Seit über 30 Jahren ist es Usus, daß nach jeder (!) Tournee des Urberliner Chansonniers KLAUS HOFFMANN eine Liveaufnahme, zunächst in Form einer Doppel-LP, nach Aussterben des guten, alten Vinyls, als Zweifach-CD veröffentlicht wird. Dies aus gutem Grunde, denn der heute 58jährige Singer/Songwriter ist im Studio ein ums andere Mal schier super, aber so richtig lebt er erst auf der Bühne auf, geht er in die Vollen und gibt seinem treuen Publikum wirklich alles das, was er nur geben kann.
Nachdem Klaus Hoffmann in den letzten Jahren überwiegend mit seiner kongenialen deutschsprachigen Auslegung der wichtigsten Titel seines großen Idols und Vorbildes Jacques Brel unterwegs war, legte er im Frühjahr 2008 wiederum eine Silberscheibe mit ausschließlich eigenem Material vor. "Spirit", immerhin ein Top-30-Renner für einen Musiker, der sich um schnelllebigen Hitparadenerfolg und ebenso leichtvergänglichen musikalischen Zeitgeist niemals gekümmert hat, ist ein klassisches Klaus-Hoffmann-Epos, voller Poesie, Zärtlichkeit, Romantik, Liebe, Nachdenklichkeit und Philosophie, ggf. einwenig Swing-/Jazz-lastiger ausgefallen, als manches Frühere. Kurzum: Ein Meisterwerk für alle Freunde realer MUSIK, für Menschen, die sich die Zeit nehmen, eine Stunde lang alles um sich herum zu vergessen und einfach nur mal zuhören wollen, die sich in die Gedanken, Worte, Formulierungen des großen Berliner Liedermachers hineinversetzen möchten.
Kurz nach der Veröffentlichung von "Sprit", begab sich Klaus Hoffmann, wie eh und je, in Begleitung seiner langjährigen, derzeit vierköpfigen Band - Hawo Bleich (key), Michael Brandt (git), Peter Keiser (b), Stephan Genze (dr) - auf ausgiebige Deutschlandtournee. Am 22. Mai 2008 gastierten Klaus & Combo im Rahmen dieser Konzertreise in Düsseldorf; der Kölner WDR4 schnitt dieses Großereignis mit - ja, und nun liegt diese Aufzeichnung in Form der Doppel-CD "Spirit - Live in Düsseldorf" (Stille Musik/Indigo) für jeden überzeugten Musikgourmet erhältlich vor.
Ich nutze mit Absicht das Wort "Musikgourmet", denn die zwar stets gemächlichen, ruhigen und dabei gleichermaßen feurigen, authentischen Chansons des Klaus Hoffmann sind noch nie etwas für "Zwischen Tür und Angel" gewesen. Der einstige Schauspieler lebt sicherlich in seiner eigenen Welt, lädt aber alle undogmatischen, offenen und über den Tellerrand hinausblickenden Genießer ein, ihm in diese mit Schwung und Elan zu folgen. Der hobbymäßige (und hierbei sehr begehrte) Romanautor polarisiert, keine Frage - wer sich aber irgendwann in seinem Leben in Klaus & seine unvergleichlichen gesungenen Geschichten verliebt hat - beim Verfasser dieser Zeilen war im Herbst 1985 das wunderschöne Album "Morjen Berlin" hierfür der Auslöser - der bleibt diesem phantastischen Künstler lebenslang verbunden.
Wie schon immer bei Klaus-Hoffmann-Konzerten, besteht das jeweilige Repertoire aus den besten Titeln der entsprechenden neuen, vorzustellenden Produktion, ein paar spezifischen Albumtiteln früherer Jahre und - meist zum Schluß hin - knackigen Live-Favoriten, ohne deren Aufführung die mehr als nur begeisterten Zuhörer ihren Klaus wohl nicht nach Hause gehen lassen würden.
