Die zunehmende Verbreitung der Adipositas in Europa war auf dem diesjährigen Europäischen Adipositaskongress wieder eines der zentralen Themen. Die Experten zogen dabei ein deprimierendes Resümee: trotz der im Jahr 2006 von allen europäischen Gesundheitsministern verabschiedeten „Istanbul Charta zur Bekämpfung der Adipositas in Europa“ ist von Seiten der Gesundheitspolitik wenig passiert. Die Experten waren sich einig, dass es wesentlich größerer gesamtgesellschaftlicher Anstrengungen bedarf, um dieser vermeidbaren Epidemie Einhalt zu gebieten und die zu erwartenden Kosten für die schwerwiegenden Folgen der Adipositas, wie Typ 2 Diabetes mellitus, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und verschiedene Krebsformen, zu begrenzen. Auch Daten der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zeigen, dass sich die Adipositas-Krise in den letzten Jahren europaweit verschärft hat.
Stellt das BMBF das Kompetenznetz Adipositas ein?
Vor diesem Hintergrund ist es umso unverständlicher, dass das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) die Fördergelder für das seit 2008 erfolgreich laufende bundesweite Kompetenznetz Adipositas bereits nach der Hälfte der geplanten Laufzeit einstellen will. Nach Änderung der Forschungspolitik unter der letzten Bundesregierung wird das Forschungsnetzwerk offensichtlich nicht länger als zukunftsträchtig angesehen. Lediglich eine bereits laufende klinische Studie wird für weitere drei Jahre gefördert. Trotz vergleichsweise bescheidener Fördersummen (2 bis 3 Mio. Euro pro Jahr) hat das Kompetenznetz Adipositas eine bemerkenswerte bundesweite Vernetzung der führenden Einrichtungen aus unterschiedlichen Disziplinen erreicht. Darüber hinaus hat es vor allem in der angewandten Adipositasforschung eine zentrale Koordinationsfunktion übernommen. Gerade die Adipositasprävention in den verschiedenen Lebensphasen wurde im Kompetenznetz Adipositas intensiv behandelt. Im Koalitionsvertrag der Bundesregierung soll unter der Überschrift „Gesundheit im Lebensverlauf“ die Prävention und Gesunderhaltung in der Bevölkerung gestärkt werden. Wer das Thema Prävention von Wohlstandskrankheiten ernst nimmt, der kommt an der Adipositasforschung nicht vorbei. So komplex das Thema und so schwierig ein gesamtgesellschaftlicher Ansatz erscheinen mögen, das Kompetenznetz Adipositas hat dafür eine hervorragende Infrastruktur und Plattform geschaffen, an Bord viele Stakeholder, die dieses zentrale Gesundheitsproblem gemeinsam auf nationaler und internationaler Ebene angehen.
Mehr angewandte Adipositasforschung ist unverzichtbar
Die geplante Einstellung des Kompetenznetzes Adipositas bedeutet einen gewaltigen Rückschlag für die deutsche Adipositasforschung. Nicht zuletzt steht sie auch im krassen Gegensatz zu Entwicklungen in anderen Ländern, in denen die Schrittmacherfunktion der Adipositas für viele Zivilisationserkrankungen erkannt wurde und große Forschungsaktivitäten zur Prävention und Therapie der Adipositas gestartet werden. Dazu gehören auch viele wissenschaftlich begleitete Aktivitäten auf Bevölkerungsebene. Der Vorstand des Kompetenznetzes Adipositas fordert die Bundesregierung daher auf, die Forschung an diesem wichtigen Thema im Sinne des eben beschlossenen Koalitionsvertrags sowie der vielen Millionen Betroffenen in Deutschland weiter zu unterstützen und zu stärken, um dieses gesundheitspolitische Problem allerersten Ranges endlich ernsthaft angehen zu können.