Die Initiative des Münchner Amtsgerichts gegen
Missbrauch von Psychopharmaka in der Altenpflege wird von der
Bundesinteressenvertretung der Nutzerinnen und Nutzer von Wohn- und
Betreuungsangeboten im Alter (BIVA) begrüßt und als beispielhaft
bezeichnet. Dr. Manfred Stegger, Vorstandsvorsitzender der BIVA,
fordert eine Ausdehnung des "Münchner Wegs" auf ganz Deutschland:
"Pflegebedürftige und deren Angehörige haben überall ein Recht auf
Schutz vor dieser Art von Missachtung ihrer Grundrechte auf Würde und
körperliche Integrität."
Über 50 Prozent der Bewohner von Alten- und Pflegeheimen in
München erhalten Psychopharmaka mit beruhigender und sedierender
Wirkung. Vor allem zur Nachtruhe, wenn sich wenige Pflegekräfte um
viele Bewohner kümmern müssen, werden Medikamente zur Ruhigstellung
verabreicht, berichtet die Presse unter Bezugnahme auf die
Heimaufsicht.
"Die Situation in München dürfte sich in ähnlicher Form überall in
Deutschland wiederholen", befürchtet Stegger. Rechnet man die
Ergebnisse der Münchner Studie hoch, kann man davon ausgehen, dass
rund 400.000 alte Menschen in deutschen Senioreneinrichtungen
regelmäßig Psychopharmaka erhalten - viele von ihnen nicht aus
therapeutischen Gründen, sondern einfach zur Ruhigstellung.
"Solche Fälle sind gleichzusetzen mit mechanischen
Freiheitseinschränkenden Maßnahmen (FeM) und müssen ebenfalls
gerichtlich genehmigt werden", erklärt Stegger. Möglicherweise ist
vielen Beteiligten dieser Umstand gar nicht bekannt. Es überrasche
ihn daher nicht, dass laut Münchner Amtsgericht bei der
medikamentösen Sedierung viel zu selten ein gerichtlicher Antrag
vorliege.
Schließlich wisse man aus dem Pflegebericht des Medizinischen
Dienstes (MDS), dass bei 11,2 Prozent der Bewohner, die in
Senioreneinrichtungen durch Gurte oder Gitter fixiert werden, keine
Einwilligung oder richterliche Genehmigung vorliegt (3. Bericht des
MDS nach § 114 Abs.6 SGB XI). Deutlich höher dürfte die Zahl bei
Ruhigstellungen durch Medikamente liegen, vermutet Stegger.
Schließlich sei der Einsatz von Psychopharmaka für Außenstehende
unsichtbar und die Grenze zur therapeutischen Anwendung fließend.
Die BIVA fordert in der Altenpflege einen generellen Verzicht auf
FeM - sowohl mechanische als auch medikamentöse. "Das entspricht dem
aktuellen pflegewissenschaftlichen Stand", so Stegger. Kurzfristig
müsse eine Reduzierung der FeM erreicht und dringend sichergestellt
werden, dass zumindest der Rechtsweg eingehalten wird. "Eine
Initiative, wie sie in München gestartet ist, sollte bundesweit als
Beispiel gelten."
Die BIVA e.V. ist seit 1974 die einzige bundesweite
Interessenvertretung von Menschen, die Wohn- und Betreuungsangebote
im Alter und bei Behinderung in Anspruch nehmen. Die BIVA ist
unabhängig und setzt sich für die Stärkung der Rechte von Betroffenen
ein.
Pressekontakt:
BIVA e.V.
David Kröll
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