fit und munter - Brustkrebs: Leben - ohne dass die Krankheit fortschreitet

fit und munter

Brustkrebs: Leben - ohne dass die Krankheit fortschreitet


Der Nutzen von Medikamenten wird über klinische
Endpunkte gemessen. Doch über deren Relevanz gibt es immer wieder
Streit. Aktuelles Beispiel aus der Krebsbehandlung: der
Studienendpunkt "progressionsfreies Überleben" (PFS). Er ist
definiert als die Zeitspanne zwischen Therapiebeginn und dem
Fortschreiten der Erkrankung. Während die Europäische
Arzneimittelagentur EMA, Behörden im Ausland und auch
Fachgesellschaften der Verlängerung der progressionsfreien Zeit einen
hohen Nutzen für Patienten zusprechen, sehen das deutsche Behörden
oft anders.

Natürlich: Frauen mit metastasiertem Brustkrebs wünschen sich in
erster Linie, so lange wie möglich zu leben. Doch schon das
Hinauszögern des Krankheitsprogresses ist für sie von enormer
Bedeutung, erzählt Eva Schumacher-Wulf. Sie weiß, wovon sie spricht:
Mit 34 Jahren - als Mutter von zwei kleinen Kindern - wurde bei ihr
Brustkrebs diagnostiziert. Heute ist sie Chefredakteurin des
"Mamma Mia!"-Brustkrebsmagazins. Als solche hat sie nun eine
Online-Petition (http://ots.de/k5D0S) initiiert - mit der Forderung
an die Politik, dass der Studienendpunkt "progressionsfreies
Überleben" (progression free survival, PFS) gemäß internationaler
Standards auch in Deutschland als patientenrelevant anerkannt wird.
Bis zum 25. November kann noch unterschrieben werden.

In Ihrer Online-Petition fordern Sie "die Wahrung von
Patienteninteressen bei der Beurteilung von Krebsstudien durch den
G-BA". Warum?

Es geht grundsätzlich um die Frage, was in der Beurteilung von
neuen Medikamenten als "patientenrelevanter Nutzen" anzusehen ist.
Hier unterscheidet sich die Meinung des Gemeinsamen Bundesausschusses
(G-BA) in einigen Punkten erheblich von der Sichtweise der Patienten,
aber auch der Zulassungsbehörden, Fachgesellschaften und der
Gesundheitsbehörden unserer Nachbarländer. So wird z.B. der Endpunkt
"progressionsfreies Überleben" (PFS) von Zulassungsbehörden als
patientenrelevant angesehen und Fachgesellschaften sehen es als
erklärtes Therapieziel, das Fortschreiten der Krankheit so lange wie
möglich aufzuhalten. Der G-BA jedoch sieht darin meist keinen
patientenrelevanten Nutzen. Wir fordern daher, dass der
Studienendpunkt PFS als Therapieziel gemäß internationaler Standards
auch in Deutschland als patientenrelevant anerkannt wird.

Was bedeutet "progressionsfreies Überleben" (PFS) und wie wird es
gemessen?

PFS zeigt im metastasierten Krankheitsstadium die Zeitspanne von
Therapiebeginn bis zum Fortschreiten der Krankheit an. Der Progress
wird in Studien meist durch bildgebende oder laborchemische
Diagnostik gemessen. Diesen Punkt betreffend hatte ich eine lange
Diskussion mit einem Vertreter des G-BA. Es ging um die Frage, ob das
Wissen um einen nicht-symptomatischen Progress einen Einfluss auf die
Lebensqualität der Patienten hat. Er beharrte auf der Meinung, das
Fortschreiten der Erkrankung würde die Lebensqualität erst dann
negativ beeinflussen, wenn Symptome wie Schmerzen auftreten. Wer mit
Patienten zu tun hat, weiß aber, dass alleine die Nachricht, dass der
Tumor wieder aktiv und progredient ist, einen enormen Einfluss auf
die Lebensqualität hat. Patienten brauchen einige Zeit, um sich von
diesem Schock zu erholen. Nicht selten können sie aufgrund der akuten
Belastungsstörung ihren Alltagsaktivitäten nicht in gewohnter Weise
nachkommen. In der Regel folgt ein Therapiewechsel, der mit neuen und
eventuell stärkeren Nebenwirkungen einhergehen kann.

