fit und munter - Große Last für kleine Patienten: Immer mehr Kinder leiden unter Rückenschmerzen

fit und munter

Große Last für kleine Patienten: Immer mehr Kinder leiden unter Rückenschmerzen


Dass Rückengesundheit schon bei Kindern und
Jugendlichen ein wichtiges Thema ist, lässt sich beim Blick in die
Wartezimmer von Orthopäden erahnen: Hier findet man unter den
Patienten gehäuft auch immer mehr junge Menschen, was daran liegt,
dass viele Heranwachsende schon unter Rückenschmerzen leiden. Wir
haben mit Dr. Dieter Breithecker, Geschäftsführer der
Bundesarbeitsgemeinschaft für Haltungs- und Bewegungsförderung (BAG)
e. V., über Hintergründe und Präventionsmöglichkeiten gesprochen.

Herr Dr. Breithecker, in den Köpfen vieler Menschen gelten
Rückenschmerzen als typisches Altersleiden. Ist diese Annahme
veraltet?

Natürlich, denn schon seit Jahren verlagern sich immer mehr
sogenannte Alterskrankheiten auch auf jüngere Generationen. Hierzu
zählen beispielsweise neben Diabetes-Typ 2 auch Rückenleiden.
Zwischen 23 und 48 Prozent der Grundschüler leiden unter
Rückenschmerzen. Im weiteren Schulalter steigen die Angaben
signifikant an. Bis zu 83 Prozent der Schüler haben mit diversen
Schmerzsymptomen wie Rückenschmerzen, Migräne und Bauchschmerzen zu
kämpfen. Insbesondere wiederkehrende und chronische Schmerzen sind
ein häufiger Grund von Schulfehlzeiten. Rückenschmerzen
beeinträchtigen somit den Bildungs- und Erziehungsauftrag der Schule.
Sie stehen im Zusammenhang mit einer verringerten Lernmotivation und
reduziertem Lernerfolg bei betroffenen Kindern und Jugendlichen.

Aber warum leiden schon so viele Kinder an Rückenschmerzen?

Das hat multifaktorielle Gründe. Die gegenwärtigen
Forschungsergebnisse zeigen, dass bei Kindern und Jugendlichen ein
komplexes Zusammenspiel von körperlichen, psychologischen und
sozialen Faktoren das Rückenschmerzgeschehen bestimmt. Man muss auch
immer wieder hervorheben, dass Kinder Heranwachsende sind. Das heißt,
ihr Körper durchläuft wichtige und vor allem kritische biologische
Reifungsprozesse. Dadurch weisen sie eine geringere
Belastungsverträglichkeit auf, was aber nicht heißt, dass sie
grundsätzlich geschont werden müssen. Aber: Einseitige Belastungen,
Fehlbelastungen wie stundenlanges Sitzen auf schlechten und schlecht
angepassten Schulmöbeln, Haltungsschwächen infolge einer mangelhaft
ausgebildeten Muskulatur bzw. mangelhaften Körperwahrnehmung und
zunehmende psychische Belastungen sind schlechte Garanten für eine
gesunde Entwicklung des Rückens.

Inwiefern spielt die moderne Entwicklung der Gesellschaft eine
Rolle?

Der Mensch steht immer in einem Wechselbezug zu seiner Umwelt.
Diese verlangt uns heute im Gegensatz zu früher immer weniger
körperliche Aktivität ab. Die Sekundärmobilität wie z. B. durch Autos
und Rolltreppen löst die Primärmobilität, also das Fahrradfahren oder
zu Fuß gehen, immer mehr ab. Kinder gehen heutzutage selten noch zu
Fuß zur Schule. Ihre Umwelt- und Lebenserfahrungen sammeln sie heute
mehr und mehr sitzend aus zweiter Hand (über Fernseher, Computer
etc.). Klassische und durch die Vielfalt einer natürlichen Umwelt
ermöglichte Bewegungsherausforderungen wie beispielsweise auf Bäume
klettern, bleiben Kindern weitestgehend verschlossen. An diese Stelle
treten immer mehr durchorganisierte und eingeschränkte
Bewegungsangebote in Vereinen, auf Schulhöfen und Spielplätzen. Diese
erreichen Kinder nicht in ihrem spielerischen Erkundungsbedürfnis,
sind meistens übergesichert und damit wenig herausfordernd und
langweilig. Die Folge: Kinder verbringen täglich im Schnitt neun
Stunden sitzend und bewegen sich nur rund eine Stunde. Damit fehlen
ihnen wichtige Impulse für die körperliche, geistige und psychische
Entwicklung.

