Seit Jahresbeginn 2017 durchlaufen die
Antibiotikamedikamente aus der Gruppe der Fluorchinolone wegen
schwerwiegender Nebenwirkungen eine neue Risikobewertung durch die
Europäische Zulassungsbehörde für Arzneimittel (EMA). Bezogen auf
alle Antibiotikaverordnungen wurden diese Wirkstoffe 2015 am
vierthäufigsten verordnet. Die betroffenen Wirkstoffe sind
antibakteriell wirksam und können schwerwiegende, lebensbedrohende
Infektionen heilen. Leider werden sie in der Praxis häufig auch bei
Bagatellerkrankungen wie unkomplizierten Harnwegsinfekten oder
Bronchitis und Sinusitis ambulant verordnet. "Angesichts der
möglichen schwerwiegenden und langandauernden Nebenwirkungen wie
Sehnenrissen, psychischen Störungen wie Depressionen und
Angstzuständen, sollten diese Reserveantibiotika nur nach gründlicher
Nutzen-Risiko-Abwägung durch den Arzt eingesetzt werden", so Helmut
Schröder, stellvertretender Geschäftsführer des Wissenschaftlichen
Instituts der AOK (WIdO).
Um Patienten vor dem Einsatz unsicherer Arzneimittel zu schützen,
werden Meldungen von Nebenwirkungen durch das Bundesinstitut für
Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) erfasst. Je nach Häufigkeit
und Schwere dieser Meldungen kann bei der europäischen
Zulassungsbehörde (EMA) ein Risikobewertungsverfahren angestoßen
werden. Solch ein Verfahren wurde im Februar 2017 für Fluorchinolone
initiiert. Insgesamt befinden sich derzeit nur fünf weitere
unterschiedliche Arzneimittel bzw. Arzneimittelgruppen in einem
derartigen Überprüfungsverfahren durch die EMA - bei den rund 2.500
im Einsatz befindlichen Wirkstoffen und Wirkstoffkombinationen eine
vergleichsweise geringe Zahl.
Die nunmehr unter Beobachtung stehende Wirkstoffgruppe der
Fluorchinolone stellte 2015 mit knapp 5,9 Millionen verordneten
Arzneimittelpackungen die viertgrößte Gruppe der Antibiotika dar, die
von niedergelassenen Ärzten verordnet wurden. Damit entfielen 16,4
Prozent der insgesamt rund 38 Millionen Antibiotikaverordnungen auf
die in Prüfung befindlichen Fluorchinolone. Nach einer Hochrechnung
des WIdO auf der Grundlage der AOK-Versicherten haben 2015 mehr als
vier Millionen GKV-Versicherte und damit sechs Prozent der mehr als
70 Millionen GKV-Versicherten diese Antibiotika erhalten. Führend bei
diesen Wirkstoffen ist Ciprofloxacin mit fast 63 Prozent der
Verordnungen.
Mehr als zwei Drittel (70 Prozent) dieser Verordnungen werden von
Hausärzten vorgenommen. Das sowie das Ausmaß der Verordnungen bei den
niedergelassenen Ärzten insgesamt lässt darauf schließen, dass
Fluorchinolone nicht ausschließlich bei schwerwiegenden und
lebensbedrohlichen Erkrankungen zum Einsatz kommen.
Dabei wäre es vor dem Hintergrund einer fortschreitenden
Resistenzentwicklung sinnvoller, die Fluorchinolone als
Reservesubstanzen zurückhaltend einzusetzen. Bei vielen Indikationen
sollte den "älteren" und langjährig erprobten, aber dennoch gut
wirksamen Substanzen der Vorzug gegeben werden. Hier besteht
Aufklärungsbedarf sowohl in Richtung Patienten als auch der
Ärzteschaft. Patienten sollten über die Gefahren und Alternativen von
Antibiotika, die auf "floxacin" enden, vor deren Einnahme aufgeklärt
werden.
Grundsätzlich gilt die "goldene" Regel bei der Verordnung von
Antibiotika nach wie vor: So selten wie nötig und so gezielt wie
möglich. "Nur so kann sichergestellt werden, dass die zukünftigen
Therapiechancen eines Antibiotikums nicht leichtfertig aufs Spiel
gesetzt und gleichzeitig die Patienten nicht unnötigen Gefahren
ausgesetzt werden", so Schröder.
Die Verordnungsdaten über rund 657 Millionen
Arzneimittelverordnungen des Jahres 2015, unter ihnen auch die
Verordnungen der beschriebenen Antibiotika und der Gruppe der
Fluorchinolone, stehen allen Interessierten zur kostenfreien Nutzung
im PharMaAnalyst des WIdO (http://arzneimittel.wido.de/PharMaAnalyst)
zur Verfügung.
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Christine Göpner-Reinecke
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