Dass die Versorgung mit patentfreien Arzneimitteln über Apotheken
in Deutschland durch Lieferengpässe in keiner Weise gefährdet ist,
bestätigen die Apotheken selbst: Bei lediglich 0,6 Prozent aller 2016
zulasten der GKV abgerechneten Arzneimittel haben Apotheken ein
Lieferversagen des Herstellers dokumentiert und mussten ein
austauschbares Arzneimittel abgeben, wie Daten der Gesellschaft für
statistische Gesundheitsforschung (GfsG) ausweisen. Wie jetzt
ebenfalls eine repräsentative forsa-Befragung von Patientinnen und
Patienten belegt, ist die Versorgung bei verschreibungspflichtigen
Arzneimitteln aus dem patentfreien Markt in den Apotheken absolut
gesichert. Ernste Schwierigkeiten liegen woanders, wie die Spitzen
der AOK Baden-Württemberg, des Bundesverbandes Deutscher
Krankenhausapotheker (ADKA), der Arzneimittelkommission der deutschen
Ärzteschaft sowie der stellvertretende Vorsitzende der
SPD-Bundestagsfraktion vor der Hauptstadtpresse klarmachten. Für
Kliniken stellt eine aktuelle ADKA-Erhebung Engpässe bei wichtigen
Arzneimitteln fest. Betroffen seien im wesentlichen Arzneimittel, die
nur für den Klinikmarkt hergestellt werden, darunter viele Lösungen
zur Injektion wie Antibiotika, Krebsmedikamente und Anästhetika.
Insgesamt fehle jede Transparenz im Markt, da bisher Pharmahersteller
selbst entscheiden, ob sie Lieferprobleme der zuständigen
Bundesoberbehörde melden. Letztlich ist völlig unklar, welche
Arzneimittelmengen sich überhaupt im deutschen Markt befinden.
Die von der AOK Baden-Württemberg bei forsa in Auftrag gegebene,
repräsentative Studie über die Arzneimittelversorgung durch
Offizin-Apotheken zeigt punktuell Lieferversagen durch
pharmazeutische Unternehmen auf, wobei Gründe nicht verifizierbar
sind. Ein Lieferversagen bei Arzneimitteln ohne gleichartige oder
gleichwertige Alternative kann kritische Folgen für betroffene
Patientinnen und Patienten haben. Solche Alternativen fehlen
grundsätzlich bei patentgeschützten Arzneimitteln und bei speziellen
Arzneimitteln in der Klinik: "Klarheit über die tatsächliche
Versorgungssituation wird durch die Blackbox, wie viele Arzneimittel
im Markt wirklich vorhanden sind, unmöglich gemacht. Die Folgen
können Patientinnen und Patienten hautnah zu spüren bekommen. Deshalb
ist eine umfassende Transparenzoffensive überfällig. Das Prinzip der
Freiwilligkeit von Defektmeldungen durch die Pharmaindustrie hat
versagt. Die Beschlüsse der Koalition vom Montag dieser Woche sind
deshalb auch ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung, es muss
aber darüber hinaus um gesetzlich sanktionierbare Pflichten und
Nachhaltung gehen", so Dr. Christopher Hermann, Vorstandschef der AOK
Baden-Württemberg. Dringlich sei es, die Rolle des Bundesinstituts
für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) dadurch deutlich zu
stärken, dass Pharmaunternehmen Lieferprobleme und alle Akteure der
Handelskette ebenso verpflichtend dem Bundesinstitut als Trustcenter
regelmäßig ihre Lagerbestände übermitteln.
An Kliniken ist die Versorgungssituation insgesamt deutlich
brisanter. Aus einer vom ADKA aktuell durchgeführten Umfrage bei
Krankenhausapotheken mit einer Versorgungsrelevanz von über 30.000
Betten und damit über 6% der nationalen Krankenhauskapazitäten geht
hervor, dass eine bedenkliche Anzahl versorgungskritischer
Arzneimittel in Kliniken fehlen. "Insgesamt sind Arzneimittel mit 280
verschiedenen Wirkstoffen nicht verfügbar gewesen, darunter 30, die
die jeweilige Klinikapotheke als versorgungskritisch einstuft", so
der ADKA-Präsident, Rudolf Bernard. Von den betroffenen Arzneimitteln
dieser 30 Wirkstoffe meldeten die verantwortlichen Hersteller
lediglich acht an das BfArM. Bernard: "Hier werden drei Probleme
offensichtlich: Es fehlen für die Versorgung in der Klinik wichtige
Arzneimittel, es wird von den Verantwortlichen nicht transparent
gemacht und das Ganze hat keinerlei Konsequenzen für die Hersteller.
So geht das nicht weiter."
Für den Vorsitzenden der Arzneimittelkommission der deutschen
Ärzteschaft, Prof. Wolf-Dieter Ludwig, muss die Erfassung drohender
Versorgungsprobleme im Klinikbereich bereits auf Herstellerebene
greifen: "Im stationären Bereich agieren ganz überwiegend die
Klinikapotheken und die pharmazeutischen Unternehmen miteinander.
Selbst ernste Probleme in der Versorgung unserer Patienten aufgrund
von Lieferengpässen bei unverzichtbaren Arzneimitteln werden so in
der Regel nicht systematisch erfasst. Kliniken, Ärzte und
insbesondere die Krankenhausapotheker tun ihr Möglichstes, Probleme
für die Patienten infolge von Versorgungsengpässen zu lösen, können
aber mitunter im Einzelfall heute nicht immer die optimale
medikamentöse Therapie anbieten. Die vorgetragenen Zahlen
verdeutlichen, dass die Arzneimittelhersteller das Prinzip der
Freiwilligkeit bei der Meldung von Liefer- und Versorgungsengpässen
ausnutzen, um ihre Lieferfähigkeit zu beschönigen."
Erst durch die notwendige Transparenz kann die
Versorgungssicherheit von Arzneimitteln bei den Patientinnen und
Patienten spürbar erhöht werden - im ambulanten wie im klinischen
Bereich, so Prof. Karl Lauterbach, stellvertretender Vorsitzender der
SPD-Bundestagsfraktion. "Die aufgezeigten Probleme und ihre Folgen
machen ein Handeln der Politik dringend notwendig. Insofern freue ich
mich, dass der Bundestag noch in dieser Woche im Falle bekannt
gewordener Lieferengpässe eine Meldepflicht von pharmazeutischen
Unternehmen an Krankenhäuser beschließen wird. Diesem ersten
wichtigen Schritt müssen weitere folgen."
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