Viel Bewegung im Kindesalter ist also wichtig für einen gesunden
Rücken. Aber muss es denn immer gleich Sport sein?

Viel Bewegung - und das bedeutet ca. drei Stunden täglich - ist
elementar für die Entwicklung von Körper, Geist und Psyche und damit
auch für den Rücken. Die Betonung liegt hier zuerst einmal auf
Bewegung nicht auf Sport. Je jünger Kinder sind, umso mehr steht die
spielerische und selbstorganisierte Bewegung im Vordergrund. Das
heißt, dass insbesondere im Vor- und Grundschulalter die
Vielseitigkeit vor der Spezialisierung stehen sollte. Gerade komplexe
körperliche Aktivitäten wie Klettern, Balancieren, Hangeln, Springen,
Rennen, Fahrrad fahren und mit Bällen spielen, geben wichtige
Entwicklungsimpulse für alle biologischen Funktionen. Sportliches
Interesse und Handeln kann mit zunehmendem Grundschulalter parallel
dazu Berücksichtigung finden. Und da die Kinder in ihrer Freizeit
heute mehr Zeit vor Fernseher, Computer und Co. sitzend verbringen,
sollte dies möglichst auf kindgerechtem Mobiliar erfolgen.

Was bedeutet denn "kindgerechtes Mobiliar"? Und warum ist
besonders das lange Sitzen in der Schule und zu Hause so schädlich?

Langes Sitzen ist für alle Generationen eine sehr unnatürliche
Verhaltensweise. Das gilt insbesondere für Kinder, da gerade sie im
Zuge ihrer Reifungsprozesse viele Entwicklungsreize in Form von
vielseitiger Bewegung benötigen. Und diese Bewegungsreize fordert ein
gesundes Kind auch permanent ein. Ein Grund, warum Kinder selten
still sitzen können und auf dem Stuhl beginnen unruhig hin- und her
zu rutschen oder zu kippeln. Das ist eine natürliche und gesunde
"Strategie" des heranwachsenden Organismus, sich gegen diese
ungesunden Bedingungen zur Wehr zu setzen. Langes Sitzen und vor
allem Stillsitzen bedeutet dagegen "Stress" für Rücken, Geist und
Seele. Kinder im Grundschulalter können maximal fünf Minuten still
sitzen. Sie benötigen einen Stuhl, der ihre gesunde Bewegungsunruhe
aufnimmt und nicht blockiert und sie sollten häufiger an einem
Stehpult arbeiten.

Welche Anforderungen stellen Sie an einen idealen ergonomischen
Arbeitsplatz für Kinder? Was zeichnet Ihrer Meinung nach gute Tische
und Stühle aus?

Wenn Kinder über einen längeren Zeitraum sitzen müssen, dann
sollten sie als allererstes einen Stuhl und einen Tisch haben, der
sich ihren konstanten, wachstumsbedingten
Körperproportionsveränderungen stufenlos anpassen lässt. Darüber
hinaus brauchen sie einen Stuhl mit einer dreidimensional beweglichen
Sitzfläche. Diese nimmt die gesunde Bewegungsunruhe auf, anstatt sie
zu blockieren. Dadurch wird auch während des Sitzens eine natürliche
und intuitive Selbstorganisation von Sitzvariationen ermöglicht, die
wir heute als dynamisches Sitzen bezeichnen. Darüber hinaus sollte
häufig das Sitzen unterbrochen werden und z. B. an einem Stehpult
weiter gelernt werden. Die Aktion Gesunder Rücken zeichnet besonders
rückenfreundliche (Schreibtisch-) Stühle und Tische mit dem
AGR-Gütesiegel aus. Zertifizierte Produkte gibt es beispielsweise von
den Firmen aeris, moll, MOIZI und VS-Möbel. Weitere Informationen
gibt es auf der AGR-Homepage unter www.agr-ev.de/produkte/guetesiegel
in der Kategorie "Aktion Gesunder Kinderrücken".

