Es wird als effektivstes Verjüngungsmittel der Welt angepriesen – das humane Wachstumshormon (HGH). Hergestellt wird es in der Hypophyse - einem unscheinbaren Anhängsel des Gehirns. Autoren der populärwissenschaftlichen Gesundheitsliteratur messen ihm erstaunliche Eigenschaften zu. Angeblich lässt es Muskeln wachsen und Fettpolster verschwinden. Darüber hinaus attestiert man ihm positive Effekte auf Fitness, Libido und allgemeines Wohlbefinden. In den USA, wo manche Zubereitungen des Hormons bzw. dessen Vorstufen frei verkäuflich sind, genießt es eine enorme Popularität. In Deutschland unterliegt HGH der Verschreibungspflicht, doch unter der Hand wird es als Insidertipp für Menschen feilgeboten, die den Alterungsprozess verlangsamen wollen.
Der aktuelle Stand der Forschung stellt die optimistischen Hoffnungen der Anti-Aging-Anhänger in Frage. Es ist eine naturgegebene Tatsache, dass der Wachstumshormonlevel im Alter abnimmt. Der Höchststand wird in der Jugend und im frühen Erwachsenenalter erreicht. Ab der Mitte des zweiten Lebensjahrzehnts geht er kontinuierlich zurück. Mit 65 Jahren ist die Ausschüttung um 70 % geringer als mit 25, doch es ist trotz allem zweifelhaft, dass Supplements, die den Hormonspiegel heben, den Alterungsprozess bremsen. Bei rezeptfreien Pulvern und Tabletten ist das nachweislich nicht der Fall. Es gibt Anhaltspunkte, dass rezeptpflichtige Injektionslösungen besser wirksam sind.
In der einschlägigen Fachliteratur wird deutlich, dass die Wirkung von HGH-Injektionen statistisch signifikant ist. Hauptsächlich trifft das auf Personen zu, die eine eingeschränkte endogene Wachstumshormonproduktion aufweisen. Doch die darüber hinausgehenden Anwendungsmöglichkeiten sind ebenso vielversprechend. Amerikanische Forscher haben die Hormontherapie versuchsweise bei Übergewichtigen angewendet. Die Probanden erhielten über einen Zeitraum von sechs Monaten allabendlich eine Spritze mit einer individuell festgelegten Dosis. Das Ergebnis: Die derart behandelten Patienten verloren im Beobachtungszeitraum mehr Gewicht als jene der Vergleichsgruppe. Die Wissenschaftler sind zuversichtlich, in zukünftigen Forschungen herauszufinden, warum das so ist. Bisher sind die Hintergründe noch unbekannt.
Ein anderes unbestrittenes Faktum ist der Einfluss, den das Wachstumshormon auf den Heilungsprozess ausübt. Aus Untersuchungen an Labormäusen geht hervor, dass der Botenstoff einen DNA-Abschnitt aktiviert, der für den körpereigenen Reparaturmechanismus von ausschlaggebender Bedeutung ist. Eine sinkende HGH-Ausschüttung führt zu einer rückläufigen Konzentration des Reparatur-Gens. Die Wundheilung wird verlangsamt, die Selbstheilungskräfte des Mäusekörpers geschwächt. Beim Menschen ist es ähnlich. Im Alter lässt nicht nur die Muskelkraft nach, gleichermaßen nimmt auch das Regenerationsvermögen ab. Die künstliche Hormonsubstitution ist, oberflächlich betrachtet, die erfolgversprechendste Lösung. Bei Mäuse-Senioren funktioniert das. Ihre Geweberegeneration wird durch regelmäßige Hormonverabreichung wieder so effektiv wie bei Jungtieren.
Doch die erstaunlichen Anti-Aging-Effekte gehen mit besorgniserregenden Nebenwirkungen einher. Einige Anhaltspunkte weisen darauf hin, dass HGH, obschon es die Lebensqualität verbessert, einen negativen Einfluss auf die Sterbewahrscheinlichkeit ausübt. Es sind zum wiederholten Male Tierversuche, die das belegen. Wird bei Mäusen der Wachstumshormonrezeptor blockiert, leben sie im Schnitt um ein Jahr länger als unbehandelte Tiere. Das Wachstumshormondefizit scheint in dieser Hinsicht positive Auswirkungen zu zeitigen.
In der klinischen Praxis kommen noch mehr Kehrseiten des Jugendhormons ans Tageslicht. Zu den zweifelsfrei belegten unerwünschten Wirkungen zählen Ödeme an den Extremitäten, ein unnatürliches Wachstum der Knochen, das Medianuskompressionssyndrom und Stoffwechselerkrankungen, die mit einer chronischen Erhöhung der Glukosekonzentration im Blut einhergehen. Manche Daten weisen auf ein erhöhtes Krebsrisiko hin. Aufgrund der kurzen Beobachtungszeiträume bisheriger Studien ist das Wissen über Spätfolgen bruchstückhaft. Als ausgemacht gilt nur, dass ein Wachstumshormonmangel ebenso schädlich ist wie ein Überschuss, doch wo genau die Grenze zwischen »zuviel« und »zuwenig« liegt, ist durch zukünftige Forschungen erst zu klären.