Bei Männern lässt im fortgeschrittenen Lebensalter die Testosteronproduktion nach. Diese Entwicklung ist naturgegeben, doch sie kann zu Potenzproblemen führen, was oft als negativ erachtet wird. Darüber hinaus kommt es zu einer Abnahme der Muskelkraft, einhergehend mit einem subjektiven Eindruck verringerter Agilität. Manche Herren sind damit nicht einverstanden. Der Absatz von Substitutionsprodukten steigt kontinuierlich. In den USA läuft ohne Unterlass eine Werbekampagne, die dem Testosteronmangel eine Wertigkeit beimisst, die von der Mehrheit der Experten als übertrieben betrachtet wird. Fernerhin fehlt für das Versprechen, dass eine externe Hormonzufuhr die Symptome aus der Welt schaffe, jeglicher Nachweis.
Als gesichert gilt nur, dass eine Hormonersatztherapie die Muskulatur stärkt, während sie zugleich den Körperfettanteil reduziert. Das erklärt die Beliebtheit einschlägiger Präparate in der Kraftsportszene. Doch die Datenlage im Hinblick auf physisches Leistungsvermögen, Potenz und Vitalität ist, gemäß der Ansicht einer Gruppe von Spezialisten der US-amerikanischen Academy of Medicine, eher unbefriedigend. Dieser Umstand gab den Ausschlag zur Realisierung der sogenannten T-Trials, einer Reihe von sieben Einzelstudien. Die Forscher erhalten Fördermittel vom National Institute on Aging (NIH) und von AbbVie Pharmaceuticals, dem Herstellers eines der populärsten Testosteronpräparate.
Der Endokrinologe Prof. Peter J. Snyder von der Perelman School (Philadelphia) stellte Anfang 2016 die ersten Ergebnisse dreier Studien mit Hauptaugenmerk auf Agilität, Körperfunktionen und sexuelle Aspekte vor. Die Probanden, 790 männliche Personen ab 65 mit Testosteronmangel, wiesen vor Studienbeginn jeweils eine Plasmaspiegel von unter 275 mg/dl auf. Sie erhielten zur täglichen Anwendung ein Gel. Bei der Hälfte der Teilnehmer enthielt es ein Placebo, der Rest bekam Testosteron. Die Dosis wurde so abgestimmt, dass die Testosteronwerte auf das Niveau eines 19- bis 40-jährigen anstiegen. Um die Risiken für die Freiwilligen zu minimieren, gab es zahlreiche Ausschlusskriterien. Prostatakrebs bzw. dessen Vorstufen, Infektionen der Harnwege, anormale Hämoglobinbefunde, Alkoholismus, Drogenabhängigkeit, verschiedene Herzkrankheiten, Leberfunktionsstörungen, ein Body-Mass-Index über 37 kg/m², psychiatrische Störungen und Krebserkrankungen sind nur einige davon. Nur 1,5 % der zu den Voruntersuchungen erschienenen Personen erfüllten alle geforderten Voraussetzungen.
Bei vielen Teilnehmern bestanden neben dem Testosteronmangel noch andere Beeinträchtigungen, meist Übergewicht und hoher Blutdruck. Bei rund 33 % wurde Diabetes festgestellt und 20 % litten an einem Schlafapnoe-Syndrom. Die Studienergebnisse dokumentieren in mancher Hinsicht nur mäßige Nutzeffekte. Die Sexualfunktionen der Probanden zeigten geringfügige Verbesserungen. In den täglich auszufüllenden Fragebögen berichteten sie etwas öfter von geschlechtlicher Erregung bzw. sexueller Aktivität, doch der Einfluss auf Erektionsstörungen ist geringer als bei herkömmlichen Potenzmitteln.
Die Wirkung auf die allgemeine Fitness ist gleichermaßen marginal. Eine augenfällige Steigerung ist nur in der Gesamtbetrachtung der Ergebnisse aller drei Studien zu erkennen. In der Testosterongruppe verbesserten 20,5 % der Probanden ihre Gehstrecke über 6 Minuten um 50 Meter. In der Placebogruppe schaffen das 12,6 %. Die Streckendifferenz zwischen beiden betrug durchschnittlich 6,69 m. Die messbaren Fortschritte blieben hinter dem individuell wahrgenommenen Empfinden zurück. Hinsichtlich der Vitalität bestand im Gruppenvergleich keinerlei Unterschied, so dass die Zunahme derselben als Placebo-Phänomen entlarvt wurde. Angesichts der überschwänglichen Bewertung der Testosterontherapie in der US-Öffentlichkeit ist dies ein überraschender Befund. Zumindest ist ein leicht positiver Einfluss auf Stimmungslage und Depressivität erkennbar.
Verträglichkeit und Sicherheit der Therapie sind nach einem Jahr noch nicht abzuschätzen. Die Nebenwirkungsrate ist in beiden Gruppen gleich. Die Testosterongruppe verzeichnete höhere PSA-Werte. Bei drei Testosteron-Patienten und einem aus der Placebogruppe wurde ein Prostatakarzinom diagnostiziert. Kein Anstieg ist bei Herz-Kreislauf-Problemen festzustellen; die Forscher gehen davon aus, dass für derartige Folgewirkungen die einjährige Nachbeobachtungszeit zu kurz ist. Tumore und Herz-Kreislauf-Erkrankungen werden bei zukünftigen Forschungen im Mittelpunkt stehen.