Fast ein Drittel der AMNOG-pflichtigen Arzneimittel sind in
Deutschland nicht oder nicht mehr verfügbar. Bei AMNOG-Arzneimitteln
mit hohem Zusatznutzen gibt es Versorgungslücken. Das sind die
Ergebnisse eines vom Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie
(BPI) in Auftrag gegebenen Gutachtens. Für den "AMNOG-Check 2017"
haben die Gesundheitsökonomen Prof. Dieter Cassel und Prof. Volker
Ulrich die Effekte von Nutzenbewertung und Preisfindung neuer
patentgeschützter Arzneimittel der vergangenen sechs Jahre empirisch
ausgewertet. Die Bilanz offenbart eine paradoxe Versorgungswelt.
Sechs Jahre nach ihrer Einführung offenbart die Frühe Nutzenbewertung
des AMNOG folgenreiche Effekte für die Arzneimittelversorgung der
Bevölkerung. Der AMNOG-Check des BPI belegt, dass sich durch
Nicht-Einführung und Marktaustritte von Arzneimittel-Innovationen in
Deutschland den Patienten immer weniger Therapiealternativen zur
Verfügung stehen. So hat sich die Verfügbarkeit von europäisch
zugelassenen Arzneimittel-Innovationen im Zeitraum 2011 bis 2015 von
98,5 % auf 82 % verringert.
Gleichzeitig führen Marktaustritte zunächst in Deutschland
eingeführter Präparate zu noch niedrigerer Verfügbarkeit. Die
empirische Analyse der Gesundheitsökonomen Prof. Dieter Cassel
(Universität Duisburg-Essen) und Prof. Volker Ulrich (Universität
Bayreuth) ergab, dass im gleichen Zeitraum 22 AMNOG-Produkte nicht
mehr im Vertrieb sind. Nicht-Einführung und Marktaustritte führen
zusammen zu einem Rückgang der Verfügbarkeit auf insgesamt 69 % der
AMNOG-fähigen Medikamente.
Die Marktaustritte haben sich 2016 auf 27 erhöht, ein weiteres
Präparat wurde in bestimmten Dosierungen zurückgezogen. In 14 Fällen
kam es zu einem Rückzug nach der Frühen Nutzenbewertung. In vier
Fällen erfolgte eine Rücknahme nach den Preisverhandlungen, in zehn
Fällen nach dem Schiedsspruch. Ulrich: "Unsere Untersuchung zeigt,
dass damit hierzulande inzwischen fast ein Drittel der von der EMA
zugelassenen AMNOG-fähigen Präparate nicht oder nicht mehr verfügbar
ist."
Besonders absurd: Spätestens nach positiver Nutzenbewertung und
Vereinbarung eines Erstattungsbetrages sollten die betreffenden
Präparate auch zügig beim Patienten angewendet werden. Wie die
Autoren zeigen, ist dies auch dann nicht der Fall, wenn Präparate vom
G-BA einen erheblichen oder beträchtlichen Zusatznutzen und damit
einen hohen therapeutischen Wert attestiert bekamen.
Die Analyse der Gesundheitsökonomen bringt zudem noch ein weiteres
Paradoxon zum Vorschein. Cassel: "Mit dem AMNOG ist ein Kreislauf in
Gang gekommen, bei dem die Regulierung und Kostendämpfung bei neuen
Arzneimitteln ökonomische Sachzwänge auslöst, die höhere Launchpreise
- und somit auch höhere Erstattungsbeträge - der nachfolgenden
Produktgeneration erzwingt, welche meist mit noch strengeren
Preisregulierungen beantwortet werden."
Für Dr. Norbert Gerbsch, stellvertretender Hauptgeschäftsführer
des Bundesverbands der Pharmazeutischen Industrie (BPI), sind diese
Entwicklungen alarmierend: "Das AMNOG wurde durch den Wechsel vom
Rabatt- zu einem Preissystem auf den Kopf gestellt. Eine
Kurskorrektur ist dringend erforderlich. Denn so lange das
Damoklesschwert der Regressdrohung über den Ärzten schwebt, werden
selbst überlegene Arzneimitteltherapien nur unzureichend der
Versorgung ankommen." Der Verband fordert den Gesetzgeber auf, das
AMNOG wieder auf Kurs zu bringen. "Die nächste Regierung muss dafür
Sorge tragen, dass als Mischpreise verhandelte Erstattungspreise über
alle Subgruppen hinweg als wirtschaftlich gelten. Sie muss sich darum
kümmern, dass ein Unternehmen angemessene Vergütung für ihre Produkte
erzielen können - nicht nur im AMNOG. Und sie muss ihr politisches
Versprechen bei den Patienten einlösen, ihnen Arzneimittel mit einem
Mehrnutzen schnell zur Verfügung zu stellen." Finanzieller Spielraum
für notwendige Reformen ist vorhanden: Für die gesamte ambulante
Arzneimittelversorgung liegt der Anteil der pharmazeutischen
Industrie an den Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung seit
Jahrzehnten unter 10 %.
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