Es war Mitte November beim Freundschaftsspiel der Fußball-Nationalmannschaft gegen Italien. Mittelfeldstar Sami Khedira verdreht sich beim Zweikampf das Knie. Die Diagnose: Kreuz- und Innenbandriss. Seitdem kämpft sich Khedira durch Therapie und Reha, um vielleicht doch noch für die Weltmeisterschaft in Brasilien fit zu werden. Doch auch wenn er inzwischen wieder mit seinem Team Real Madrid trainiert – erfahrene Orthopäden sehen ein schnelles Comeback kritisch. Dr. Lutz Müller ist Knie-Experte in der Orthopädie Chirurgie Erlangen.
Herr Dr. Müller, Khedira hat ziemlich genau ein halbes Jahr Zeit zwischen dem Zeitpunkt der Verletzung uns dem ersten Spiel bei der WM. Kann man so schnell überhaupt wieder fit werden?
Khedira wird zur WM in Brasilien körperlich fit sein. Er geht aber ein hohes Risiko ein, dass das implantierte vordere Kreuzband wieder reißt. Der Zeitraum für eine optimale Festigkeit des Implantates beträgt 9-12 und nicht 6 Monate. Außerdem fehlt ihm die Spielpraxis, er sollte zuhause bleiben.
Wie wird ein Kreuzbandriss behandelt?
Ein gerissenes, vorderes Kreuzband kann entweder mit der Sehne des sogenannten Muskulus Semitendinosus oder mit einem Teil der Patellasehne ersetzt werden. Beide Sehnen werden zu Beginn der Operation am verletzten Knie entnommen. Das Implantat wird dann arthroskopisch implantiert.
Keine der beiden Methoden hat sich als eindeutig besser als die andere erwiesen. Das Patellasehnenimplant ist wahrscheinlich etwas stabiler, hat aber dafür den Nachteil dass die Patellasehne geschwächt ist und somit leichter reißen kann und das einige Patienten später Schmerzen beim Knien haben werden.
Muss immer operiert werden?
In keinem Land der Welt werden, gemessen an der Einwohnerzahl, so viele vordere Kreuzbänder implantiert wie in Deutschland. Die Frage nach der Notwendigkeit einer OP wird aus meiner Sicht von vielen Ärzten leider nicht besonders streng gestellt.
Bei einem Profifußballer muss das vordere Kreuzband immer ersetzt werden und auch für die allermeisten Kreis- oder Landesligaspieler wird das Knie zum Fußballspielen ohne ein vorderes Kreuzband nicht ausreichend stabil sein.
Für alle anderen Patienten (also alle Patienten ohne Kontaktsportarten) sollte die OP-Indikation äußerst zurückhaltend gestellt werden und zwar nur dann, wenn der Patient die Instabilität seines Kniegelenkes als störend empfindet und durch intensiven Muskelaufbau keine ausreichende Stabilität erreicht wird. Der Muskelaufbau ist anstrengend und muss vom Patienten selbstständig durchgeführt werden (Fahrradfahren, trainieren im Fitnessstudio, Walken und später Joggen auf ebener Strecke).
Auch viele Freizeitsportler erleiden Kreuzbandrisse. Wie unterscheidet sich denn die Behandlung zwischen Spitzensportlern und Otto-Normal-Patienten?
Wenn operiert wird, gibt es keine Unterschiede. Der Profisportler wird häufig - wie auch Khedira - bereits Tage (oder Stunden!) nach der Verletzung operiert. Aber wie schon gesagt, stellt sich erst einmal grundsätzlich die Frage, ob die OP notwendig ist. Und selbst bei einem Kreis- oder Landesligaspieler sollte abgewartet werden, bis das Kniegelenk vollständig abgeschwollen und die Beweglichkeit frei ist.
Kann man ohne ein vorderes Kreuzband Skifahren?
Bei gutem Muskelaufbau kann man problemlos ohne ein vorderes Kreuzband Skifahren. Man sollte lediglich auf die Buckelpiste verzichten um kein unnötiges Risiko einzugehen. Diese Vorsichtsmaßnahme würde ich aber auch jedem Patienten nach einer vorderen Kreuzbandplastik empfehlen.
Verhindert die Implantation eines vorderen Kreuzbandes die spätere Entstehung einer Arthrose (Verschleißerkrankung) des Kniegelenkes?
Leider verhindert sie das nicht - im Gegenteil: neuere Studien belegen, dass die Implantation eines vorderen Kreuzbandes die frühzeitige Entwicklung einer Arthose sogar beschleunigt. Dies ist ein weiteres Argument für den Nicht-Spitzensportler, viel Zeit und Energie in einen intensiven Muskelaufbau zu stecken und die Operation nur dann durchführen zu lassen wenn der Muskelaufbau nicht zu der gewünschten Stabilität geführt hat.