigen Entleerung. Zusätzlich leiden die
Patienten oft unter einem Völlegefühl und einem geblähten Bauch. Wenn
diese Beschwerden länger als 3 Monate andauern, spricht man von einer
chronischen Verstopfung.
4 Die Therapieempfehlungen in der Leitlinie sind nach einem
sogenannten Stufenschema aufgebaut. Wie kann man sich das vorstellen?
Da es mehrere Schweregrade der Verstopfung gibt, die auch
unterschiedlich auf die Therapieformen ansprechen, macht eine
Therapie nach einem Stufenschema Sinn. Demnach startet eine Therapie
mit Allgemeinmaßnahmen, den meisten als "Hausmittel" bekannt. Wenn
diese nicht ausreichen, sind die klassischen Abführmittel die nächste
Stufe. Auch hier gibt es Patienten, die damit noch nicht
beschwerdefrei sind. Dann kommen in den weiteren Stufen neuere
Medikamente zum Einsatz. Als letzte Stufe, die zum Glück nur noch für
sehr wenige Betroffene in Betracht kommt, stehen operative Verfahren
zur Verfügung.
5 Die Leitlinie empfiehlt auf Stufe 1 Allgemeinmaßnahmen:
ausreichend bewegen, Ballaststoffe essen und trinken. Wie sind Ihre
Erfahrungen hiermit aus der Praxis und was sagt die Leitlinie?
Diese Hausmittel sind überschätzt. Ballaststoffe greifen meist nur
bei leichten Formen der Obstipation. Sie sind als Basisversuch
sinnvoll, aber bei fehlender Effektivität sollte man rasch die
nächste Stufe einleiten. Und bei der Flüssigkeit spielt nur eine
Normalisierung bei bestehendem Flüssigkeitsmangel eine Rolle.
Unnötige überschüssige Liter Flüssigkeit beeinflussen eine
Obstipation nicht.
6 Reichen diese Maßnahmen nicht aus, um den Darm anzuregen,
empfiehlt die Leitlinie Medikamente. Hierbei gibt es eine Abstufung
in der Empfehlung zwischen unterschiedlichen Wirkstoffgruppen. Worauf
basiert diese?
Die Therapie-Empfehlungen basieren auf der veröffentlichten
wissenschaftlichen Datenlage und berücksichtigen Nachweise der
Wirksamkeit, aber natürlich auch der Verträglichkeit und Sicherheit.
Die Substanzen mit einem guten Verhältnis von Wirksamkeit und
Verträglichkeit/Sicherheit werden als erste Wahl empfohlen, die
Substanzen mit schlechterem Abschneiden nur als 2. Wahl.
7 Man hört immer wieder von Betroffenen, die ein schlechtes
Gewissen haben, Abführmittel einzunehmen. Was sind Ihre Erfahrungen
aus der Praxis hierzu und was sagt die Leitlinie?
Das ist in der Tat ein häufiges Phänomen. Aber für viele
Vorurteile gegenüber Abführmitteln gibt es eigentlich gar keine
wissenschaftlichen Belege. Sie entsprechen oft nur einer lang
überlieferten Vorstellung, für die es nie Beweise gab. Es kann
passieren, dass Patienten dem Arzt berichten, dass ihnen ein
Abführmittel hilft, z.B. Macrogol, Bisacodyl oder Natriumpicosulfat,
sie es aber nicht einnehmen, weil sie glauben, man dürfe diese Mittel
nicht dauerhaft anwenden. Diesen Patienten kann leicht geholfen
werden. Denn die Leitlinie klärt auf, dass nach dem heutigen
Kenntnisstand eine Dauertherapie mit diesen Substanzen (z. B. in
Dulcolax® oder Laxoberal®) nicht schädlich ist.
8 Was bedeutet es für Betroffene, wenn auf der Toilette Stillstand
herrscht?
Die Patienten können durch ihre verschiedenen Symptome zum Teil
sehr beeinträchtigt sein. Sie verbringen oft sehr viel Zeit auf der
Toilette, um mit viel Mühe und teils auch mit Schmerzen ihren meist
harten Stuhlgang zu entleeren. Hinzu kommen Schuldgefühle, weil sie
immer wieder die Rückmeldung erhalten, "sie seien durch ihre falsche
Lebens- und Ernährungsweise selbst schuld an dem Problem", oder auch
gelegentlich, "dass sie nur ein psychisches Problem hätten, weil sie
so auf ihren Stuhlgang fixiert seien." Bei manchen Betroffenen führt
das dazu, dass sie sich immer mehr sozial isolieren.
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