Düsseldorfer Transplantationsmediziner haben
Nierenlebendspenderin mangelhaft aufgeklärt.
Oberlandesgericht Düsseldorf (Aktenzeichen I-8 U 115/12)
Das Oberlandesgericht Düsseldorf (OLG) hat am 25. August 2016 die
Berufung des Universitätsklinikums Düsseldorf und zweier beklagter
Ärzte gegen das Urteil des Landgerichts Düsseldorf (LG), Aktenzeichen
3 O 388/10, das zuvor bereits zu Gunsten der Klägerin ergangen war,
zurückgewiesen.
Der Fall
Im Jahr 2007 spendete die damals 28-jährige Klägerin ihrer Mutter
eine Niere. Infolge des Nierenverlustes erlitt die zuvor gesunde und
sportliche junge Frau einen so immensen Leistungseinbruch, dass sie
ihren Beruf als aktive Fluglotsin aufgeben musste. Die chronischen
Erschöpfungserscheinungen auf Grund der Einnierigkeit und der dadurch
gesunkenen Nierenfunktion, auch diskutiert als sogenanntes
"Fatigue-Syndrom" nach Nierenlebendspende, führten bei der Spenderin
zu erheblichen Beeinträchtigungen im Bereich der körperlichen Fitness
und kognitiven Verarbeitung. Die Klägerin ist nur noch sehr
eingeschränkt berufstätig.
Inhaltliche Aufklärung fehlerhaft
Das Gericht stellt in seinem Urteil fest, dass bei
Organlebendspenden besonders hohe Anforderungen an die Aufklärung
über Operationsrisiken zu stellen sind. In Anlehnung an die besonders
umfassende Risikoaufklärung bei kosmetischen Eingriffen, sind auch
die Anforderungen an die Aufklärung über Risiken bei "fremdnützigen"
Eingriffen, wie Blut- und Organlebendspenden zu werten. Auch Risiken,
die eventuell nur "entfernt als Folge" in Betracht kommen, seien in
die Aufklärung einzubeziehen.
Das OLG betont in seinem Urteil, dass die Klägerin im konkreten
Fall nicht ausreichend über die gesundheitlichen Risiken einer
Nierenlebendspende aufgeklärt worden sei. Gutachterlich bestätigt und
vom Gericht entsprechend gewertet wurde, dass bereits im Jahr 2007
über das Risiko "einer anhaltenden Müdigkeits- und
Erschöpfungs-symptomatik (Fatigue) nach erfolgter Nierenlebendspende"
aufgeklärt hätte werden müssen. Die zum Zeitpunkt der
Nierenlebendspende vorliegende Studienlage bestätige laut OLG das
Risiko eine solche körperliche Beeinträchtigung in Folge der Spende
zu erleiden. Dieses liege bei fünf bis zehn Prozent der
Nierenlebendspender nach Spende.
Über dieses Risiko sei aufzuklären, heißt es im Urteil. Dabei sei
auch unerheblich, so das OLG ausdrücklich, wie gesichert die
Risikoeinschätzung auf Grund der Studienlage zum Zeitpunkt der Spende
schon war. Maßgeblich sei viel-mehr, dass das Risiko in Folge der
Spende eine anhaltende Müdigkeits- und Erschöpfungssymptomatik zu
erleiden, bereits nach Kenntnisstand und Studienlage zum Zeitpunkt
der Spende von den Transplanteuren in Betracht zu ziehen war.
Diese zutreffende Feststellung des OLG wird seitens der IGN e. V.
begrüßt. Die Klinik und die transplantierenden Ärzte hatten sich im
Laufe des Verfahrens immer wieder auf den Standpunkt zurückgezogen,
dass es zwar möglicherweise Berichte und Studien über ein anhaltendes
Müdigkeits- und Erschöpfungssyndrom nach einer Lebendnierenspende
gebe, jedenfalls zum Zeitpunkt der Spende der Klägerin, sei dieses
Risiko - so die Beklagten - noch nicht gesichert. Deshalb sei es auch
nicht allgemein üblich gewesen, die Spender über dieses Risiko
aufzuklären.
Zu Recht hat das OLG einer derartigen Haltung, die auch
tatsächlich bisher auf dem gesundheitlichen Rücken der Organspender
ausgetragen wurde, mit seinem Urteil eine deutliche Absage erteilt.
Die IGN e. V. wird die zukünftige Aufklärungspraxis der Kliniken mit
Interesse verfolgen.
Entscheidungskonflikt glaubhaft
Die Klägerin habe, so das Gericht, auch plausibel dargelegt, dass
sie bei ordentlicher Aufklärung einer Nierenlebendspende nicht
zugestimmt hätte. Ob überhaupt die Darlegung eines
Entscheidungskonflikts bei einer fremdnützigen Operation notwendig
ist, wird zudem in juristischen Fachkreisen diskutiert. Das OLG
jedenfalls entschied sich für die Darlegungspflicht.
Keine Revision zugelassen
Das Urteil wurde vom OLG nicht zur Revision zugelassen. Hiergegen
kann innerhalb von einem Monat eine Nichtzulassungsbeschwerde beim
BGH eingereicht werden. So lange ist das Urteil noch nicht
rechtskräftig.
Ralf Zietz, 1. Vorsitzender der IGN e. V.:
"Dieses Urteil muss zu einer nachhaltigen Änderung der
Aufklärungspraxis bei der Nierenlebendspende führen. Dass
Transplantationsmediziner, nicht nur in Düsseldorf bewusst bekannte
Risiken verschwiegen, ist skandalös. Der Schutz des gesunden
potentiellen Spenders steht an erster Stelle vor allen anderen
Interessen. Darüber hinaus darf eine Ablehnung der Spende oder ein
Rücktritt von der Spende-Absicht gesellschaftlich nicht geächtet
werden. Nichts anderes verlangt Artikel 2 Absatz 2 unseres
Grundgesetztes, der klarstellt, dass jeder ein Recht auf Leben und
körperliche Unversehrtheit hat".
Weitere juristische Auskünfte erteilt der juristische Beirat der
IGN e. V. Herr Rechtsanwalt Martin Wittke, LL.M., c/o Rassek, Ehinger
& Partner, 77815 Bühl, Tel.: 07223-9876-0
Pressekontakt:
Ralf Zietz, 1. Vorsitzender, Interessengemeinschaft
Nierenlebendspende e. V., 27321 Thedinghausen, Fon: 04204-685478,
Email: ralf.zietz@nierenlebendspende.com, Internet:
www.nierenlebendspende.com.