Zahlreiche Arztpraxen in Deutschland haben nach
Recherchen des Radioprogramms NDR Info bei den Krankenkassen
Beschneidungen falsch abgerechnet. Die dafür eingenommenen Honorare
müssen sie zurückzahlen. Allein in Rheinland-Pfalz sind 18 Praxen
betroffen, in Niedersachsen zehn. In diesen beiden Bundesländern
hatten Mediziner in den vergangenen Quartalen mehr als 650.000 Euro
zu Unrecht kassiert - "weil sie ihren Dokumentationspflichten nicht
oder nicht ausreichend nachgekommen sind", so ein Sprecher der
Kassenärztlichen Vereinigung Rheinland-Pfalz. Der operative Eingriff
bei einer Beschneidung erfolgt in der Regel ambulant. Zudem bezahlen
ihn die Krankenkassen nur, wenn er medizinisch notwendig ist und
nicht zum Beispiel vor einem religiös-kulturellen Hintergrund
vorgenommen wird.
Nach den Abrechnungsvorschriften muss die Patientenakte die
Ergebnisse einer Gewebeprobe oder eine Fotodokumentation enthalten.
Ein Sprecher des Bundesgesundheitsministeriums erklärte, bei Bedarf
könne beides "im Rahmen von Prüf- oder Gerichtsverfahren verwendet
werden". Und wenn diese Dokumentation nicht erfüllt sei, ergänzte der
stellvertretende Vorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung
Niedersachsen, Jörg Berling, "dann darf ein Arzt diese Leistung nicht
abrechnen. Es gibt da nur alles oder nichts".
Die Kassenärztlichen Vereinigungen Schleswig-Holstein, Nordrhein
und Saarland haben ebenfalls Auffälligkeiten in Abrechnungen
festgestellt. Sie untersuchen derzeit, ob die betroffenen Arztpraxen
ebenfalls Dokumentationspflichten verletzt haben. Ergebnisse dieser
im Sozialgesetzbuch geregelten Plausibilitätsprüfung liegen noch
nicht vor. Ein Anstieg der Schadenssumme ist aber wahrscheinlich.
Alle anderen Kassenärztlichen Vereinigungen haben nach eigenen
Angaben bisher keine Auffälligkeiten bei den Abrechnungen feststellen
können.
Nach Ansicht von Gerd Glaeske, Gesundheitsökonom von der
Universtität Bremen, haben die betroffenen Mediziner "ganz klaren
Abrechnungsbetrug begangen". Das Beitragsgeld der Versicherten sei
für eine Leistung abgerechnet worden, "die nicht erbracht worden
ist". Deswegen sind nach Ansicht von Glaeske verstärkte
Abrechnungskontrollen der Kassenärztlichen Vereinigungen notwendig.
Glaeskes Einschätzung ist zudem, dass es deutlich mehr dieser
Eingriffe gibt als medizinisch begründet: "Das scheint darauf
hinzudeuten, dass Ärzte die Chance wahrnehmen, Beschneidungen
abzurechnen, um zusätzliche Einnahmen zu erzielen."
Alle Kassenärztlichen Vereinigungen in Deutschland haben die
Abrechnungskontrollen nach dem Hinweis einer Medizinerin aus
Schleswig-Holstein eingeleitet. Die für Berlin, Brandenburg und
Mecklenburg-Vorpommern zuständige AOK Nordost hat bei der zuständigen
Kassenärztlichen Vereinigung einen Prüfungsantrag gestellt. Eine
Antwort darauf stehe noch aus, so ein Kassensprecher. "Die
Krankenkassen sind gesetzlich verpflichtet, Hinweisen zum Verdacht
auf Abrechnungsbetrug nachzugehen", betonte er.
Die Prüfung der Kassenärztlichen Vereinigungen ist allerdings
nicht einheitlich. Während einige Einrichtungen Abrechnungen der
vergangenen Jahre unter die Lupe nehmen, belassen es andere bei
Prüfungen ausgewählter Ärzte und einzelner Quartale.
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