OBERNKIRCHEN. Darmkrebs ist heilbar, wenn er rechtzeitig erkannt wird. Doch weil zu wenig Versicherte zu der ab 55 Jahren kostenlosen Vorsorgeuntersuchung gehen, sterben daran pro Jahr noch immer 26.000 Deutsche. Um das zu ändern, testet die Krankenversicherung BKK24 mit prominenter Unterstützung ein neues Verfahren, das vor allem eines kann: Hemmschwellen abbauen.
Gängigste Methode ist bisher die als Darmspiegelung bekannte Koloskopie. Die meisten Patienten lassen sich während der etwa 15 Minuten dauernden Untersuchung, für die ein optisches Gerät eingeführt wird, in Narkose versetzen. Und noch mehr Versicherte gehen aus Angst oder Ekel vor dem Endoskop in ihrem Körper erst gar nicht hin. Vorteil der Koloskopie: Entdeckt der Arzt Auffälligkeiten, kann er sofort nachfassen und die Therapiemaßnahmen starten.
Die neue Methode ist High Tech pur. Nach dreitägiger Ernährungsumstellung schluckt der Patient eine kleine Kapsel, die von der Speiseröhre aus den Magen- und Darmtrakt durchwandert. Ein spannendes Erlebnis, weil vom ersten Moment an erstklassige Bilder von der abenteuerlichen Reise der Sonde übertragen werden. Ist die Kamera wieder ausgeschieden und in der Kanalisation verschwunden, sieht sich der Arzt die in einem Aufnahmegerät an der Hüfte seines Patienten gespeicherten Bilder an. Nur wenn ihm dabei etwas auffällt ist eine zweite Untersuchung mit dem Endoskop unvermeidbar. Prof. Dr. Jürgen Riemann bringt den Nutzen auf den Punkt: Einem Drittel der Deutschen, so der Vorstand der bei der Darmkrebs-Früherkennung engagierten Stiftung Lebensblicke, sei die Vorsorge ausgesprochen wichtig. Ein weiteres Drittel lasse sich auch nicht mit guten Worten und Bonusversprechen der Krankenkassen überzeugen. Aber die auf eine Generation gesehen 27 Millionen, die einfach nur zögern, könne man mit der unkomplizierten Kapselkamera locken.
Dass dieser Plan funktioniert, ist nach der Halbzeit im Pilotprojekt bereits bewiesen. Mit Unterstützung des Klinikum Schaumburg haben vier Ärzte rund um das niedersächsische Weserstädtchen Rinteln Versicherte untersucht, die sich auf ein Anschreiben der BKK24 gemeldet hatten. Dabei wurden deutlich mehr Termine für die Darmkrebsvorsorge gemacht, als sonst üblich. Wird dabei nur ein Fall rechtzeitig erkannt und behandelt, spart das der Solidargemeinschaft im Mittel 250.000 Euro. So teuer ist nämlich die Behandlung eines unheilbar Kranken, der seinen Befund nur um etwa drei bis vier Jahre überleben wird. Ganz erstaunlich: Die Männer und Frauen, die zum ersten Mal bei der Krebsvorsorge waren, wollen wiederkommen. Und die meisten davon werden sich das nächste Mal für das herkömmliche Verfahren entscheiden, weil sie sich davon mehr Nutzen versprechen. Zumindest bei diesen Teilnehmern sind also die Hemmschwellen gefallen und das Ziel erreicht. Angenehme Nebenwirkung und sicher auch ein weiterer Grund für die neue Begeisterung an der Vorsorge ist die längere Beratungszeit, die der Arzt für seinen Patienten aufbringt.
Bis Jahresende machen die Mediziner aus Hameln, Wunstorf und Rinteln weiter und erwarten Terminvereinbarungen nach der zweiten Aussendung der Kasse, die noch einmal 600 Briefe auf den Weg gebracht hat. Erst dann wird die Uniklinik in Hamburg Eppendorf auswerten und Fakten zur Frage liefern, ob die Kamerakapsel als Alternative zum Endoskop praxistauglich ist. BKK24 Vorstand Friedrich Schütte: „Im Moment ist das Verfahren teurer und der Versuch für uns nur möglich, weil Kamerahersteller und Ärzte finanzielle Abstriche gemacht haben.“ Trotz dieser Offenheit schießen die bei solchen Innovationen auch sonst hellwachen Interessenvertreter bereits aus allen Rohren. Nicht nur vom Hartmannbund und den kassenärztlichen Vereinigungen hagelt es Kritik, weil die Kamera als kostspielig und nutzlos angesehen wird. Damit kann Schütte leben: „Zunächst haben wir 70 Prozent der Patienten die komplikationsbehaftete Endoskopie erspart, die bei ihnen völlig ohne Befund durchgeführt worden wäre.“ Rettet das Pilotprojekt jetzt oder später nur ein einziges Menschenleben, stimmt nicht nur der moralische sondern auch der finanzielle Aspekt. „Anfang 2010 prüfen wir dann, ob die Krebsvorsorge mit der Kamera für alle unsere Versicherten sinnvoll und bezahlbar ist.“ Zudem solle mit einer in Kürze anlaufenden bundesweiten Studie die Datenbasis zu dieser Untersuchungsmethode erweitert werden.
Bis dahin allerdings müssen Informationen, gutes Zureden sowie das Engagement der Stiftung Lebensblicke unter anderem mit DFB-Präsident Theo Zwanziger und weiteren prominenten Vorbilder genügen, um mehr Menschen über 55 zur Darmvorsorge zu bringen. Gelingt das nicht, werden weiterhin sechs bis acht Prozent aller Bundesbürger Krebs bekommen und viele von ihnen an dieser zweithäufigsten Todesursache sterben.