Darüber hinaus brilliert der Vollblutmusiker regelmäßig mit genialischen Sprechtexten zwischen den einzelnen Songs; ob er sich dabei in die Rolle skurriler Typen begibt, seine Kindheit und Jugend in der einstigen Mauerstadt Revue passieren lässt oder - und dies immer äußerst sanft, niemals polemisch oder gar agitativ - Gift und Galle gegen den oberflächlichen Zeitgeist speit - Klaus" Zwischentexte sprudeln nur so von Wortwitz, perfekten Formulierungen, hoher Geschichts- und Menschenkenntnis, und sind durchgehend von liebenswerter Selbstironie und, ja auch ab und zu konstruktiver Selbstkritik geprägt.
Das Programm der "Spirit"-Tour beginnt mit dem kessen, heißblütigen, temporeichen, inhaltlich gekonnt doppeldeutig gehaltenen Chanson "Das Röschen" (aus der aktuellen Studio-CD), gefolgt von dem lecker swingenden, feudalen Titelsong "Spirit" und dem traumhaften Walzer "Frühling" - ein einfach nur als grandios zu bezeichnendes Couplet, das ebensolche Frühlingsstimmung selbst im derzeit herrschenden, verregneten, dunklen Herbst mir nichts, Dir nichts, aufleben lässt.
Die fesche Ode auf das mystische "Haus Trinitatis" (aus "Insellieder", 2002), die liebenswerte Berliner Milieustudie "Markttag" (aus Klaus" sagenumwobenem Frühwerk "Was bleibt", 1976), der wunderbare, mediterran angehauchte Foxtrott (Zitat: "Erst kommt der Fox, dann kommt der Trott") "Einer gibt"s dem anderen" (inhaltlich verklausuliert auf Klaus" vorherige Brel-Programme hinweisend), die grazile Ballade "Der Boxer" (aus des Rezensenten Hoffmann-Lieblingsalbum Numero Zwei, "Was fang ich an in dieser Stadt", 1978), der glänzende Blues-Verschnitt "Jenseits der Angst", der nachdenkliche Schleicher "Etwas" und die düstere Akkordeon-Ballade "Musik der Straße" (sämtlich aus "Spirit") sind im ersten Teil von hier analysierter Doppel-CD zu hören.
Zwischendurch kokettiert der ewige Lausebengel, kabarettistisch überzeichnet, mit klischeehaftem Verhalten von Musikern auf Tournee ihrem Publikum gegenüber, oder der plakativen Unkenntnis seiner anwesenden Fans hinsichtlich der 50er-Jahre-Idole Willy Hagara, Grethe Weiser, Eddie Constantine, Horst Buchholz oder Gerd Fröbe. Doch auch Ernsteres gibt es von Klaus Hoffmann zu hören: Er berichtet über den frühen Tod seines Vaters; wie er seinerzeit, im Kinderhort, intuitiv spürte, sein Herr Papa sei plötzlich und unwiderruflich nimmer da.
Zwei der trefflichsten, prägnantesten Liebeslieder, die der ?deutsche Jacques Brel" jemals geschrieben hat, befinden sich gleichsam in Klaus Hoffmanns neuestem Konzertprogramm. Dies ist zum einen die knisternde Pianoballade "Weil Du nicht bist, wie alle andern" (1979) und das im Grunde genommen unbeschreiblich schöne "Für det bisschen Zärtlichkeit". Dieser Traumtitel kam erstmals auf Klaus" 1985/86er-Tournee zu "Morjen Berlin" zum Einsatz; er wurde damals für die bis heute unübertroffene Live-Doppel-LP "Wenn ich sing"" festgehalten, um dann 1987 auf dem Virgin-Debüt des Interpreten, schlicht "Klaus Hoffmann ´87" betitelt, in einer vollmundigen Orchesterfassung berücksichtigt zu werden.