Was sind die Ziele einer Krebsbehandlung aus Patientensicht?

Fragt man metastasierte Krebspatienten, was sie sich wünschen,
sagen sie zunächst, dass sie so lange wie möglich leben möchten. Sie
sagen aber auch, dass sie ihr gewohntes Leben so lange wie möglich
bei guter Lebensqualität weiterführen möchten, d.h. ohne durch
Schmerzen oder andere Symptome beeinträchtigt zu sein. Viele
Patienten, insbesondere Mütter kleinerer Kinder, würden jedoch jede
Nebenwirkung in Kauf nehmen, um das Tumorwachstum zu stoppen. Unter
dem Strich ist das Hinauszögern des Progresses etwas, was sich alle
Patienten wünschen. Wie viele Nebenwirkungen sie dafür bereit sind zu
ertragen, ist eine sehr individuelle Entscheidung.

Sie sagen: Die Behörden in Deutschland bewerten die Verlängerung
der progressionsfreien Zeit als patientenrelevanten Nutzen deutlich
restriktiver als Behörden im Ausland. Wie reagieren die Patienten
darauf?

Das sehen wir aktuell an der Nutzenbewertung von Palbociclib:
Patienten verfolgen sehr aufmerksam, was sich am Markt tut. So
erfahren sie, dass ein neues Medikament für eine bestimmte
Brustkrebsart zugelassen wurde. Sie lesen dann in den Leitlinien der
Arbeitsgemeinschaft Gynäkologische Onkologie (AGO), dass dieses
Medikament den höchsten Empfehlungsgrad erhalten hat. Der Arzt
erklärt ihnen, dass es zu einer zusätzlichen progressionsfreien Zeit
von durchschnittlich zehn Monaten führen kann. Daher lassen sich
viele Patientinnen damit behandeln. Und plötzlich heißt es seitens
des G-BA: "Dieses Medikament hat keinen patientenrelevanten
Zusatznutzen". Es sind nicht nur Fassungslosigkeit und Unsicherheit,
die sich breitmachen. Patienten fühlen sich mit ihren Bedürfnissen
nicht wahr- bzw. ernstgenommen. In vorauseilendem Gehorsam gibt es
schon erste Ärzte, die das Medikament nicht mehr verordnen. So melden
sich Palbociclib-Patientinnen bei uns, die ohne Rezept von ihrem Arzt
nach Hause gehen mussten. Ich denke, wir brauchen keine
wissenschaftlichen Erhebungen, um uns vorzustellen, wie es diesen
Frauen nach einem solchen Erlebnis geht.

Was muss sich Ihrer Meinung nach ändern, damit die Nutzenbewertung
von Arzneimitteln patientenfokussierter wird?

Die Präferenzen von Patienten müssen systematisch erfasst werden.
Daher fordern wir in unserer Online-Petition nicht nur ein Stimmrecht
für Patientenvertreter im G-BA, sondern regen zudem die Durchführung
einer repräsentativen Befragungsstudie von betroffenen Patienten zur
Patientenrelevanz von PFS und weiteren Studienendpunkten an - und
zwar unter Einbeziehung unserer Expertise von Anfang an. Die
Ergebnisse einer solchen Studie können helfen, die Nutzenbewertung
neu auszurichten. Außerdem ist es unerlässlich, dass sich
Zulassungsbehörden, Fachgesellschaften und G-BA zusammensetzen, um
über einheitliche Bewertungskriterien zu reden. Der G-BA betont immer
wieder, es ginge bei der frühen Nutzenbewertung nicht um Kosten. Wenn
das stimmt, dürfte eine Annäherung in der Bewertung nicht allzu
schwierig zu sein, schließlich ist von ein und denselben Patienten
die Rede.



Pressekontakt:
Winfried Rauscheder
Redaktion Pharma Fakten
www.pharma-fakten.de
E-Mail: redaktion@pharma-fakten.de
http://twitter.com/pharmafakten
Tel.: +49 89 1250 153 66

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