Nur wenigen Europäern ist bekannt, dass fast 90% aller afrikanischen Zwangsprostituierten in Europa aus nur einer einzigen Region in Nigeria mit nur wenigen Millionen Einwohnern stammen - rund um Benin City in Edo State. Eine weitere Besonderheit beim Menschenhandel aus Nigeria ist, dass die Opfer in einem sogenannten Juju-Ritual, bei dem ihnen von einem Juju Priester Schamhaare, Blut, Fingernägel abgenommen werden, einen Eid, den "Oath of Secrecy" schwören müssen. Dieser Eid bedroht sie und ihre gesamten Familien mit dem Tod, Wahnsinn und Unglück, sofern sie ihre Menschenhändler und Ausbeuter nicht zur Gänze bezahlen würden oder sich an die Behörden wenden. Auch wenn der Großteil der Menschen in Edo State Christen sind, hat Juju noch eine starke Bedeutung in der Region. Dieser Schwur stellt ein wichtiges Druckmittel gegen die Opfer dar - da damit nicht nur die Frauen in Europa psychisch unter Druck gesetzt werden, sondern auch die Familien in Nigeria, die dann wiederum auf die Frauen einwirken, sich ihren Peinigern zu fügen.
Der Oba von Benin, Oba Ewuare der Elfte hatte sich schon öfter gegen Menschenhandel ausgesprochen und es gab Forderungen verschiedenere Organisationen an ihn, darunter auch FREE ME, seine spirituelle Macht dafür einzusetzen, die bindenden Flüche aufzuheben.
Vergangene Woche versammelte er in seinem Palast Chiefs aus Edo State, weibliche Anführerinnen und andere spirituelle Führer um mit ihnen gemeinsam ein Ritual abzuhalten, das einerseits die existierenden bindenden Flüche der Frauen in Europa aufheben soll und wo umgekehrt ein Fluch auf alle Menschenhändler und diejenigen Juju Priester und "native doctors" gelegt wurde, die Menschen durch den "Oath of Secrecy" unter Druck setzen und in die Sklaverei binden wollen. Das traditionelle Palast-Juju, der "Ososomaye von Gross Benin" wurde am Freitag das erste Mal nach 400 Jahren ans Tageslicht gebracht, um das Ritual durchzuführen.
Weiters erklärte der Oba, dass alle noch offenen Schulden, die mittels des Fluchs eingefordert würden, nicht zu bezahlen seien. Er forderte seine Landsleute auf, die Jugend des Landes zu fördern und Ausbeutung und Menschenhandel zu verhindern und sich gegen jene zu stellen, die daraus ein Geschäft machen.
FREE ME schätzt die "Verschuldung" von Zwangsprostituierten Frauen aus Nigeria, die mit falschen Versprechungen nach Europa gelockt werden an ihre Menschenhändler auf mindestens vier Milliarden Euro. Die Frauen müssen für ihren Transport (Großteiles über die sogenannte Mittelmeerroute) je nach Zielland zwischen 25.000 und 75.000.- Euro an ihre Menschenhändler als Prostituierte "abarbeiten".
Die Nachricht wurde in sozialen Netzwerken unter Nigerianerinnen rasch geteilt und hat für unterschiedliche Reaktionen gesorgt. Freudentränen und Befreiungsrufe bei den Opfern einerseits, aber auch Skepsis und weitere Angst - und Drohungen von Seiten der "Madames" (eine Art weibliche Zuhälter und wichtigste Teil im System), die ihre Forderungen aufrechterhalten und das Ritual des Obas als ungültig erklären.
FREE ME gratuliert dem OBA von Benin zu diesem mutigen und wichtigen Schritt im Kampf gegen Menschenhandel. Er hat bewiesen, dass er hinter seinem Volk steht und offen für eine positive Entwicklung der Gesellschaft in Edo State eintritt, auch wenn er sich damit gegen teilweise mächtige Kräfte in Nigeria stellt, die Menschenhandel und sexuelle Ausbeutung als eine Art Wirtschaftszweig sehen.
Aber FREE ME ist auch bewusst, dass diese Maßnahme nicht das Ende des Menschenhandels in Nigeria bedeutet und nicht das Ende des Leids für die Opfer hier in Europa. Die Juju Rituale sind bei weitem nicht das einzige Druckmittel das rücksichtslose Menschenhändler einsetzen, um ihre Opfer zu binden und auszubeuten. Physische Gewalt, Bedrohung der Kinder und Angehörigen, der Einsatz von Drogen dienen im Rest der Welt als Werkzeuge in diesem Geschäft - es bleibt zu befürchten, dass andere Druckmittel jetzt verstärkt auch gegen Afrikanerinnen eingesetzt werden.
FREE ME Forderungen an europäische Regierungen - vor allem auch an Österreich
Damit wird eine politische Forderung von FREE ME an die europäischen Regierungen umso wichtiger:
Nämlich endlich sinnvolle Maßnahmen für Opferschutz zu ergreifen und konsequent die Charta gegen Menschenhandel der Europäischen Union umsetzen.
Nationale Strategiepapier zur Bekämpfung des Menschenhandels sind oft nur Lippenbekenntnisse. Opfer von Menschenhandel werden nicht als solche wahrgenommen. (konkretes Beispiel der Mitgründerin von FREE ME: Auf ihre Angaben im Asylantrag in Österreich ein Opfer von Menschenhändlern zu sein, wurde schlicht nicht eingegangen. Sie wurde nach Italien zurückgeschoben - von wo sie davor vor ihren Menschenhändlern geflohen war. Ein klarer Verstoß gegen die EU Charta und das Strategiepapier des Innenministeriums).
Das größte Problem wirksam gegen Menschenhändler in Europa vorzugehen, ist, dass die Opfer meist mehr Angst vor den Behörden, als vor ihren Peinigern haben. Durchaus berechtigt, denn auch in Österreich liegt der Fokus auf Täterverurteilung und nicht auf Opferschutz. Denen droht im Anschluss an ein Strafverfahren die Abschiebung und damit ein schreckliches Schicksal. In Nigeria werden sie von der Gesellschaft nicht mehr akzeptiert und sind ohne Schutz. Ihre Menschenhändler wollen weiterhin ihre Schulden eintreiben, haben dort dann leichtes Spiel und gliedern sie wieder in den Zyklus der sexuellen Ausbeutung ein.
Sinnvolle politische Maßnahmen sind insbesondere deshalb gefragt, da dieser Menschenhandel mit jungen Frauen der wesentliche wirtschaftliche Motor ist, der die Flüchtlingsproblematik rund um die Mittelmeer-Route in Schwung, die ganz Europa im Bann hält und einen immens großen Anteil der öffentlichen Aufmerksamkeit einnimmt (auch unser Bundeskanzler erwähnt die Mittelmeerroute gelegentlich).
Nur wenn wir den Geldhahn hinter diesem System zudrehen, können wir es beenden. Die Mittelmeerroute wirklich zu schließen, gelingt uns dann, wenn wir jungen Afrikanerinnen dabei helfen, aufzuhören als Sklavinnen der Sexindustrie mit ihren Körpern die Zeche dafür zu bezahlen. Dafür sollten alle europäischen Staaten dem Beispiel Italiens folgen, die belegten Menschenhandelsopfern, die mit den Behörden kooperieren, humanitären Schutz gewährt. (Article 18 italienisches Anti-Menschenhandelsgesetz)