Mit dem 1995er-Chansondiamanten "Der Diamant" startet der zweite Part von "Spirit - Live in Düsseldorf", gefolgt von der - ich zitiere hier mal die lieben Kollegen von "Extrabreit" - "Nachkriegs-Halbballade" "Die Männer meiner Mutter", woraufhin Klaus ganz intime Erlebnisse aus seiner Kindheit in den 50er Jahren erzählt.
"Treppe ruff, Treppe runter" nannte sich ein plietsches, vorantreibendes, 20er-Jahre-beeinflusstes Chanson aus Klaus" so rückwärtsblickendem, wie zukunftsträchtigem 1998er-Meilenstein "Hoffmann - Berlin". DER (samba-orientierte) Überlebenshymnus schlechthin, "Heut Nacht" (1991), die unkonventionelle Liebeserklärung an eine offenkundige Traumfrau namens "Gerda" (Gruß nach Kufstein! Der Verf.) und die legendäre "Blinde Katharina", die ihrem Partner gegenüber erst so recht in der Lage ist, diesem zu zeigen, wie man sieht, erklingen echt, ehrlich, unverblümt und authentisch, in bester Klangqualität, als säße man direkt im Konzertsaal.
Vier weitere Beiträge aus "Spirit" leiten über in die unvermeidliche Best-of-Abteilung ganz zum Schluß des über zweistündigen Konzerts: Dies sind das balladeske Trennungsdrama "Ich hab gedacht, das alles gehört mir", das programmatische Edelchanson "Es sind die Lieder", der erst sehr stille, im weiteren Verlauf sich zunehmend deftiger und "fetter" entwickelnde, Sinatra-ähnliche Swing "Verpackt in kleinen Säcken" - letztlich eine hervorragend austarierte, stilistische/inhaltliche Melange aus "Frankie-Boys" legendären ?Erkennungsmelodien" "That"s Life" und "My Way" - und der prickelnde ?Großstadt-Tango" (Textzitat) "Beginnen"; eigentlich eher ein Berliner Samba über die Irrungen und Wirrungen, sowohl der Nachkriegszeit, als auch hinsichtlich der Ära von Mauerfall und Wiedervereinigung, als es für alle hieß, jeden Tag neu - eben - zu "beginnen".
Als "Greatest Hits" dienen auf laufender Tournee die romantisch-verliebte 1989er-Ballade "Derselbe Mond über Berlin", DER Live-Renner von Klaus Hoffmann überhaupt, der bei keinem seiner Auftritte fehlen darf, "Salambo" (1979), ein so schwülstiger, wie mitreißender und rasanter Lobgesang auf - profan formuliert - ein Puff, in dem hochrangige Politiker (ich nenne an dieser Stelle mal keine Namen...), wie Normalbürger verkehren, um für ein paar Stunden lang alle Konventionen zu vergessen und einfach so die Sau raus zu lassen. Die autobiographische Pianoballade "Mein Weg" (1999) beendet ein famoses Konzert eines unvergleichlichen, singenden Geschichtenerzählers, der sich jedem Kommerzzwang widersetzt, der auf der Bühne nur ganz genau das darbietet, was er ad Personam auch präsentieren möchte. Ob Brel, ob eigenes Material - Klaus Hoffmann bleibt immer er selbst, lässt sich nicht verbiegen, biedert sich nicht an und pfeift auf die ungeschriebenen ?Gesetze" des "Haifischbeckens Musikindustrie". Er geht halt seinen ureigenen Weg - einen Nummer-Eins-Hit wird er wohl nie im Leben erreichen; er, ganz persönlich, wird dies wohl auch nicht wollen. Denn dann müßte er sich verkaufen, sich anpassen; und genau dies lehnt er aus vollster Überzeugung und völlig zu Recht ab - und, daß er ebengenau jenes überhaupt nicht nötig hat, beweist einmal mehr die tolle Doppel-CD "Spirit - Live in Düsseldorf"!
Gesamtnote: Bestwertung!
Quelle: Holger Stürenburg, 22./23. Oktober 2009