Seit Inkrafttreten des sogenannten "Gesetzes zur
Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften" am 10.
März 2017 können Ärzte Cannabis per Betäubungsmittelrezept
verschreiben. Für viele Patienten, die nur so ihre Beschwerden
lindern können, ist das neue Gesetz ein Glücksfall. Problematisch
sieht die Siemens-Betriebskrankenkasse SBK jedoch den wenig konkreten
Gesetzestext und die diffuse Studienlage, was auch für Unklarheiten
bei der Verordnung durch Ärzte sorgt. Anfangs stellten daher auch
vermehrt Patienten einen Antrag auf Kostenübernahme, bei denen die
Voraussetzungen hierfür nicht erfüllt wurden. Inzwischen beantragen
bei der SBK zum Großteil Patienten Cannabisblüten oder -extrakt, bei
denen der Einsatz von Cannabinoiden sinnvoll und gesetzlich erlaubt
ist.
Seit Gesetzeseinführung gingen rund 350 Anträge auf
Kostenübernahme bei der SBK ein, von denen 75 Prozent positiv
entschieden wurden. Dabei wurden 90 Prozent aller eingehenden Anträge
an den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK)
weitergeleitet, der eine Empfehlung ausspricht. Bei Versicherten mit
einer schweren Krebserkrankung oder einer spezialisierten ambulanten
Palliativversorgung (SAPV) entscheidet die SBK direkt: "Hier möchten
wir den Versicherten schnell und unkompliziert helfen, damit sie
zügig Cannabis aus der Apotheke beziehen können", sagt Heinz-Ulrich
König, zuständig für das Arzneimittel-Vertragsmanagement bei der SBK.
"Wir wissen von unseren Versicherten, dass Cannabinoide vor allem bei
Appetitlosigkeit und Übelkeit infolge einer Krebsbehandlung oder
Chemotherapie ihre Situation erheblich verbessern."
Nicht eindeutige Gesetzes- und Studienlage
25 Prozent der Anträge werden abgelehnt, weil keine ausreichende
Begründung für die Therapie mit Cannabis vorliegt - denn nur, wenn
nach ärztlicher Einschätzung keine anderen Behandlungsoptionen
vorhanden sind oder diese im Einzelfall nicht in Betracht kommen,
darf eine gesetzliche Krankenkasse die Therapie zahlen. Anders als
bei anderen Arzneimitteln fehlt hier eine klare Regelung: Da nicht
genau festgelegt ist, bei welchen Erkrankungen das Betäubungsmittel
eingesetzt werden darf, wird jeder Fall individuell betrachtet. Ärzte
müssen zudem darlegen, warum Cannabinoide zu einer Besserung
beitragen können und dies mit Hinweisen auf Studien belegen. Das
Verfassen und Prüfen eines Antrags ist daher für alle Beteiligten
sehr aufwändig, zumal die aktuelle Studienlage kaum eindeutige
Antworten bietet. "Vor allem den Versicherten würde eine eindeutige
Regelung und eine klare Studienlage aber helfen, damit sie schneller
das für sie geeignete Arzneimittel erhalten", sagt Heinz-Ulrich König
von der SBK.
Für viele Krankheiten gibt es bessere Alternativen
Vielen Menschen mit dauerhaften Schmerzen, Belastungen in Alltag
und Beruf sowie Schlafstörungen helfen andere Behandlungsmethoden und
ergänzende Maßnahmen wie Bewegung, Physiotherapie, Gewichtsreduktion
oder auch Psychotherapie in der Regel deutlich besser. Da Cannabis
als Arzneimittel in den Medien seit der Gesetzesänderung sehr präsent
ist, versprechen sich viele mehr von einer Behandlung, als in ihrem
speziellen Fall möglich ist. Auch betrachten einige das
Betäubungsmittel als pflanzliche und somit "ungiftige"
Alternativmedizin. Um ein harmloses Mittel handelt es sich bei
Cannabis jedoch explizit nicht: "Es gibt mehrere Kontraindikationen,
bei denen es die Beschwerden noch verschlimmern kann, wie zum
Beispiel Psychosen", erklärt Heinz-Ulrich König.
Versicherte, die vor dem neuen Gesetz eine Ausnahmegenehmigung vom
Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte hatten, erhalten
nach einer eingehenden Prüfung im Regelfall auch weiterhin Cannabis.
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