Auch ein Jahr nach der Reform der
Psychotherapieversorgung müssen Patientinnen und Patienten in
Deutschland durchschnittlich 20 Wochen auf den Beginn ihrer
ambulanten Behandlung bei Kassentherapeuten warten. Das geht aus
einer bisher unveröffentlichten Umfrage der
Bundespsychotherapeutenkammer hervor, die dem NDR vorliegt. Die
Wartezeit von der ersten Anfrage bis zum Beginn der eigentlichen
Behandlung ist nur leicht zurückgegangen, von 23,4 Wochen (2011) auf
jetzt 19,9 Wochen. Um lange Wartezeiten zu vermeiden, beantragen
viele Patienten bei ihren Krankenkassen die Erstattung einer
Behandlung durch Privattherapeuten. Doch offenbar sind die
gesetzlichen Kassen dabei neuerdings restriktiver. Nach einer
ebenfalls noch unveröffentlichten Umfrage mehrerer
Landespsychotherapeutenkammern wird etwa jeder zweite dieser Anträge
auf Kostenerstattung abgelehnt, 2016 war es nur jeder Fünfte.
"20 Wochen Wartezeit sind unzumutbar. Das bedeutet eine
zusätzliche Belastung für die Patienten", sagte Josef Munz, Präsident
der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK), dem Radioprogramm NDR Info
und dem NDR Fernsehmagazin "Panorama 3". Als Ursache für die lange
Wartezeit sieht die Kammer eine veraltete Bedarfsplanung, die zuletzt
1999 aktualisiert wurde. Um eine ausreichende Versorgung der
Patienten zu gewährleisten, fehlen nach Meinung der BPtK bundesweit
7000 Kassensitze für Psychotherapeuten. Der Gesetzgeber hatte einen
überarbeiteten Bedarfsplan bis Anfang 2017 gefordert. Der dafür
zuständige Gemeinsame Bundesausschuss, in dem u. a. Psychotherapeuten
und Krankenkassen vertreten sind, sagte auf NDR Anfrage, aktuell
werde ein Gutachten erstellt. Die neue Bedarfsplanung solle 2019 in
Kraft treten.
Laut Umfrage der Bundespsychotherapeutenkammer gibt es bei den
Wartezeiten auf eine Behandlung deutliche regionale Unterschiede. Am
längsten warten danach Patienten in Thüringen und im Saarland,
nämlich fast 24 Wochen. Auch die Nordländer Niedersachsen, Bremen,
Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern verzeichnen
überdurchschnittlich lange Wartezeiten. Im Allgemeinen warten
Patienten in ländlichen Gebieten länger auf den Therapiebeginn. Am
schnellsten geht es in Berlin (13 Wochen), Hessen (17 Wochen) und
Hamburg (18 Wochen).
Die Strukturreform der psychotherapeutischen Versorgung, die zum
1. April 2017 in Kraft getreten ist, soll Patienten den Zugang zur
Behandlung erleichtern. Seitdem können Menschen in psychischen Krisen
- auch auf Vermittlung von Terminservicestellen - schneller ein
Erstgespräch bei einem Therapeuten führen und in akuten Fällen
rascher behandelt werden. Bis allerdings eine ambulante Regeltherapie
beginnt, vergehen immer noch mehrere Monate. Nach Angaben vieler
Psychotherapeuten belegen die neuen Erstgespräche Termine, die sonst
für die Behandlung genutzt werden konnten.
Dass Krankenkassen nun deutlich häufiger die Erstattung von
Behandlungen bei privaten Psychotherapeuten ablehnen, begründen sie
laut den befragten Mitgliedern der Landespsychotherapeutenkammern
häufig pauschal damit, dass mit den neuen Terminservicestellen nun
alle Patienten versorgt bzw. genügend Kassenpraxen vorhanden seien.
In Ablehnungsschreiben, die dem NDR vorliegen, wird auch fälschlich
behauptet, eine Kostenerstattung sei nicht mehr erlaubt. Dabei hat
sich an den Regelungen der Erstattung durch die Reform nichts
geändert. Der NDR hat die vier größten deutschen Krankenkassen dazu
angefragt. TK, Barmer und AOK-Bundesverband gaben an, Zahlen zur
Ablehnungsquote lägen nicht vor. Die DAK schrieb, sie könne nicht
beobachten, dass die Zahl der Bewilligungen zurückgegangen sei.
Außerdem erklärten die Kassen, sie lehnten Anträge auf
Kostenerstattung nicht pauschal ab.
Das Institut für Medizinische Psychologie der Uniklinik Hamburg
(UKE) hatte im Auftrag der Bundespsychotherapeutenkammer Ende
vergangenen Jahres mehr als 9400 Therapeuten online befragt, das
entspricht 40 Prozent aller von den Kassen zugelassenen Therapeuten.
Für die zweite Studie haben zehn Landespsychotherapeutenkammern die
Antworten von gut 2400 ihrer Mitglieder auf eine Onlinebefragung
Anfang dieses Jahres ausgewertet.
NDR Info berichtet über das Thema ausführlich am Dienstag, 10.
April, ab dem frühen Morgen. "Panorama 3" im NDR Fernsehen
beschäftigt sich damit am Dienstagabend um 21.15 Uhr.
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