Die Bevölkerungsgruppe der über 65-Jährigen mit
Migrationshintergrund zählt zu den am schnellsten wachsenden in
Deutschland. Prognosen zufolge wird sie von derzeit 1,4 Millionen auf
etwa 2,8 Millionen im Jahr 2030 steigen. Daher rückt auch die Pflege
dieser Menschen stärker in den Vordergrund. Besonders deutlich ist
dies in Berlin: Dort wünschen sich 48 Prozent der türkeistämmigen
Migranten im Pflegefall mehr Unterstützung im Alltag. Das ergab eine
Studie der Stiftung Zentrum für Qualität in der Pflege (ZQP) und der
Charité Universitätsmedizin bei türkeistämmigen Migranten im Alter
zwischen 59 und 88 Jahren im Raum Berlin.
Knapp die Hälfte der türkeistämmigen hilfe- und pflegebedürftigen
Menschen fühlt sich nicht gut im Alltag unterstützt: Sie bewerten
ihre Pflegesituation als unzureichend (37 Prozent) oder zumindest als
teilweise unzureichend (11 Prozent). Neben körpernaher Hilfe beim
Baden und Duschen besteht Unterstützungsbedarf vor allem im
hauswirtschaftlichen Bereich, also beim Einkaufen oder bei Arbeiten
in Haus und Garten. Ferner wünschen sich die Befragten mehr Hilfe
beim Umgang mit Bürokratie, Geldangelegenheiten und bei der
außerhäuslichen Mobilität sowie bei der Nutzung von öffentlichen
Verkehrsmitteln.
Die Qualität guter Pflege messen die türkeistämmigen Migranten
stark an einer kultursensiblen Alltagspraxis der Pflegekräfte.
Demnach empfindet ein Großteil der Befragten das Ausziehen von
Straßenschuhen vor Betreten des Wohnraumes sowie die Rücksicht auf
Essgewohnheiten als wesentliche Merkmale von guter Pflege. Wichtig
sind ferner die Türkischkenntnisse von Pflegekräften und die
gleichgeschlechtliche Körperpflege.
"Zwar nehmen Pflegeanbieter schon heute stärker auf die
kulturellen Bedürfnisse von pflegebedürftigen Menschen Rücksicht.
Dennoch erreichen unsere Versorgungsstrukturen noch nicht ausreichend
alle Zuwanderungsgruppen", sagt der ZQP-Vorstandsvorsitzende Dr. Ralf
Suhr. Gründe hierfür seien insbesondere sprachliche und
kulturspezifische Zugangsbarrieren. So zeigt die Studie, dass sich
der Großteil der Befragten unzureichend über das Thema Pflege
informiert fühlt. Zum Beispiel haben 70 Prozent noch nie vom Angebot
der Pflegeberatung gehört. Entsprechend nehmen nicht alle
pflegebedürftigen Befragten auch die ihnen zustehenden Leistungen der
Pflegeversicherung in Anspruch.
Um den Zugang zu professioneller pflegerischer Unterstützung unter
türkeistämmigen Menschen in Berlin zu verbessern, ist es laut Suhr
wichtig, diese Bevölkerungsgruppe intensiver über das bestehende
Angebot zu informieren. Da der Hausarzt von den Befragten als
zentraler Ansprechpartner bei gesundheitlichen Problemen genannt
wurde, sollten sich hausärztliche Praxen und die Pflegeberatung
besser vernetzen. Zudem sei mehrsprachiges Informationsmaterial zu
den Angeboten von Pflegeversicherung und -beratung von großer
Bedeutung, um möglichst auch Zuwanderer zu erreichen, die formelles
Deutsch nicht gut verstünden.
Die Studie leistet nach Angaben der leitenden Wissenschaftlerin
des Projektes, Dr. Liane Schenk, einen richtungsweisenden Beitrag zur
Verbesserung der Datenlage. "Wir verfügen damit über quantitativ
basierte Informationen zur Lebenssituation, pflegerischen Versorgung
und Pflegeeinstellungen türkeistämmiger Migranten in Berlin", sagt
Schenk. Diese Bevölkerungsgruppe ist die am zahlreichsten vertretene,
nicht-europäische Zuwanderergruppe in Deutschland und zugleich die
größte außerhalb der Türkei lebende türkische Gemeinschaft.
Entsprechend wird die Nachfrage türkeistämmiger Älterer nach
Pflegeleistungen in der ambulanten und stationären Altenhilfe
zunehmen.
"Pflegebedürftigkeit wird als Schicksalsschlag wahrgenommen und
ist stark angstbesetzt", sagt Schenk. Ein überraschendes Ergebnis der
Studie sei jedoch die prinzipielle Offenheit insbesondere gegenüber
ambulanten Pflegeangeboten gewesen. "Professionell unterstützte
häusliche Pflege scheint unter Türkeistämmigen ebenso wie in der
Bevölkerung ohne Migrationshintergrund die zentrale Versorgungsform
der Zukunft zu sein", betont die Wissenschaftlerin.
Weitere Informationen zur Studie finden Sie auf der Internetseite
der Stiftung Zentrum für Qualität in der Pflege (ZQP) unter
www.zqp.de.
Pressekontakt:
Torben Lenz
Tel: 030 275 93 95 - 15
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