Familien Mut – Unterstützung bei der Geltendmachung von
Schadensersatzansprüchen.
Euskirchen – Seit 1994 ist die in Euskirchen lebende
Rechtsanwältin Astrid Maigatter-Carus als Patientenanwältin
bundesweit tätig. Aktuell informiert Maigatter-Carus
behinderte Menschen und deren Familien zum Thema
Schadensersatz infolge eines ärztlichen
Behandlungsfehlers.
Die vollständige Reihe können Interessierte bei der Kanzlei
kostenfrei anfordern – die Kontaktdaten finden Sie am Ende
des Interviews.
Andrea Moersdorf, geschäftsführende Inhaberin von
Moersdorf Consulting, ist selbst Mutter einer behinderten
Tochter, die wegen eines Arztfehlers viel zu früh in der 25.
Schwangerschaftswoche geboren wurde und heute
mehrfach behindert ist. Moersdorf führt zu diesem
komplexen Thema das Interview mit Astrid Maigatter-Carus.
Andrea Moersdorf: Frau Maigatter-Carus, Sie haben uns
bereits umfangreiche Informationen zu diesem Thema an
die Hand gegeben. Zwei wichtige Themen möchte ich heute
beleuchten. Schwerpunkte des 3. Teils der
Informationsreihe zum Thema Schadensersatzansprüche
sind: Kosten für alternative Behandlungskonzepte sowie
Behindertenwerkstatt.
Astrid Maigatter-Carus:
Lassen Sie mich mit dem Thema Behindertenwerkstatt
beginnen.
Die Teilnahme am Erwerbsleben hat für jeden Menschen,
insbesondere für Behinderte, einen hohen Stellenwert. Der
Schädiger kann den Geschädigten deshalb nicht darauf
verweisen, zu Hause zu bleiben und seine Zeit mit
Zerstreuungen zu füllen, statt zu arbeiten, weil dies für ihn
als Kostenpflichtigen wesentlich „billiger“ wäre.
Andrea Moersdorf: Was bedeutet in diesem Zusammenhang
„billiger“ oder anders gefragt, welche Kosten können hier
entstehen?
Astrid Maigatter-Carus:
An erster Stelle sind zunächst die Kosten für die
Werkstattbetreuung an sich zu nennen. Diese werden
üblicherweise vom zuständigen Sozialamt getragen. Ist
jedoch ein Schadensersatzpflichtiger vorhanden, erlebe ich
immer wieder, dass der Geschädigte wegen der
Kostenübernahme vom Sozialamt an diesen verwiesen wird.
Weitere in diesem Zusammenhang anfallende Kosten sind
beispielsweise der „Arbeitslohn“ des Behinderten oder die
Transportkosten zur Werkstatt hin und wieder zurück zum
Wohnort. Üblicherweise erfolgt der Transfer in speziellen,
behindertengerechten Kleinbussen mit speziell geschulten
Fahrern sowie Begleitpersonen, die im Notfall eine
Erstversorgung ihrer Fahrgäste vornehmen können.
Andrea Moersdorf: Als Mutter eines behinderten Teenagers
beschäftigen wir uns aktuell ebenfalls mit der
„Werkstattfrage“. Wie wird denn aus Ihrer Sicht die Arbeit in
einer Behinderten-Werkstatt wahrgenommen oder gar
bewertet?
Astrid Maigatter-Carus:
Es kann jedenfalls nicht darauf abgestellt werden, dass die
Tätigkeit in der Behindertenwerkstatt sich wegen der
anfallenden hohen Kosten wirtschaftlich „nicht lohnt“. Auch
wenn der Behinderte durch seine Beschäftigung nur einen
bescheidenen Lohn erzielt, kann doch davon ausgegangen
werden, dass die Tätigkeit sein Selbstwertgefühl hebt, für
seine gesellschaftliche Anerkennung nicht ohne Bedeutung
ist und ihm insbesondere soziale Kontakte verschafft.
Dem Schädiger ist die Übernahme der durch eine
entsprechende Tätigkeit entstehenden Mehrkosten deshalb
zuzumuten.
Andrea Moersdorf:
Frau Maigatter-Carus, wie sieht es mit den Kosten für
alternative Behandlungskonzepte aus, wenn ein
Schadensersatzanspruch vorliegt?
Astrid Maigatter-Carus:
Fallen bei den von den Krankenkassen bewilligten
Therapien Zuzahlungen an, sind diese selbstverständlich
vom Schädiger zu erstatten. Diese werden
erfahrungsgemäß problemlos übernommen.
