Für Dr. Gertrud Greif-Higer von der Arbeitsgruppe Lebertransplantation der Bundesärztekammer müssen sich die Ärzte in den sechs Monaten versichern, ob man mit dem Patienten gut kooperieren kann. Die Befürchtung: Der alkoholabhängige Patient könnte mit neuer Leber weitertrinken – eine Vermutung die im aufgedeckten Fall einem Todesurteil gleichgekommen wäre. „Sie geben das Organ diesem Patienten, sie geben es einem anderen Patienten nicht. Wir müssen abwägen: Stirbt dieser Patient oder jener Patient“, erläutert Dr. Greif-Higer die Richtlinie.
Aus medizinischer Sicht ist es durchaus fragwürdig, Alkoholkranken eine neue Leber zu verweigern. Laut einer Studie der Berliner Charité leben von Patienten, die wieder rückfällig geworden sind, fünf Jahre nach der Transplantation noch 88 Prozent, nach zehn Jahren noch 67 Prozent am Leben. Doch wie sieht es mit dem moralischen Aspekt aus. Wenn Alkoholikern Organe verweigert werden, wann werden Fettleibige, Raucher oder Extremsportler von für sie existenziellen medizinischen Versorgungsangeboten ausgeschlossen?
Dass bei der Sorge um den effizienten Einsatz von zu wenigen Spenderorganen im bürokratischen Gesundheitsdschungel mit zweierlei Maß gemessen wird, zeigt folgendes Beispiel: der Gallenganskrebs. Häufige Ursache ist eine Entzündung der Gallengänge (PSC). Die Erkennung des Gallengangkarzinoms (CC) mit herkömmlichen Verfahren ist schwierig und wird im Wesentlichen durch die Endoskopie und komplementär durch die bildgebenden Verfahren bestimmt, die eine Bestimmung des CC nur in bestenfalls 60 % aller Fälle erreicht. Die Folgen sind für Patienten mit fortgeschrittener PSC fatal, wenn sie die einzige für sie noch mögliche Therapie erhalten sollen – eine Leber-Transplantation. Nach einer Leber-Transplantation ist es notwendig, die Funktion des Abwehrsystems zu unterdrücken (mit sogenannten Immunsuppressiva). Dies soll die Immun-Aktivität reduzieren, um das Risiko einer Abstoßung des neuen Organs durch das Abwehrsystem zu verringern. Leider kann das Immunsystem dadurch Krebszellen nicht mehr richtig erkennen und ausschalten. Bei PSC-Patienten mit unerkanntem Gallengangskrebs werden die krebsartig veränderten Körperzellen nicht mehr zerstört. Das Resultat: Ohne jede Rettungsmöglichkeit versterben die betroffenen transplantierten Patienten nach kurzer Zeit. Dadurch ist auch das Organ „verloren“, das anderen schwerkranken Leberpatienten mit dringendem Transplantationsbedarf das Leben gerettet hätte.
Das müsste heute nicht mehr sein: In Kooperation mit der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH), Gastroenterologie, wurde ein klinischer Biomarker aus einem Protein-Muster entwickelt, der allein durch eine Urinprobe eine sehr zuverlässige Unterscheidung zwischen PSC und einem Gallengangskrebs anzeigt. Im Unterschied zu den Spenderorganen für Alkoholiker gehen beim Gallengangskrebs tatsächlich Organe verloren, ohne den Betroffenen helfen zu können. Doch der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) lehnte es ab, dass die Kosten für Diagnoseverfahren wie die Protein-Muster-Analyse von den Krankenkassen übernommen werden - es existiere kein Patientenvorteil. Diesem Argument widerspricht Professor Dr. Michael P. Manns, Direktor der Klinik für Gastroenterologie, Hepatologie und Endokrinologie der MHH: „Durch die Einführung dieses Proteom-Tests kann sehr wohl die Zahl der Gallenganspatienten gesenkt werden, die irrtümlich transplantiert werden, weil deren Karzinom trotz invasiver Diagnostik nicht erkannt wurde.“
Der Erfinder der Proteom-Analyse Professor Dr. Dr. Harald Mischak vom Lehrstuhl für Proteomics und Systemmedizin an der Universität Glasgow, der seit 12 Jahren auf diesem Gebiet forscht, geht noch einen Schritt weiter: „Durch die neue Proteom-Muster-Analyse werden bis zu 80 Patienten gerettet, weil der Krebs erkannt werden kann und für diese Patienten dank der Früherkennung durch die kurative Behandlung eine hohe Wahrscheinlichkeit auf Lebenserhaltung besteht“, so Professor Mischak. „Der G-BA verhindert aber mit willkürlichen Argumenten die Einführung des Tests.“
Vor dem Hintergrund der ethisch nicht zu rechtfertigen Maßstäbe ist das Vorgehen der Gesundheitsbürokratie unverständlich. Es stellt sich folgende Frage: Worum geht es in unserem Gesundheitssystem eigentlich: Den Menschen zu helfen oder Gott spielen zu wollen?