Aktuell beherrsche die politische Debatte um die Legalisierung von sogenannten weichen Drogen die Medien betonte Alois Fischer, Geschäftsführer des BFW Leipzig in seiner Eröffnungsrede. Daher passe das Thema des diesjährigen rehawissenschaftlichen Kolloquiums gut in die aktuelle Diskussion. „Das große Interesse an diesem Thema widerspiegle auch die hohe Teilnehmerzahl von 130 Gäste an dieser Veranstaltung.“
Acht Referenten aus der Medizin und von Unternehmen gingen im Verlaufe des Tages auf verschieden Aspekte der Auseinandersetzung mit dem Thema Sucht ein.
Zu Beginn beleuchtete Wolfgang Nešković, ehemaliger Richter am Bundesgerichtshof, in seinem Impulsvortrag genau die aktuellen Diskussionen um die Drogenpolitik in der Bundesrepublik. Der Jurist, der sich seit 1994 verstärkt mit dem Thema von juristischer und später auch von politischer Seite befasst, vertrat die Meinung, dass das Thema Drogen vorrangig kein juristisches Problem sein, sondern in die Gesundheitspolitik gehöre. Verschiedene Argumente führte er dazu auf. So sei in Deutschland immer noch Alkohol die „legale Droge“ Nummer eins und daran würden mehr Menschen sterben als an Rauschgiften. Man bekämpfe mit den aktuellen Gesetzen nicht die Ursachen für den Drogenkonsum, sondern verfolge diese als Straftaten. Besonders gravierend für die seiner Meinung nach gescheiterte aktuelle Drogenpolitik sei die Tatsache, dass es in Deutschland keine Haftanstalt gebe, wo nicht Drogen gehandelt und konsumiert würden. Er könnten sich wie mittlerweile 60 Prozent der Juraprofessoren eine Abkopplung des Drogenkonsums vom Strafrecht vorstellen und plädierten für ein staatlich kontrollierte und regulierte Abgabe von Drogen beispielsweise durch Apotheken. So könne man sowohl für die Reinheit des „Stoffs“ sorgen, als auch dem illegalen Drogenhandel einen Riegel vorschieben.
Im Anschluss an das Impulsreferat folgte eine medizinische Aufklärung. PD Dr. Michael Kluge, Oberarzt in der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum Leipzig, erläuterte in seinem Vortrag die Gefahren des Konsums von legalen und illegalen Drogen. Er zog dabei ein Grenze zwischen der Gewohnheit beim Konsum von Alkohol und Co. bis zur Abhängigkeit. Alle Drogen sei eines gemeinsam; anfangs erlebe man bei der Einnahme ein Gefühl des Glücks. Bei langzeitigem Konsum bräuchte man die Drogen, um einen Normalzustand erreichen zu können. Allein durch an den Folgen des Alkoholkonsum sterben in Deutschland pro Jahr ca. 74.000 Menschen. Durch die direkten Folgen des Rauchens sind es etwa 110.000 Menschen pro Jahr in Deutschland.
Göran Michaelsen Chefarzt in der Soteria Klinik Leipzig sprach über Therapieansätze bei Abhängigkeitserkrankungen. Er stellte dabei die von seiner Klinik angewandte Hierarchie der Therapieziel vor. Als erstes ginge es um die Sicherung des Überlebens und die Behandlung von Folgeerkrankungen. Dann müsse man an der Einsicht des Patienten arbeiten, dass er von einer Abhängigkeit betroffen sei. Dem folgten sogenannte „Clean-Tage“ zur Verlängerung der Abstinenz, um sich anschließend der Verbesserung der psychosozialen Situation, einer dauerhaften Abstinenz und der Reintegration in den Alltag zu widmen. Wichtig sein aber nicht nur die direkte Therapie, sondern auch eine kompetente Nachsorge sowie die Betrachtung des persönlichen und sozialen Umfeldes. Er betonte aber auch, dass eine Suchterkrankung eine chronische Krankheit sei, die man nicht heilen könne.
Dr. Nina Romanczuk-Seiferth, leitende Psychologin an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Charité Berlin, umriss das Thema Spielsucht. Dies sei eine von vielen Verhaltenssüchten. In Deutschland gebe es zwischen 110.000 und 170.000 behandlungsbedürftige Spieler, von denen aber nur rund 5.100 ambulant behandelt werden würden. Die Spielsucht beeinflusse nicht nur das soziale Leben der Betroffenen, sondern wäre oft mit anderen Krankheiten wie Depression, Angst oder Psychosen verbunden. Hinzu kämen oft finanziellen Probleme, die in einer Verschulung enden. Online-Rollen-Spiele hätten nach ihren Untersuchungen gegenwärtig das größte Suchtpotential. Sie würden nie enden und man spiele oft in einer Gruppe Gleichgesinnter, mit der man sich schnell identifizieren könne. Allein unter den Online-Rollen-Spielern läge das Suchtpotential bei 11,9 Prozent.
