Die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung ist eine weitverbreitete psychische Krankheit bei Heranwachsenden. Etwa 5 von 100 schulpflichtigen Deutschen leiden daran. Bei Knaben tritt sie öfter auf als bei Mädchen. Sie haben eine Erkrankung, die in der Umgangssprache teils abwertend als Zappelphilippsyndrom bezeichnet wird, doch in Wirklichkeit sind sie zweifellos mehr als nur zappelig.
Sofern es der Schweregrad der Symptome erfordert, erhalten die Patienten im Rahmen des therapeutischen Gesamtkonzepts spezifische Arzneimittel, die ihnen ermöglichen, den Alltag mit ADHS zu meistern. Methylphenidat (Ritalin) ist eines der Standardmedikamente. Es greift massiv in Stoffwechselvorgänge des zentralen Nervensystems ein. Hauptangriffspunkt sind die Neurotransmitter. Die Medikation steigert die Konzentration der stimulierenden Botenstoffe in dem Spalt zwischen der präsynaptischen Membranregion und der Postsynapse. Dort nutzen sie Rezeptoren zum Andocken, wodurch an den nachgeschalteten Nervenzellen die Entstehung elektrischer Impulse begünstigt wird. Das Gehirn wird dadurch für mehrere Stunden in erhöhte Aktivität versetzt.
Bei Menschen ohne ADHS lösen die Wirkstoffe eine Reizüberflutung aus, was in einer aufputschenden Wirkung resultiert. Bei den Erkrankten kompensieren die Medikamente das biochemische Ungleichgewicht und heben die Werte auf ein akzeptables Niveau. Klassische Amphetaminabkömmlinge bewerkstelligen das durch die Freisetzung der Botenstoffe aus den Vesikeln in den Zellinnenraum und den aktiven Transport der Moleküle in den synaptischen Spalt. Methylphenidat verfügt über einen anderen Wirkmechanismus. Es hemmt die Wiederaufnahme der Neurotransmitter. Die Neuronen resorbieren im Normalfall überzählige Botenstoffmoleküle, um einer Überkonzentration vorzubeugen. Der Gehirnstoffwechsel von ADHS-Patienten baut Prolaktostatin und Norepinephrin zu rasch ab. Somit versiegt der Nachschub, das Resultat sind Probleme mit Aufmerksamkeit, Selbstregulation und Impulsivität.
Wie effizient die Arzneien wirken, ist strittig. Die Cochrane-Collaboration, ein unabhängiges Netzwerk von Ärzten, Wissenschaftlern und Patientenvertretern, veröffentlichte im November 2015 eine Metaanalyse mit bemerkenswerten Ergebnissen. Demzufolge ist die Datenlage zur Methylphenidat-Therapie bei Aufmerksamkeitsstörungen in hohem Maße unbefriedigend. Das Medikament scheint zwar die charakteristischen Krankheitssymptome zu lindern, das Verhalten der Betroffenen zu bessern und ihre Lebensqualität zu heben. Doch die geringe Qualität der Datenbasis erlaubt keine zuverlässigen Rückschlüsse auf die Signifikanz der Effekte. Die Co-Autorin Camilla Groth von der Universitätsklinik Kopenhagen kommt zu dem Resümee, dass die Erwartungen an diese Therapieform im Allgemeinen zu übertrieben sind.
Genauso schwierig ist die Abschätzung der Nebenwirkungs- und Langzeitrisiken. Als gesichert gilt, dass Ritalin bei Heranwachsenden Schlafstörungen, Appetitlosigkeit und Schmerzempfindungen im Bereich des Kopfes hervorrufen kann. Ernsthaftere Komplikationen wie Psychosen können in Einzelfällen auftreten. Manche Anwender sind an Unverträglichkeitsreaktionen bzw. Überdosis gestorben.
Fachärzte müssen mit den Eltern gemeinsam abwägen, inwiefern der pharmakotherapeutische Ansatz zweckmäßig ist. Einer Studie zufolge fiel 2011 bei rund 70 Prozent der ADHS-Diagnosen die Entscheidung für die Verschreibung eines Methylphenidatpräparats. Das ist nicht in jedem Fall nachteilig. Wenn ein Patient positiv auf das Medikament anspricht ohne unerwünschte Begleiterscheinungen zu erleiden, spricht die klinische Erfahrung für die Fortsetzung der Behandlung. Noch vor einigen Jahren wiesen Kritiker missbilligend darauf hin, dass zu oft zu Ritalin gegriffen wird. Derzeit ist eine Trendumkehr zu beobachten. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) verlautbarte in einer aktuellen Publikation, dass die Zahl der Methylphenidatverschreibungen seit 2013 rückläufig ist. Problematisch sei lediglich die wachsende Zahl derer, die ohne Rezept eigenmächtig Ritalin kaufen