An der neu veröffentlichten Leitlinie haben verschiedene Organisationen, darunter auch das Aktionsbündnis gegen zeckenübertragene Infektionen Deutschland e. V., OnLyme-Aktion.org, seit mehr als drei Jahren mitgearbeitet und an den Fachkonferenzen teilgenommen. Aufgrund der völlig unzureichenden Studienlage in Europa sieht OnLyme-Aktion.org das Mehrheitsvotum für die Verabschiedung dieser Leitlinie kritisch.
Aus diesem Grund hat OnLyme-Aktion.org einen Dissensbericht zum Leitlinienreport eingereicht. Nach einer vereinsinternen Umfrage sehen 97 Prozent der OnLyme-Aktion.org-Mitglieder die "Ist-Situation" für Patienten durch diese Leitlinie nicht verbessert. Inwieweit die Leitlinie dem Wohle der Patienten dienen wird, wie sich Professor Sebastian Rauer hoffnungsvoll äußerte, bleibe fraglich. Nach Dersch et. al. sind bei circa 24 Prozent der Patienten mit einer wahrscheinlichen oder definitiven Neuroborreliose residuale bzw. persistierende Symptome festzustellen. Die nun veröffentlichte Leitlinie gibt dem behandelnden Arzt auf die Frage, wie dieses Patientenkollektiv therapiert werden kann, keine Antwort.
"Wir legen daher größten Wert auf die Bedeutung und Wichtigkeit einer probatorischen antibiotischen Behandlung bei vorliegenden spezifischen IgG- und IgM-Antikörpern, die den Patienten nach vorangegangener Differentialdiagnostik - unter Hinweis einer ungesicherten Diagnose - angeboten werden kann. Man darf nicht außer Acht lassen, dass eine frühzeitige antibiotische Behandlung das Risiko für persistierende Symptome verringert. Im Übrigen können IgG-Antikörper auch bei einer aktiven Infektion vorliegen", so Ursula Dahlem, Vorstandsvorsitzende von OnLyme-Aktion.org. "Unsere Mitglieder erwarten eine größere Öffnung zu erweiterten Behandlungsoptionen aller Art und damit verbunden die Umsetzung der Patientenpartizipation auch für Patienten der gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV). Die GKV-Leistungen sollten über die in den Leitlinien empfohlenen Maßnahmen auch abgedeckt sein, was in der Praxis derzeit häufig nicht stattfindet."
Ein großes Problem sieht die Patientenorganisation in der Tatsache, dass die Leitlinie Neuroborreliose in der Praxis mitunter für Patienten herangezogen wird, bei denen sie gar nicht anwendbar ist, da die Mehrheit der Patienten unter einer der anderen Manifestationen einer Lyme-Borreliose erkrankt sind, welche aber gar nicht Gegenstand der Leitlinie Neuroborreliose sind. Die Patientenvertreter befürchten, dass dieses Vorgehen angesichts der Einstufung als S3-Leitlinie nun noch zunehmen wird, da bislang keine übergreifende Leitlinie für alle Manifestationen der Borreliose existiert.
OnLyme-Aktion.org beobachtet dramatische gesundheitliche, soziale und existenzielle Folgen für die unzureichend behandelten Neuroborreliose-Patienten. Angesichts der oftmals schwachen Evidenzlage, die aus Patientensicht nicht zu den häufig starken Empfehlungen in der Leitlinie passt, erwartet OnLyme-Aktion.org als folgerichtige Konsequenz verstärkte Forschungsanstrengungen im Bereich Diagnostik und Therapie, denn es fehle nach wie vor an allem, was in der modernen Medizin wichtig ist. OnLyme-Aktion.org fordert:
- Validierte Testsysteme, die eindeutig belegen, ob die Erkrankung aktiv ist oder nicht
- Einen schützenden Impfstoff
- Studien, die auf die Entwicklung von Therapien für die persistierenden Symptome nach erfolgter Standardbehandlung zielen
- Langzeitbeobachtungsstudien und Behandlungsstudien - auch zu neuen Therapieformen
- Berücksichtigung der Patientenpräferenzen im Rahmen der partizipativen Entscheidungsfindung zur Weiterbehandlung der Neuroborreliose
Um diese Ziele erreichen zu können setzt OnLyme-Aktion.org nach wie vor auf einen konstruktiven Dialog und appelliert im Hinblick auf die Therapieoptionen an alle Verantwortlichen, ihrer medizin-ethischen Verantwortung gerecht zu werden.
März 2018