Onlineapotheken versenden oft Arzneimittel, die in Deutschland verschreibungspflichtig sind. Das geht aus einer im Jahr 2008 veröffentlichten Untersuchung der European Alliance for Access to Safe Medicines (EAASM) hervor. Die Agentur hatte bei 116 Versandapotheken verschiedene Livestylemedikamente, Asthmamittel sowie Psychopharmaka angefordert. Bei ca. 90 % der Anbieter kann der Kunde rezeptpflichtige Medikamente ohne Rezept bestellen. Zu einem ähnlichen Ergebnis kam eine Analyse des US-amerikanischen National Center on Addiction and Substance Abuse (CASA). Rund 85 % der 365 US-Internetapotheken versenden Arzneimittel wie Ritalin oder Valium rezeptfrei. 42 % der Händler weisen die Interessenten ungefragt darauf hin, dass sie die gesetzlichen Richtlinien eher zwanglos handhaben. 45 % bieten Onlinesprechstunden an. Bei 13 Prozent der getesteten Shops fällt das Thema „Rezept“ stillschweigend unter den Tisch. Die Tester bemängeln vor allem, dass durch fehlende Kontrolle Minderjährige einen Zugang zu suchterzeugenden Substanzen fänden.
In Deutschland nimmt der Versandhandel mit verschreibungspflichtigen Wirkstoffen ungeahnte Ausmaße an, in erster Linie bei Psychopharmaka bzw. Beruhigungsmitteln. Wenn man den Pressemeldungen der Händler glauben darf, scheinen die Kunden überdurchschnittlich oft Medikamente aus der Wirkstoffgruppe der Benzodiazepine nachzufragen, sofern diese nicht dem Betäubungsmittelgesetz unterliegen. Eine Google-Recherche nach dem Suchbegriff „Valium ohne Rezept“ liefert ca. 400.000 Ergebnisse. An der Spitze steht der Marktführer rezeptfrei.online, der mit zwei Einträgen auf den obersten Plätzen erscheint. Er wird gefolgt von mehreren Anbietern, die ebenfalls auf den einheimischen Markt spezialisiert sind.
Die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) weist seit Jahren auf die Missstände beim Medikamentenhandel im Internet hin. Sie fordert ein vollumfassendes Verbot. Das Bundesministerium für Gesundheit vertritt den Standpunkt der legalen Versandhändler. Es gestattete 2004 eine Freigabe unter konkreten Voraussetzungen. Somit ist in Deutschland der Handel mit freiverkäuflichen, apothekenpflichtigen und rezeptpflichtigen Arzneimitteln im Netz erlaubt. Das Ministerium folgte damit der Rechtsauffassung des Europäischen Gerichtshofes, der in einem Urteil vom Dezember 2003 festgestellt hatte, dass der grenzüberschreitende Arzneimittelversand prinzipiell mit EU-Recht vereinbar sei. Mit einer Beschlussfassung vom 21. Juli 2006 erklärte das Landgericht Frankfurt den Versand verschreibungspflichtiger Medikamente innerhalb des Binnenmarktes für zulässig.
Der führende Medikamentenhändler auf dem deutschen Mark, rezeptfrei.online, sieht durch die aktuellen Gerichtsurteile die von ihm vertretene Haltung bestätigt. Der Händler fordert grundsätzlich keine Rezepte an, da diese, nach Aussage der Betreiber, nicht wirkungsvoll zu kontrollieren seien. Im Unterschied zu Betäubungsmittelrezepten sind herkömmliche Arztrezepte weder fälschungssicher noch in einer zentralen Datenbank registriert. Das Unternehmen schätzt, dass die Fälle von missbräuchlichen Bestellungen höchstens 1 % des Gesamtvolumens ausmachen.
Ärzte wie Apotheker stehen vor der Herausforderung, der immer leichteren Verfügbarkeit von Medikamenten durch bessere Information im Sinne von kompetenter Patientenaufklärung zu begegnen. Zumindest blieb das befürchtete Worst-Case-Szenario bisher aus: Die Zahl der medikamentenabhängigen Patienten ist durch den Siegeszug der Onlineapotheken nicht wie erwartet gestiegen, sondern stagniert seit Jahren auf mittlerem Niveau.