Die bisherigen Behandlungsansätze für
HIV/Aids-Patienten müssen radikal verändert werden. Nur so können,
wie im aktuellen UNAIDS-Bericht gefordert, mehr Betroffene erreicht
werden. Bei der Aushändigung antiretroviraler Medikamente (ARV) muss
ein gemeindebasierter Behandlungsansatz (community models of care)
verfolgt werden, fordert die internationale medizinische
Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen im Vorfeld des Welt-Aids-Tages
am 1. Dezember. Betroffene dürfen nicht mehr als reine Empfänger von
Gesundheitsdienstleitungen angesehen werden, sondern müssen zu
Partnern werden.
Durch einfache und pragmatische Reformen des existierenden
Gesundheitssystems erlauben gemeindebasierte Modelle eine nachhaltige
und bessere Behandlung von stabilen HIV-Patienten in diversen
Kontexten. So sind zum Beispiel lange und teure Anreisen zu
Gesundheitszentren für viele Patienten Hürden beim Zugang zur
lebensnotwendigen Behandlung. Viele Patienten müssen die Behandlung
abbrechen oder werden überhaupt nicht diagnostiziert. Durch einfache
Reformen wie der Verteilung von mehrmonatigen ARV-Vorräten, die
Ausbildung von gemeindebasiertem Gesundheitspersonal oder die
Einführung von verlängerten Öffnungszeiten der Gesundheitszentren
können diese Hürden oft recht einfach abgebaut werden. Die so
verbesserte Patientenbetreuung kann zu einer deutlich höheren
Erfolgsrate führen.
"Wenn wir die HIV-Behandlung effizient und angemessen ausweiten
wollen, können wir nicht weitermachen wie bisher", sagt Dr. Eric
Goemaere, Experte für HIV/Aids von Ärzte ohne Grenzen. "Doch aktuell
werden effiziente Strategien, die sich über Jahre bewährt haben, noch
nicht anerkannt."
Ärzte ohne Grenzen und andere Organisationen haben seit 2007 eine
breite Palette gemeindebasierter Strategien entwickelt. So konnten
die Kosten und der Zeitaufwand einer Behandlung durch die Entkopplung
der Medikamentenausgabe von einer jährlichen Pflichtuntersuchung
deutlich verringert werden. Durch diese Umstellung können nun mehr
als 90 Prozent der stabilen Patienten in den Projekten von Ärzte ohne
Grenzen in Südafrika, Malawi, Mosambik, Simbabwe und Kenia ihre
Therapie langfristig einhalten. Ähnliche Resultate liegen auch aus
Ländern mit viel schwächeren HIV-Behandlungsprogrammen vor.
Bisher werden jedoch für diese neuen Lösungsansätze wichtige
Akteure unzureichend unterstützt. So werden Gesundheitspfleger, die
auf Gemeindeebene HIV- und Tuberkulosebehandlungen anbieten, nicht
anerkannt und unzureichend finanziert. Und Regelungen, die die
Aushändigung von ARV auf eine Monatsration beschränken, erschweren
die Behandlung von Menschen, deren Zugang zu Gesundheitszentren aus
finanziellen oder anderen Gründen limitiert ist. Zudem sind
Regierungen sehr zurückhaltend, den Erkrankten selbst mehr
Handlungsspielräume und mehr Verantwortung zu übertragen. So bleiben
die Möglichkeiten in den Gemeinden eingeschränkt, eigenständig
Medikamente zu verteilen und oder HIV-Tests durchzuführen.
"Der Erfolg gemeindebasierter Behandlungsverfahren ist von
starken, emanzipierten und kompetenten Patienten und
zivilgesellschaftlichen Organisationen abhängig", sagt Amanda Banda,
Koordinatorin in den HIV-Programmen von Ärzte ohne Grenzen. "Trotzdem
wird solchen Projekten zunehmen die finanzielle Unterstützung gekürzt
und Patienten werden nicht ausreichend im Kampf gegen HIV
eingebunden." In Südafrika ist die führende Aktivistengruppe
Treatment Action Campaign (TAC) selbst in eine schwere
Finanzierungskrise geraten, und nach 15 Jahren droht der Gruppe die
Schließung. Nach Angaben von UNAIDS erhielten 59 Prozent der NGOs,
die sich in Sachen HIV und Menschenrechte engagieren, im Jahr 2012
weniger Förderungen als in den Vorjahren.
Ärzte ohne Grenzen fordert die Regierungen auf, die
Behandlungsansätze an die Bedürfnisse der betroffenen Menschen
anzupassen und drängt die internationalen Partner, diese Strategie
aktiv zu unterstützen und zu finanzieren.
Ärzte ohne Grenzen unterstützt derzeit die Behandlung von 354.000
Menschen mit HIV in 20 Ländern. 71 Prozent der 35 Millionen Menschen
mit HIV/Aids leben in afrikanischen Ländern südlich der Sahara.
Factsheet zum Thema community models of care: http://msf.de/6Q
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