Die Suchtprävention im Alltag stellten vier Referenten aus Unternehmen und von der Polizei Sachsen vor. Peter Zummack, Sucht und Gesundheitsberater der Fraport AG in Frankfurt am Main, berichtete über seine Praxiserfahrungen mit dem eigens auf die Mitarbeiter des Unternehmens eingeführten Präventionsmodell. Eine der wichtigsten Bedingungen, um gute Präventionsarbeit im Unternehmen zu leisten, sei ein striktes Alkohol- und Drogenverbot für alle Mitarbeiter. So würden bei der Einstellung bei allen neuen Mitarbeitern freiwillige Drogentests durchgeführt. Azubis gebe man hingegen aufgrund ihres Alters eine Chance, sollte man Drogenkonsum bei ihnen feststellen. Dann werde gemeinsam ganz konsequent an der Abstinenz der jungen Menschen gearbeitet.
Auch Jan Rickmann, Gesundheitsmanager bei der Continental AG Hannover, kam mit einem zugeschnittenen Modell, das ins Gesundheitsmanagement des Unternehmens integriert ist, zum Kolloquium. Er betonte, dass eine erfolgreiche Prävention von der Unterstützung der Unternehmensführung abhänge. Wichtig sei eine frühzeitige Sensibilisierung und Qualifizierung von Führungskräften in allen Ebenen. Zusätzlich biete Continental für alle Betriebsstandorte spezielle Kurse an, die sich an die Mitarbeiter wenden, um ein gesundes Arbeitsklima zu erhalten. Dazu zähle beispielsweise das Programm „Stress Control“ des Schottischen Arztes Dr. Jim White, das bisher sehr erfolgreich im Unternehmen durchgeführt wurde. Im Ergebnis der präventiven Arbeit konnte die Anzahl der Arbeitsunfälle, nach Erkenntnissen der Unternehmensführung zu einem hohen Prozentsatz durch Alkoholkonsum verursacht wurden, gesenkt werden.
Petra Langhorst, die bei Beiersdorf in Hamburg in der betrieblichen Sozialberatung tätig ist, bestätigte mit ihrem Vortrag, dass das Management in den Unternehmen auf das speziellen Arbeitsumfeld mit einem eigenen Konzept zur Prävention reagieren müsse. In ihrem Unternehmen setze man auf eine kooperative Zusammenarbeit zwischen Führungskräften und den von Suchterkrankungen betroffenen Mitarbeitern. Dabei sei die Aufmerksamkeit der Führungskräfte auf Unregelmäßigkeiten im Arbeits- und Leistungsverhalten sehr wichtig. In einem mehrstufigen Prozess begleite man Betroffene hin zur Abstinenz. Mit diesem Leitlinienprogramm unterbreite das Unternehmen jedem Mitarbeitern ein Angebot, in diesem Rahmen müsse jedoch jeder Betroffene selbst etwas für sich tun.
Für die Polizei Sachsen erläuterte Bert Lange, Fachlehrer für Psychologie und Kommunikationstraining an der Polizeifachschule Leipzig, die Thematisierung der Drogenproblematik. Bei der Polizei Sachsen habe man zwar früh nebenberufliche Suchthelfer etabliert, aber das sich dahinter verbregende System komme jetzt erst richtig zum Tragen. Die 28 Suchthelfer bei der sächsischen Polizei würden im Bedarfsfalle von ihrer dienstlichen Tätigkeit freigestellt werden, um als Kollege unabhängig von der Dienststellung helfen zu können. Dabei spiele die Kenntnis von den täglichen Abläufen und dem Ansteigen der Einsatzbelastung besonders bei Polizisten der Bereitschaftspolizei eine wichtige Rolle. Man müsse als Kollege sehr viel Mut aufbringen, um sein Gegenüber auf die Probleme einer erkennbaren Sucht anzusprechen.
In der abschließenden Podiumsdiskussion gingen die Referenten noch einmal auf die Fragen der anwesenden Gäste ein. Dabei wollten viele Gäste noch einmal ihre Meinung zum Impulsvortrag von Wolfgang Nešković vertreten, um auf die gesellschaftlichen und gesundheitlichen Risiken einer Freigabe von Suchtmitteln hinzuweisen. Aber auch zu den weiteren Referaten wurden detailliertere Aspekte besprochen.
Das Feedback auf das diesjährige rehawissenschaftliche Kolloquium war durchweg positiv. Das Thema hätte genau den aktuellen Fragen entsprochen, die man sich in Institutionen und Unternehmen sowie Verbänden und Vereinen stelle. Mit der Auswahl der Referenten habe das BFW Leipzig ein weites Spektrum abgedeckt.
8.542 Zeichen
Erstellt: Michael Lindner/BFW Leipzig