Andrea Moersdorf:
Dies ist eine gute Nachricht, allerdings gibt es verschiedene,
sehr wirksame neuere Therapieformen, die zum jetzigen
Zeitpunkt noch nicht im Leistungskatalog der
Leistungsträger verzeichnet sind. Wie sieht es denn mit
Therapien aus, die die Krankenkassen oder privaten
Krankenversicherungen nicht übernehmen?
Astrid Maigatter-Carus:
Richtig, von besonderem Interesse sind tatsächlich die
Therapie- und Behandlungskosten, die von den
Krankenkassen in der Regel nicht übernommen werden, wie
z.B. für Delphintherapie, Tomatis-Therapie, einen
Kuraufenthalt in der Ukraine bei Prof. Kozijavkin oder die
Behandlung durch einen Heilpraktiker.
Die Übernahme derartiger Kosten wird von den
gegnerischen Haftpflichtversicherungen oftmals abgelehnt
mit dem Hinweis darauf, die jeweilige Therapie sei nicht
medizinisch notwendig gewesen, da die Kosten ansonsten
von der Krankenkasse übernommen worden wären.
Andrea Moersdorf:
Machen es sich die Sachbearbeiter der Leistungsträger hier
nicht etwas zu einfach?
Astrid Maigatter-Carus:
Richtig, dieser Ansatz ist falsch.
Die Rechtsprechung geht davon aus, dass der Verletzte
auch die Bezahlung besonders teurer Heilungsmittel, die
von der gesetzlichen Krankenversicherung nicht erstattet
werden, vom Schädiger verlangen kann, wenn sie aus der
Sicht eines verständigen Menschen bei der gegebenen
Sachlage der besonderen Umstände wegen geboten
erscheinen oder der Heilungsverlauf gefördert wird.
Andrea Moersdorf:
Wer konkret kann denn ein solch „verständiger Mensch“
sein?
Astrid Maigatter-Carus:
Hierbei handelte es sich zunächst um eine abstrakte
Formulierung, die von Gerichten in ihren
Urteilsbegründungen gefunden wurde. Vereinfacht
ausgedrückt: Es sollten nicht die Kosten für allgemein als
abwegig angesehen Behandlungsmethoden geltend
gemacht werden, wie z.B. das sog. Handauflegen. Es ist auf
jeden Fall hilfreich, wenn sich der Geschädigte auf eine
ärztliche Empfehlung berufen kann.
Besonders wichtig in diesem Zusammenhang folgendes und
liegt mir besonders am Herzen: Bevor man sich dazu
entschließt, auf eigene Kosten teure Therapien vornehmen
zu lassen, muss man wissen, dass dennoch ein erhebliches
Risiko besteht, auf diesen Kosten „sitzenzubleiben.“
Andrea Moersdorf:
Wie ist das zu verstehen, also von welchem Risiko sprechen
Sie?
Astrid Maigatter-Carus:
Die Gerichte entschließen sich häufig dazu, die
Sinnhaftigkeit einer Therapie durch einen Sachverständigen
überprüfen zu lassen. Gerät man dann an einen Arzt, der
sehr konservativ oder ausschließlich schulmedizinisch
orientiert ist, muss man damit rechnen, dass dieser die
alternative Behandlungsmethode ablehnt, selbst wenn es
sich um ein besonders schweres Krankheitsbild handelt, das
mit etablierten Methoden nicht erfolgreich behandelt werden
konnte und bei dem die Betroffenen versuchen, mit sog.
„Außenseiterverfahren“ zu medizinischen Erfolgen zu
gelangen.
Trotz der augenscheinlich großzügigen Rechtsprechung zur
Erstattungsfähigkeit alternativer Behandlungsmethoden
erlebt man also immer wieder, dass Gerichte die Kosten für
derartige Therapien dem Kläger nicht zusprechen.
Andrea Moersdorf:
Welchen Rat haben Sie für Betroffene und deren Familien,
wie sollten sie mit diesem Sachverhalt umgehen?
Astrid Maigatter-Carus:
In jedem Fall sollte die Entscheidung für eine solche
Therapie und damit auch für den hiermit verbundenen
Kostenaufwand nicht davon abhängig gemacht werden,
dass die Kosten später auf jeden Fall erstattet werden.
Das heißt mit anderen Worten: Wenn die Betroffenen und /
oder deren Familien unsicher ob des Erfolgs dieser Therapie
sind, kann es die richtige Entscheidung sein darauf zu
verzichten. Wenn allerdings Betroffene, ihre Familien und
die behandelnden Ärzte eine Therapie für wichtig und
erfolgversprechend halten und die Kosten hierfür auch aus
eigener Tasche getragen werden können, dann sollte die
Entscheidung für diese bestimmte Therapie erfolgen.