Als "brandgefährlich" hat Prof. Josef Hecken, der
Vorsitzende des Gemeinsamen Bundesausschusses, die Entscheidung des
Landessozialgerichts (LSG) Berlin-Brandenburg bezeichnet, die im
Rahmen des AMNOG verhandelten Mischpreise nicht mehr per se als
wirtschaftlich anzuerkennen. Der G-BA-Chef befürchtet einen
Stillstand bei der Arzneimittelentwicklung. Die Forderungen nach
einer schnellen gesetzlichen Regelung werden lauter.
Werde bei der frühen Nutzenbewertung kein Zusatznutzen
festgestellt, bedeute das nicht, dass ein Produkt schlecht sei -
sondern nur, dass es noch keine Evidenz gebe, erklärte Hecken laut
Ärztezeitung. "Ich befürchte, es kommt zu einem Stillstand bei der
Arzneimittel-Entwicklung." Seiner Meinung nach sei wichtig, dass über
diese Rechtsprechung diskutiert würde.
Nur diskutieren aber ist dem Bundesverband der Pharmazeutischen
Industrie (BPI) zu wenig. Er fordert, die gelebte Praxis der
Mischpreisbildung möglichst schnell gesetzlich zu verankern . Dazu
besteht in dieser Legislaturperiode nach Ansicht des Verbands auch
eine Chance: Denn noch vor der Sommerpause will die Bundesregierung
das "Blut- und Gewebe-Gesetz" verabschieden.
Eigentlich soll das neue Gesetz die Versorgung mit Blut- und
Gewebezubereitungen sowie Arzneimitteln für neuartige Therapien
verbessern. Es könnte aber als "Omnibus" für weitere Änderungen im
Sozialgesetzbuch herhalten. Formal ist das, so der BPI, "die letzte
Möglichkeit, in dieser Legislatur noch richtigzustellen, dass der
verhandelte oder durch Schiedsspruch festgelegte Erstattungsbetrag
für neue Arzneimittel auch bei Bildung von sogenannten Mischpreisen
über das gesamte zugelassene Indikationsgebiet wirtschaftlich ist."
Der BPI-Vorstandsvorsitzende Martin Zentgraf ist sicher: "Nur mit
dieser rechtlichen Klarstellung können negative Auswirkungen des
LSG-Beschlusses auf laufende Preisverhandlungen und das
Verordnungsverhalten verhindert werden." Nun sei das Parlament
gefordert.
Warum Mischpreise?
Mischpreise sind eine im AMNOG gelebte Praxis. Sie werden
gebildet, wenn zu einem Medikament für verschiedene Patientengruppen
unterschiedliche Nutzenbewertungsbeschlüsse ergangen sind. Diese
verschiedenen Konstellationen werden im AMNOG durch die Bildung von
Mischpreisen abgedeckt: Ein Preis für das Medikament gilt über alle
Patientengruppen hinweg. Sie sind ein Kompromiss zwischen den
Preisvorstellungen der Pharmaunternehmen und denen der Krankenkassen.
Mischpreise stellen sicher, dass ein im Rahmen des AMNOG
ausgehandelter Preis für ein Arzneimittel allgemein gültig ist: Er
gilt für das Präparat, egal welchen Zusatznutzen es in einzelnen
Patientengruppen ausgewiesen bekommen hat. Für die Ärzte ist der
Mischpreis deshalb bisher das klare Signal: Ich verordne
wirtschaftlich - und zwar unabhängig von der Patientengruppe.
Nachteil für Patienten
Über die Folgen des LSG-Urteils aus Potsdam sind sich BPI und
Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) einig: Für die Patienten
könnte der Schiedsspruch gegen die Gültigkeit der Mischpreise ein
erheblicher Nachteil sein. Laut KBV hat die Entscheidung der Richter
- obwohl noch nicht rechtskräftig - zu erheblicher
Verordnungsunsicherheit bei niedergelassenen Ärzten geführt. Denn
wenn die Ärzte solche Medikamente verschreiben, drohe ihnen ein
Regressrisiko, so der stellvertretende Vorstandsvorsitzende der KBV,
Stephan Hofmeister. Die KBV verlangt deshalb ebenfalls eine
Klarstellung - und fügt hinzu, dass Patienten in der Praxis nicht
immer eindeutig einer Gruppe zugeordnet werden können. Besonders
betroffen sieht die KBV vor allem Patienten, die unter seltenen
Erscheinungsformen schwerer Erkrankungen leiden.
Das Ganze ist übrigens alles andere als ein Randthema des AMNOG:
Der BPI hat vorgerechnet, dass rund ein Fünftel aller im
Nutzenbewertungsverfahren beurteilten Arzneimittel von dem Beschluss
des Landessozialgerichts betroffen wären. "Bei diesen Arzneimitteln
könnte sich der Arzt bei etwa jedem dritten Patienten nicht mehr
sicher in seiner Verordnungsentscheidung sein." Verunsicherung bei
den Ärzten aber ist eine ganz große Hürde, die einer guten Versorgung
selten zuträglich ist.
Die Forderung nach gesetzlicher Regelung hat viele Anhänger
Über die gelebte Praxis der Mischpreisbildung waren viele
Krankenkassen nie so richtig glücklich. Und auch diesmal bekräftigt
Christopher Hermann, Vorstandsvorsitzender der AOK Baden-Württemberg:
"Die Eilentscheidung des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg
weist in die richtige Richtung." Er sieht auch keinen Eingriff in die
Therapiefreiheit der Ärzte.
Diese Meinung aber dürften die Krankenkassen relativ exklusiv
haben. Das zeigt nicht nur die Reaktion der politischen
Interessenvertretung der Ärzte. Auch Prof. Jürgen Wasem,
Wissenschaftler und Vorsitzender der Schiedsstelle im AMNOG, will
Mischpreise gesetzlich verankert sehen. Denn sonst drohten
"massenweise Verordnungsausschlüsse", wie er gleich nach dem Urteil
im März verkündete.
Die Stärken der Mischpreise
Die gängige Praxis der Mischpreisbildung hat gleich mehrere
Vorteile:
- Mischpreise sorgen für Sicherheit in der Versorgungspraxis. Denn
der Arzt weiß, dass er immer "wirtschaftlich verordnet" - auch wenn
sein Patient in eine Gruppe fällt, für die ein Zusatznutzen nicht
belegt werden konnte.
- Mischpreise ermöglichen den Zugang der Patienten zu innovativen
Medikamenten, weil der Arzt unabhängig von wirtschaftlichen
Überlegungen patienten-individuell verordnen kann. Die einheitlichen
Preise unterstützen die Mediziner in ihrer Therapiefreiheit.
- Mischpreise sorgen für Flexibilität in den Preisverhandlungen
zwischen dem pharmazeutischen Unternehmer und dem GKV-Spitzenverband.
Sie machen Kompromisse möglich. Denn AMNOG-Bewertungen sind nicht
unfehlbar. Bloß weil kein Zusatznutzen festgestellt wurde, heißt das
noch lange nicht, dass keiner vorhanden ist. Häufig verbirgt sich
dahinter ein Streit um die richtige Methode, den Zusatznutzen
darzustellen.
- Mischpreise vermeiden überbordende Bürokratie. Denn wer will bei
der wachsenden Anzahl von Teilentscheidungen den Überblick behalten -
ohne klare und einheitliche Preise?
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