Abschließende Frage: Was tun Sie selbst für einen gesunden Rücken?

Grundsätzlich keine spezielle Rückengymnastik. Ich versuche so
viel Bewegung wie möglich in meinen Alltag zu integrieren. Mein
Bürostuhl und meine Freizeitstühle haben eine dreidimensional
bewegliche Sitzfläche, mein Arbeitstisch kann ich zum Stehpult
verändern, was ich auch regelmäßig nutze. Das Telefonieren erledige
ich im Stehen oder laufe währenddessen hin und her. Ich ziehe
grundsätzlich die Treppe Aufzügen und Rolltreppen vor. Darüber hinaus
gilt für mich das bekannte Lebensmotto "Der Weg ist das Ziel!" und
ich versuche so viele Schritte wie möglich in meinen Alltag zu
integrieren, ohne mich an der Maxime von 10.000 Schritten pro Tag zu
orientieren. Ab und zu führt mich dann auch mal der Weg ins
Fitnessstudio, aber nur, wenn es draußen kalt und regnerisch ist.

Weiterführende Informationen zu rückengerechten Kinderprodukten
mit dem AGR-Gütesiegel und einem Verzeichnis geschulter und
zertifizierter Fachgeschäfte sind auf Anforderung als Infopaket mit
dem "Ergonomie-Ratgeber" und dem Ratgeber "AGR-MAGAZIN" zum Preis von
12,95 Euro bei der AGR (Tel. 04284/926 99 90 oder
www.agr-ev.de/patientenmedien) erhältlich.

Kindern den Rücken stärken: Aktion Gesunder Kinderrücken

Die Initiative "Aktion Gesunder Kinderrücken" der AGR und BAG
fördert die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen und erweitert das
Bewusstsein von Eltern, Lehrern und Kindern für ein rückengerechtes
Umfeld sowie ausreichend Bewegung. Neben den bereits erwähnten
Sitzmöbeln und Schreibtischen werden auch andere rückengerechte
Kinderprodukte ausgezeichnet wie z.B. Autokindersitze. Bei langen
Autofahrten schmerzt nicht nur bei Erwachsenen irgendwann das Kreuz,
auch der Kinderrücken leidet. Viele der im Handel erhältlichen Sitze
sind eher unkomfortabel und unergonomisch. Deshalb gilt: Kindersitze
müssen nicht nur alle Sicherheitsbedingungen erfüllen, sondern auch
den ergonomischen Anforderungen des Nachwuchses gerecht werden.
AGR-zertifizierte Kindersitze gibt es bei der Firma kiddy
(www.kiddy.de). Auch ein falsches Schuhwerk kann bei Heranwachsenden
schnell zu Rückenbeschwerden führen. Denn ein Großteil der Kinder und
Jugendlichen leidet unter Fußschwächen und teilweise sogar unter
beginnenden Fußschäden, die schließlich zu Haltungsschäden und
Rückenschmerzen führen. Produkte mit dem AGR Gütesiegel aus diesem
Bereich sind der chung shi® DUX Trainer Kids sowie der chung shi®
DUXFree Kids (www.chung-shi.com).



Pressekontakt:
Aktion Gesunder Rücken e. V.
Detlef Detjen
Detlef.Detjen@agr-ev.de
04284 - 926 99 90
Login
Einstellungen

Druckbare Version

Artikel Bewertung
Ergebnis: 0
Stimmen: 0

Bitte nehmen Sie sich die Zeit und bewerten diesen Artikel
Excellent
Sehr gut
Gut
Okay
Schlecht

Verwandte Links
Linkempfehlung

Diesen Artikel weiter empfehlen: