"Später, länger und weniger" - mit diesem Slogan kündigte Mao Zedong vor über 40 Jahren sein Ziel an, das Bevölkerungswachstum in China zu begrenzen. Es war Teil eines Fünf-Jahres-Plans; 1969 hatte die Gesamtbevölkerung in China die 800 Millionen Marke gerade überschritten. Die Menschen sollten später heiraten, längere Abstände zwischen den Schwangerschaften lassen und weniger Kinder haben. Heute scheinen die Tage dieser Politik gezählt zu sein.
Offiziell umgesetzt wurde die "Ein-Kind-Politik" im Jahr 1980. Ursprünglich als vorübergehende Maßnahme gedacht, die sich nur auf eine Generation erstrecken sollte, sank die Fertilitätsrate laut World Bank in den folgenden dreißig Jahren rasch von 5,5 Kindern pro Frau im Jahre 1970 auf 1,7 in 2011 - also erheblich unter die Quote von 2,1, die nötig wäre, um eine Bevölkerung zu erhalten.
Experten und öffentliche Stellen reagierten besorgt hinsichtlich der möglichen wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen dieser Politik. Offiziellen Statistiken zufolge sank im vergangenen Jahr die Zahl der Beschäftigten in China erstmalig. Trotz eines erwarteten Anstiegs der chinesischen Bevölkerung auf über 1,4 Milliarden Menschen bis zum Jahr 2030, geht der Internationale Währungsfonds (IWF) davon aus, dass 137 Millionen Arbeitskräfte fehlen werden. Für zusätzliche Bedenken sorgt zudem die Tatsache, dass der Anteil der Bevölkerung im Rentenalter immer größer wird und das Gleichgewicht zwischen den Geschlechtern gestört ist, weil Chinesen traditionell männliche Nachkommen bevorzugt haben.
Junge Chinesen betrachten große Familien als unnötige Belastung
Mitte November kündigte die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua nun eine Änderung der bisherigen Politik an: Ehepaare, bei denen ein Elternteil selbst Einzelkind ist, wird es gestattet, zwei Kinder zu bekommen. Dies wird sich vermutlich in erster Linie auf die Stadtbevölkerung auswirken, insbesondere in Orten wie Shanghai und Hangzhou an der prosperierenden Ostküste.
"Dreißig Jahre Ein-Kind-Politik bedeutet, dass fast alle Menschen im gebärfähigen Alter in den Städten geschwisterlos sind. Die meisten Paare dürfen also zukünftig zwei Kinder haben - sofern sie dies wünschen", erläutert Brigitte Miksa, Leiterin des Zentrums für vergleichende Forschung zu internationalen Versorgungssystemen in der Allianz.
Nach einer Testphase in den Stadtgebieten könnten die Reformen dann auf ländliche Regionen ausgeweitet werden. Dort lebt mit 651 Millionen Menschen fast die Hälfte der Bevölkerung Chinas. Aber auch wenn die Ein-Kind-Doktrin liberalisiert wird, stellt sich immer noch die Frage, ob dies ausreicht, um den aktuellen Trend bei der Bevölkerungsentwicklung um zu kehren.
"Forschungsergebnisse belegen, dass zwei Drittel der Paare sich zwei Kinder wünschen. Allerdings wird die strenge Ein-Kind-Politik den Behörden zufolge seit 2007 nur noch auf weniger als 40 Prozent der Bevölkerung angewendet. Es gab viele Ausnahmen, etwa für Paare auf dem Land und Minderheiten. Außerdem haben viele Leute, die immer schon zwei Kinder haben durften, sich bisher dagegen entschieden", erklärt Miksa. "Es steht also keineswegs von vornherein fest, dass die Lockerung der Ein-Kind-Politik in den wohlhabenden Städten, wo sich die Präferenz für kleinere Familien bereits fest etabliert hat, einen Babyboom auslösen wird."
Wie in vergleichbaren Ländern Asiens, darunter Singapur, Südkorea und Macao, deren Geburtenraten zu den niedrigsten der Welt gehören, betrachten junge chinesische Paare kinderreiche Familien zunehmend als unnötige zeitliche und finanzielle Belastung. Dennoch scheint es unwahrscheinlich, dass die chinesische Regierung über die aktuellen Lockerungsmaßnahmen hinaus sämtliche Schwangerschaftsbeschränkungen aufhebt.
"Es besteht meines Erachtens ein weitverbreitetes Vorurteil, dass die Landbevölkerung wieder massenhaft Kinder in die Welt setzen wird, wenn diese Politik vollkommen aufgegeben wird. Wir wissen jedoch aus zahlreichen Befragungen, dass ein Großteil der Menschen auf dem Lande die Zahl ihrer Kinder ebenfalls begrenzen will - aus ähnlichen Gründen, wie ihre städtischen Landsleute", bemerkt Stuart Basten, Dozent für Sozialpolitik an der Universität Oxford.
Obwohl Prognosen davon ausgehen, dass ein plötzliches Ende der Bevölkerungskontrolle nur zu einem allmählichen Anstieg der Geburtenrate führen dürfte, besteht noch genug Unsicherheit, um die Verantwortlichen in China vorsichtig sein zu lassen.
Den Familienplanern bleibt noch viel Arbeit
Auf dem Weg zur Reform gibt es zudem einige bürokratische Hürden zu überwinden. In den vergangenen dreißig Jahren wurde ein enormer Beamtenapparat aufgebaut, um die Familienplanungspolitik umzusetzen. Dabei führten die Amtsträger Fertilitätsstatistiken für jedes Wohngebiet und jedes Dorf. Auch wenn die Maßnahmen nur vorübergehend sein sollten, so wird allein die Größe der Maschinerie es schwierig machen, etwas zu bewegen.
"Tausende haben ein Interesse daran, ihren Status Quo in irgendeiner Form zu wahren", bemerkt Basten. "Ich glaube, das ist ein weiterer Grund, warum wir nur allmähliche Veränderungen feststellen werden, so dass dieses Heer an Verwaltungsangestellten weiter zu tun haben wird."
Und in der Tat bliebe auch bei einer "Zwei-Kind-Politik" noch mehr als genug Arbeit für die Familienplaner. Denn außer der Beschränkung der Zahl der Schwangerschaften sind die Beamten mit der Überwachung unzähliger anderer Bestimmungen beauftragt, die von der Geburtenkontrolle bis hin zur der Frist reichen, die Paare zwischen den Geburten einhalten müssen.
Während die neue Politik zu Freudenfeiern bei den Verfechtern der persönlichen Entscheidungsfreiheit und manchem chinesischen Paar Anlass geben könnte, so sieht es doch so aus, als ob die staatliche Geburtenkontrolle in China uns noch eine Zeit lang begleiten dürfte.
Vorbehalt bei Zukunftsaussagen
Diese Aussagen stehen, wie immer, unter unserem Vorbehalt bei Zukunftsaussagen.
Bildunterschrift: Trotz eines erwarteten Anstiegs der chinesischen Bevölkerung auf über 1,4 Milliarden Menschen bis zum Jahr 2030, geht der Internationale Währungsfonds (IWF) davon aus, dass 137 Millionen Arbeitskräfte fehlen werden.
Kontakt für Presse
Petra Brandes
Allianz SE
Tel.: +49.89.3800-18797
petra.brandes@allianz.com