In Deutschland leben inzwischen erschreckend
viele Jungen im Schulalter mit der Diagnose ADHS. Die Barmer GEK
spricht gar von einer heranwachsenden "Generation ADHS" und ist nicht
nur wegen der Kosten beunruhigt. Außer Medikamenten erhalten Kinder
mit ADHS im Rahmen eines so genannten multimodalen
Behandlungskonzeptes zusätzlich Ergotherapie. Dass nicht jedes Kind,
das lebhaft ist oder im Unterricht stört, zwangsläufig auch ADHS hat,
ist eine Auffassung, die nicht nur der DVE (Deutscher Verband der
Ergotherapeuten e.V.) vertritt. Viele teilen die Besorgnis in
Hinblick auf die bedenklich hohe Anzahl an ADHS-Diagnosen in den
zurückliegenden Jahren: Krankenversicherer, Therapeuten und vor allem
Eltern. Der Berufsverband der Ergotherapeuten weist auch deshalb
darauf hin, dass bereits im Kindergartenalter unruhige Kinder
rechtzeitig vor der Einschulung in der Ergotherapie lernen können,
länger still zu sitzen und aufmerksam zu bleiben.
Die Sorge vieler Eltern ist verständlich: Wird in Deutschland
inzwischen zu oft ADHS diagnostiziert und in der Folge überbehandelt?
Wenn Krankenversicherer und nebenbei bemerkt sogar die
Bundespsychotherapeutenkammer ob der beträchtlichen Menge an
Medikamenten, mit denen ADHS behandelt wird, warnen, so stimmt das
nachdenklich. Ohne Zweifel: ADHS zu behandeln ist ein klares Muss.
Dennoch stellen sich Fragen: Wie kommt es im Einzelfall zu der
Diagnose ADHS und welche sind die optimalen Behandlungsmethoden für
das jeweilige Kind? In vielen Regionen gibt es bereits einen
überwiegend guten Schulterschluss zwischen Kinderärzten, Fachärzten
und Ergotherapeuten. Dieses Vorgehen, sehr genau zu schauen,
entspricht den Grundsätzen der Ergotherapie. Und eben dieses
Qualitätsmerkmal findet sich auch bei Kinderärzten, die Kinder wegen
Verhaltensauffälligkeiten nicht nur zum Kinder- und Jugendpsychologen
überweisen, sondern zur sicheren Diagnosestellung weitere, fachliche
Einschätzungen heranziehen, beispielsweise durch Ergotherapeuten.
Denn Ergotherapeuten sind Profis für ein breites Spektrum von
Verhaltensauffälligkeiten bis hin zu ADHS bei Kindern. Und sie
bestätigen: Nicht bei jedem Verdachtsfall kommt es zu einer Therapie;
manchmal reicht sogar eine Beratung der Eltern, wie sie mit den
"Eigenheiten" ihrer Kinder besser umgehen können.
Vorboten von ADHS früh ergotherapeutisch behandeln
Fallen Kinder zuhause oder im Kindergarten durch ihre
Sprunghaftigkeit auf, haben sie ständig neue Ideen und können sich
nicht länger mit einem Spiel oder anderen Kindern auseinander setzen,
kann es sich um eine Impulskontrollstörung handeln. Oft sind Kinder
mit einer Impulskontrollstörung unfallgefährdet, was zu einer
Daueranspannung bei den Eltern führt. Und: Eine Impulskontrollstörung
ist eine der Symptomatiken, aus denen sich ADHS zusammensetzt. Eine
weitere Komponente von ADHS ist die Aufmerksamkeitsstörung. Eltern
bemerken sie beispielsweise daran, dass ihr Kind sich nicht an Regeln
hält, nur an Teilaspekte oder nur für kurze Zeit. Ganz nach dem
Motto: Zum einen Ohr rein, zum anderen wieder raus. Diese und andere
Verhaltensdefizite lassen sich aber sehr gut ergotherapeutisch
behandeln, und das, obwohl zum Beispiel eine Impulskontrollstörung
schon bei zwei- bis dreijährigen Kindern zu erkennen ist.
