Der inzwischen hohe Anteil von Menschen mit
psychischen Erkrankungen wirkt sich nicht nur auf die Betroffenen
selbst und deren Umfeld lähmend und energiezehrend aus. Die immensen
volkswirtschaftlichen und gesellschaftlichen Belastungen sind ein
nicht minder großes Problem. Ein aus dem Kanadischen übertragenes
ergotherapeutisches Therapieprogramm lässt sogar Menschen mit
schwerer Depression, Zwangsstörung, Schizophrenie und weiteren
psychischen Leiden hoffen. "Es geht an erster Stelle darum, diese
Menschen aus ihrer Schwere und der Einseitigkeit ihrer Aktivitäten zu
holen.", erklärt der Ergotherapeut und Mitautor des deutschen
Therapieprogramms Andreas Pfeiffer vom DVE (Deutscher Verband der
Ergotherapeuten e.V.).
Es ist eine negative Dauerschleife, in der sich Menschen mit
psychischen Problemen befinden. Sie empfinden eine Schwere, die sie
lähmt. Die verhindert, dass sie aktiv sind, die Dinge tun, die
wichtig sind wie morgens aufstehen, sich duschen, einen regelmäßigen,
strukturierten Alltag haben und Teil der Gesellschaft sein. Und die
dazu führt, dass die Tage von einer großen Einseitigkeit geprägt
sind, die sie und das Umfeld oft als Aktivitätslosigkeit empfinden.
"Auf der Suche nach wissenschaftlich untermauerten Möglichkeiten, wie
wir die Situation dieser Patienten verbessern können, sind wir auf
das kanadische Therapieprogramm ''Action over Inertia'', frei übersetzt
''Handeln gegen Trägheit'', gestoßen. Wobei Trägheit im physikalischen
Sinne zu verstehen ist, also nicht als Aktivität des Nichts-Tuns oder
als faul sein.", setzt sich der Ergotherapeut Pfeiffer mit den
Feinheiten des Therapieprogramms auseinander.
Aktivitätsmuster analysieren und verändern
Das ergotherapeutische Therapieprogramm ''Handeln gegen Trägheit''
bietet eine Vielzahl von Arbeitsmaterialien für die Patienten. So
beantworten diese selbstständig Fragebögen zu ihrem Alltag; der
Ergotherapeut fungiert dabei als Coach, Moderator und den Prozess
Steuernder. Entscheider bleiben die Patienten; dadurch empfinden sie
Kompetenz und Eigenständigkeit. Das ist Teil des Therapieprogramms.
Und eine ergotherapeutische Grundhaltung: Dem Gegenüber auf Augenhöhe
zu begegnen und widerzuspiegeln, dass er etwas kann, er selbst
bestimmt. Ein weiteres Element dieser Arbeitsmaterialen sind die
sogenannten Aktivitätsmuster. Die Auswertung der Antworten zu den
Bereichen des Alltags, also Selbstversorgung, Produktivität, Freizeit
und Erholung, erfolgt in Form eines Balkendiagramms und zeigt auf
einen Blick, mit welchen Aktivitäten der Patient seinen Alltag
verbringt. Ob eine Ausgewogenheit da ist oder ob es Schwerpunkte
gibt, was bedeutet, dass auch (Aktivitäts)Defizite vorhanden sind.
Menschen, bei denen aufgrund ihrer Problematik kaum oder gar keine
Aktivitäten in bestimmten Bereichen stattfinden, können diese
Einseitigkeit im gezeigten Diagramm sofort selbst erkennen. Der
nächste Schritt von Ergotherapeuten ist dann, ihren Klienten Impulse
zu geben, sie zu befähigen, diese Aktivitätsdefizite zu überwinden.
Diese Form der Verhaltensaktivierung durch Ergotherapeuten ist ein
neuer Ansatz, der seine Wurzeln in der Depressionsbehandlung hat. Und
der in seiner Wirkung einer kognitiven Verhaltenstherapie durch
Psychotherapeuten in nichts nachsteht, in Summe sogar kostengünstiger
und mit weniger Aufwand verbunden ist.
Therapieprogramm als Schlüssel zum Erfolg
Diesen Effekt haben Ergotherapeuten mittlerweile in einer Studie
belegt: Bereits nach zwölf Einheiten Ergotherapie gibt es einen
messbaren Erfolg. Innerhalb einer Regelverordnung von 40 Einheiten
erzielen sie durchgreifende Resultate. Einer der Gründe, so Pfeiffer:
"Quick changes, also schnelle Veränderungen. Wir beginnen mit einem
kleinen Ziel, das derjenige ziemlich sicher erreichen kann. Die
Bestätigung, etwas mit Erfolg tun zu können, motiviert zum
Weitermachen, bewirkt eine Dynamik." Und dies, so wie es sich auch in
der Physik beim Thema Trägheit verhält, verleiht den Betroffenen die
Energie, auch schwerere oder komplexere Ziele anzugehen und zu
erreichen.
Einen erfüllten Alltag durch Aktivitätsbalance
Nach solch beeindruckenden Erfolgen stellt sich üblicherweise die
Frage, wie es weiter geht. "Bisher", betont der Ergotherapeut "haben
wir immerhin die "harten Nüsse" im Bereich der psychischen
Erkrankungen geknackt und erlebt, dass das Therapieprogramm auch bei
weniger schwer Betroffenen gut anwendbar ist. Wir arbeiten daran, es
auch für weitere Bereiche zu adaptieren." Auf die Frage, ob das
Programm auch für Menschen vorstellbar sei, die aus welchen Gründen
auch immer einen einseitigen Alltag, also Aktivitätsschwerpunkte
haben, antwortet der Experte: "Jeder ergotherapeutischen Intervention
geht ein Arztbesuch voraus. Aber mit dem Wissen, dass und welche
Hilfe es gibt, steht ein Gespräch mit dem Haus- oder Facharzt unter
einem ganz anderen Stern.". Und er schließt mit dem Resümee:
"Grundsätzlich gilt: Ergotherapeuten sind die Spezialisten, die ihren
Klienten zu einem funktionierenden, erfüllten Alltag in
Aktivitätsbalance verhelfen."
Informationsmaterial gibt es bei den Ergotherapeuten des DVE
(Deutscher Verband der Ergotherapeuten e.V.); Ergotherapeuten in
Wohnortnähe auf der Homepage des Verbandes im Navigationspunkt
Ergotherapie und Therapeutensuche und das Buch zum Therapieprogramm
"Handeln ermöglichen" beim Schulz-Kirchner-Verlag.
Pressekontakt:
Angelika Reinecke, Referentin für Öffentlichkeitsarbeit des DVE e.V.
Telefon: 033203 - 80026, E-Mail: a.reinecke@dve.info
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