Seit dem Erfurter Ärztetag spricht die deutsche Ärzteschaft mit starker Stimme: Laut Entschließung vom 10. Mai 2018 fordert die Bundesärztekammer (BÄK) den Gesetzgeber auf, die Widerspruchslösung zur Organspende mit einer Änderung des Transplantationsgesetzes einzuführen. Die Deutsche Gesellschaft für Urologie e. V. (DGU) begrüßt diese Forderung im Vorfeld des Tags der Organspende am 2. Juni ausdrücklich. Die Fachgesellschaft hatte sich bereits zu Jahresbeginn angesichts einer 2017 historisch niedrigen Zahl von Organspenden für Systemkorrekturen und gegen die derzeit geltende Entscheidungslösung ausgesprochen. Andere Fachgesellschaften folgten dem Ruf nach Einführung der Widerspruchlösung.
"Inzwischen treten die ärztlichen Standesvertreter geschlossen für die Widerspruchlösung ein, und das verstärkt den Handlungsdruck auf die Politik", sagt DGU-Präsident Prof. Dr. Paolo Fornara und verweist auf die prekäre Situation der Organspende in Deutschland. Obwohl die deutsche Bevölkerung laut Umfragen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) seit 2012 einer Organ- und Gewebespende zu über 80 Prozent positiv gegenübersteht, ist die Zahl der postmortalen Organspenden in Deutschland im gleichen Zeitraum von 1046 (2012) auf nur noch 797 (2017) gesunken. Der Prozentsatz der Krankenversicherten, die seit Einführung der Entscheidungslösung 2012 einen Organspendeausweis ausgefüllt haben, wächst nur noch schleppend und lag im vergangenen Jahr bei 36 Prozent.
"Wir brauchen Reformen und müssen mit einem Wechsel weg von der sogenannten Entscheidungslösung beginnen, die weltweit nur in Deutschland praktiziert wird und wenig bewirkt. Wir werden zwar von den Krankenkassen über die Organspende aufgeklärt, wirklich entscheiden muss sich aber niemand. Stattdessen sollte die weitverbreitete Widerspruchslösung eingeführt werden, nach der jeder Volljährige nach seinem Tod als potenzieller Organspender gilt, sofern er nicht zu Lebzeiten widerspricht", so Prof. Fornara, Transplantationsmediziner und Mitglied der Ständigen Kommission Organtransplantation sowie der Prüfungs- und Überwachungskommission der Bundesärztekammer. Dass sich jeder Einzelne nach der gesetzlich geregelten Aufklärung durch die Krankenkassen mit der Problematik auseinandersetzt und im Falle einer Ablehnung sein NEIN zur Organspende formuliert, könne von jedem Bürger erwartet werden, unterstreicht die BÄK in ihrer Entschließung für die Widerspruchslösung. Die verbreitete Sorge vor einer Bevormundung der Bürger teilen weder die DGU noch der Berufsverband der Deutschen Urologen e.V. (BvDU). "Die Widerspruchslösung ist vielmehr eine echte Entscheidungslösung, die jedem Versicherten die volle persönliche Entscheidungsfreiheit lässt", sagt BvDU-Präsident Dr. Axel Schroeder.
Bei europäischen Nachbarn wird schon länger auf die Widerspruchslösung gesetzt, zuletzt auch in den Niederlanden. Sogar im tief katholischen Spanien ist sie fest etabliert: Dort wurden 2017 mit 46,9 postmortalen Spendern pro einer Million Einwohner rund fünf Mal mehr Spender als in Deutschland verzeichnet. Deutschland ist im Vergleich der Mitgliedsländer von Eurotransplant mit nur 9,7 postmortalen Organspendern pro einer Million Einwohner das Schlusslicht. Im internationalen Vergleich reicht es für Platz 30 - hinter dem Iran und vor Rumänien.
"Um die Situation der über 10. 000 Menschen zu verbessern, die in Deutschland auf ein Spenderorgan warten, bedarf es aber mehr als der Einführung der Widerspruchslösung", sagt DGU-Präsident Prof. Fornara. Zur weiteren Systemkorrektur seien u.a. bundesweit einheitliche Aufgaben und Arbeitsbedingungen für Transplantationsbeauftragte, eine angemessene logistische, personelle und finanzielle Ausstattung der Entnahmekliniken sowie eine bessere Nachsorge erforderlich. Angesichts von rund 8000 Dialysepatienten, die nicht wie in Spanien ein Jahr, sondern in Deutschland durchschnittlich sechs Jahre auf eine Transplantation warten, bot die freiwillige Nierenlebendspende unter nahen Verwandten und einander emotional eng verbundenen Menschen 2017 in 557 Fällen einen Ausweg. "Blutgruppenungleiche Nierentransplantationen und neue schonendere operative Techniken wie die laparoskopische und die roboterassistierte Nierentransplantation sind heute auch bei einer Nierenlebendspende medizinisch möglich", so der Hallesche Transplantationsmediziner unter dessen Leitung die BÄK derzeit die erste Richtlinie zur Lebendspende erarbeitet, die sehr genau auf den Schutz des Spenders ausgerichtet sein wird.
Den verantwortlichen deutschen Gesundheitspolitikern gibt die DGU bereits Anfang Juli auf einem Parlamentarischen Abend in der Hauptstadt Gelegenheit, mit Experten der Fachgesellschaft und der Medizinischen Direktorin von Eurotransplant, Dr. Undine Samuel, über Systemkorrekturen bei der Organspende zu diskutieren, um Menschen auf der Warteliste eine Chance zu geben.
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