Ergotherapie als Vorbereitung für die Schule
Eine zweite Welle von Verhaltensauffälligkeiten zeigen
Kindergarten- bzw. Vorschulkinder ab etwa fünf Jahren. Oft sind es
die Jungs, die nicht so gerne am Tisch sitzen bleiben, sich vor dem
Basteln und Malen drücken wollen. Schafft es ein Kind allerdings gar
nicht, länger als einige Minuten einer solchen Aktivität nachzugehen,
kann eine ergotherapeutische Behandlung sinnvoll sein, um die
grafomotorischen Fähigkeiten rechtzeitig vor dem Schreibenlernen
auszuprägen. Damit das gelingt, arbeiten Ergotherapeuten mit allen
Beteiligten eng zusammen. Gemeinsam mit den Eltern und Erziehern
finden sie heraus, was das Kind am meisten interessiert, worauf es in
der Regel etwas mehr Energie und Aufmerksamkeit richtet. Mit diesem
für die Ergotherapie typischen Vorgehen setzen sie an den Stärken des
Kindes an, trainieren sie spielerisch, prägen sie weiter aus. Und
kommen damit Schritt für Schritt den Wünschen und Zielen des Kindes
und seiner Familie näher. Ist der behandelnde Ergotherapeut mit der
Zeitdauer und Konzentrationsfähigkeit, die das Kind nach den ersten
Einheiten in der Ergotherapie alleine in seinem Interessensgebiet
zubringen kann, zufrieden, folgt bei Bedarf die nächste
Therapiephase. Um nun auch die Kooperationsfähigkeit zu entwickeln
und die Umsetzung des Erlernten in den Kindergartenalltag zu
verbessern, greifen Ergotherapeuten gerne auf eine Gruppentherapie
zurück, bringen also mehrere Kinder zusammen. Mit Unterstützung der
ergotherapeutisch instruierten Eltern trainieren die Kinder als
nächstes ihr in der Gruppe erworbenes Können zuhause und im
Zusammenspiel mit den Geschwisterkindern. Sobald das therapierte Kind
auch dabei Erfolgserlebnisse hat, weil es jetzt ein Spiel zu Ende
spielen kann oder mit anderen beim gemeinsamen Spiel Freude erlebt,
geht es im letzten Schritt der Ergotherapie um die ungeliebten
Aktivitäten und das Stillsitzen.
Ergotherapie ermöglicht Brückenschlag auf andere Bereiche
Erfahrene Ergotherapeuten fahren ab dann oft zweigleisig. Holen
erst mal das ungeliebte Malen vom Tisch weg, verlagern es auf große
Platten, auf den Boden oder auf die Straße - was eben zu den
Neigungen des Kindes am besten passt. Beliebtere Aktivitäten lassen
sie parallel am Tisch ausführen und bauen so die Zeitspanne
allmählich immer weiter aus, die das Kind ruhig und in eine Tätigkeit
oder ein Spiel vertieft, am Tisch bleibt. Damit erlangen Kinder nicht
nur die nötigen Fähigkeiten, einige Grundanforderungen für die
bevorstehende Einschulung zu erfüllen. Gleichzeitig ist dies auch der
Weg, dank einer therapierten Verhaltensstörung Diagnosen wie zum
Beispiel ADHS zu vermeiden.
Informationsmaterial zu Verhaltensstörungen, ADHS und weiteren
Themen der Ergotherapie erhalten Interessierte bei den
Ergotherapeuten vor Ort; diese sind über die Therapeutensuche im
Navigationspunkt "Service" des DVE (Deutscher Verband der
Ergotherapeuten e.V.) auf www.dve.info zu finden.
Pressekontakt:
Angelika Reinecke, Referentin für Öffentlichkeitsarbeit des DVE e.V.
Telefon: 033203 - 80026, E-Mail: a.reinecke@dve.info