Mehr als 25.000i Deutsche starben 2010 an Darmkrebs. Vielen dieser Menschen hätte eine rechtzeitige Vorsorge das Leben retten können: In 80 Prozentii der Fälle entwickelt sich Darmkrebs aus den sogenannten „Darmpolypen“. Werden diese im Rahmen einer Darmspiegelung erkannt, können sie direkt entfernt werden – und das Risiko eines daraus entstehenden Krebs gleich mit. Dennoch lassen viele Menschen die Vorsorge schleifen. Deshalb versuchen Prominente von Vitaly Klitschko bis Uschi Glas in groß angelegten Kampagnen, von Wichtigkeit und Unbedenklichkeit der vorsorglichen Darmspiegelung zu überzeugen. Und das nicht ohne Effekt: Inzwischen entscheiden sich in Deutschland jedes Jahr 370.000iii Menschen für diese Vorsorgeuntersuchung. Die absolute Zahl der Darmkrebs-Todesfälle bewegt sich zwischen Stagnation und Rückgang. In einer alternden Gesellschaft darf dies als klarer Erfolg gewertet werden.
Gastroenterologen begrüßen dieses geschärfte Bewusstsein. Doch sie sehen weiteren Aufklärungsbedarf: „Für eine effektive Früherkennung sind wir auf die gute Vorbereitung des Patienten angewiesen“ sagt Dr. Benjamin Walter vom Klinikum Rechts der Isar in München. „Eine sichere Erkennung von Polypen erfordert vorab eine gründliche Reinigung des Darms“. Zu Deutsch: Der Patient muss die bereits Tage vor der Spiegelung beginnende Abführprozedur konsequent einhalten. Mehr als ein Vierteliv der Patienten tut dies heute aber nicht. „Wir haben gemerkt, dass wir eine signifikante Zahl von Patienten mit der heute üblichen Kombination aus ärztlichem Aufklärungsgespräch und papier-basierter Anleitung nicht erreichen“, so Dr. Walter. „Für diese Patienten ist das Restrisiko trotz Spiegelung deutlich höher. Das ist weder für Arzt noch für Patient zufriedenstellend“.
Auf der Suche nach einer Lösung wandten sich Dr. Walter und sein Team an das Münchner Startup smartpatient. Die Unterstützung und Motivation von Patienten per Smartphone-App ist das Kerngeschäft von smartpatient. Dieses Prinzip auf die Vorbereitung der Darmspiegelung zu adaptieren, erschien naheliegend. Doch es kam anders. „Anstatt einer Diskussion über das technisch Mögliche führten wir mir smartpatient sehr schnell eine Diskussion über die Praktikabilität im Alltag von Arzt und Patient“ berichtet Walter. „Gemeinsam mit smartpatient kamen wir zu dem Schluss, dass in dieser konkreten Anwendung die althergebrachte SMS überlegen ist: Teilnehmende Patienten teilen uns lediglich ihre Handynummer mit, der Rest geschieht automatisch.“ Egal ob Einnahme des Abführmittels oder die richtige Ernährung: Hinführend auf den Untersuchungstermin leitet die Anwendung den Patienten per SMS durch die Schritte der Koloskopie-Vorbereitung. Und zwar immer genau dann, wenn er tatsächlich aktiv werden muss. Kein Smartphone erforderlich, keine App, keine Einrichtung – und kein Zusatzaufwand in der Arztpraxis.
In einer Pilotstudie konnten Walter und seine Kollegen bereits zeigen, dass SMS-Unterstützung die Vorbereitung der Patienten statistisch signifikant verbessert. Auch die Resonanz der Patienten war zu 100% positiv. Für Walter ist das Ergebnis sehr erfreulich. Mindestens genauso wichtig ist ihm noch ein weiterer Punkt: „Wir haben hier nicht nur eine effektive Technologie zur Verbesserung der Darmkrebsvorsorge, sondern vor allem eine sowohl für Arzt auch als für Patient sehr praxistaugliche. Vor allem durch diese Anwendbarkeit im großen Stil, sehen wir das Potenzial, mit dieser Innovation einen echten Unterschied in der Früherkennung zu machen.“ Mit dieser Ansicht ist Walter nicht alleine: Gemeinsam mit smartpatient wurde sein Team für die beste Präventionsidee beim Felix-Burda-Award 2015 nominiert. Walter freut es: „Der Charme der Lösung liegt in ihrer Einfachheit. Wenn es nach uns geht sollte die SMS-Vorbereitung bald jedem Patienten zur Verfügung stehen. Dafür hilft uns die Aufmerksamkeit natürlich.“ Vielleicht klingelt unser aller Telefon demnächst also noch ein bisschen öfter. Dann auch gegen Darmkrebs.
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i http://www.rki.de/Krebs/DE/Content/Krebsarten/Darmkrebs/darmkrebs_node.html
ii http://www.dgsmp.de/files/jahrestagung/2012/vortraege/mittwoch/session3/1_Altenhofen.pdf
iii http://www.felix-burda-stiftung.de/presseportal/felix-burda-stiftung/kommunikationsthemen-2014/index.php
iv http://www.giejournal.org/article/S0016-5107(03)01305-1/abstract