Rund 250.000 Männer in Deutschland sind pädophil,
so die Weltgesundheitsorganisation. Sie stuft Pädophilie als Störung
der Sexualpräferenz ein. Andere Stimmen sprechen von einer sexuellen
Neigung. Auf jeden Fall ist es ein Thema, das extrem emotional ist.
Und es ist ein Tabu, bei dem schnelle Antworten Konjunktur haben.
Rabiat-Autor Manuel Möglich stellt die Frage, wie kann, soll, muss
die Gesellschaft mit Pädophilen umgehen, und macht sich in der
Reportage "Unter Pädophilen" auf eine herausfordernde Reise, um
herauszufinden, wie Pädophile denken, fühlen.
Dabei lernen die Zuschauerinnen und Zuschauer den 60-jährigen
Georg kennen. Er bekennt sich zu seiner Pädophilie, will sich nicht
länger verstecken, denn er will etwas gegen die Stigmatisierung von
Pädophilen unternehmen, dem Diskurs ein Gesicht geben und aufklären.
Nicht jeder Pädophile wird zwangsläufig zum "Kinderschänder", so
Georg.
Dabei waren seine Handlungen nicht immer frei von Schuld: Vor
etlichen Jahren wurde Georg wegen des Besitzes von Kinderpornographie
zu einer Freiheitsstrafe auf Bewährung und zu einer Geldstrafe
verurteilt. Es war ein Urteil, das heftig wehtat, sagt Georg. Doch in
Anbetracht der Bilder, die er auf seinem Rechner hatte, sei seine
Strafe zu milde gewesen. Er weiß heute: Er war Täter. Er weiß heute:
Der Konsum von Missbrauchsabbildungen ist Missbrauch. Und er weiß
auch: Er ist kein Opfer, Georg sucht nicht nach Mitleid.
Pädophile sind per se keine Kindesmissbraucher - zu dem Ergebnis
kommt die Psychologin Dr. Janina Neutze von der Abteilung für
Forensische Psychiatrie und Psychotherapie an der Universität
Regensburg. Sie leitet die MIKADO-Studie (Missbrauch von Kindern:
Aetiologie, Dunkelfeld, Opfer) und weiß, dass zwar in der Wahrnehmung
der meisten Menschen die Begriffe Pädophilie und Kindesmissbrauch
unmittelbar verknüpft sind, doch faktisch betrachtet handelt es sich
um zwei unterschiedliche Phänomene. "In den MIKADO-Studien haben wir
bestätigen können, dass ungefähr die Hälfte derer, die
Kindesmissbrauch begehen, keine Phantasien mit Kindern haben.
Umgekehrt haben viele von denen, die Phantasien haben, noch lange
keinen Kindesmissbrauch begangen." Nicht die Neigung, sondern das
Verhalten kann verurteilt werden. Dennoch: Männer, die ausschließlich
Phantasien mit Kindern haben, sind deutlich risikobehafteter, ihre
Phantasien tatsächlich umzusetzen.
An der Berliner Charité kann beim Präventionsprojekt "Kein Täter
werden" niemand verbindlich Antwort geben, ob Pädophilie angeboren,
vererbbar ist oder ob sie aus Erfahrungen in der Kindheit der
Betroffenen herrührt. Seit der Gründung des Präventionsprojektes im
Jahr 2005 haben sich ca. 9.500 Menschen aus dem Bundesgebiet an das
Netzwerk gewendet; 3.000 Menschen haben diagnostische Gespräche
geführt und sich auf Pädophilie untersuchen lassen. Auch
Rabiat-Reporter Manuel Möglich macht bei Hannes Gieseler von der
Charité den Test und bekommt einen Einblick, welchen Fragen sich
Männer bei dem Präventionsnetzwerk "Kein Täter werden" stellen.
Max, für den das Charité-Angebot für Jugendliche "Du träumst von
ihnen" eine essentielle Hilfe darstellt, um den Alltag zu ordnen,
hätte ohne Therapie vermutlich nur schwer Klarheit über seine
Sexualität und Lebensrealität bekommen. Die Diagnose "pädophil" wird
jungen Menschen frühestens im Alter von 16 Jahren erteilt. Die
Behörden wurden auf den damals 13-Jährigen aufmerksam, weil er sich
Missbrauchsabbildungen im Internet heruntergeladen hatte. Max und
sein Vater, der als erstes verdächtigt wurde, erzählen, was es mit
einer Familie macht, wenn sich ein Teenager von deutlich jüngeren
Kindern sexuell erregt fühlt. "So wie die Präferenz nicht heilbar
ist", sagt Max "ist auch das Risiko nicht völlig ausschließbar. Das
weiß ich, aber ich gebe mir Mühe, dass es dazu nicht kommt."
Chris, Anfang 30, ist sich seiner pädophilen Neigung bewusst,
steht Therapieangeboten allerdings kritisch gegenüber. Er wisse sich
so zu verhalten, wie es die Gesellschaft verlange: "Wer sich nicht
benehmen kann und nicht vernünftig im Kopf ist, der wird - auch wenn
er heterosexuell ist - Mist bauen und Menschen Schaden zufügen. Ich
bin kein Arschloch!" Ein Sex-Angebot mit einem Kind in Deutschland,
das ihm einst unterbreitet wurde, lehnte er vehement ab. Seine
Phantasie muss ihm genügen, er sei sich dessen auch ohne eine einzige
Therapiestunde äußerst bewusst, er lebe mit sich und seiner Neigung
im Reinen.
"Unter Pädophilen" ist eine 45-minütige Begegnung mit Pädophilen
und Experten. Kann man so ein Thema differenzieren, mehr Nuancen als
weiß und schwarz ausmachen? Ob nun Störung oder Neigung, keiner der
drei betroffenen Protagonisten in der Reportage hat sich bewusst
dafür entschieden, pädophil zu werden. Die letzte Folge der ersten
Rabiat-Staffel ist eine Reportage, in der das eigene Unvermögen des
Autors Manuel Möglich im Umgang mit diesem Thema spürbar ist. Die
Frage, die am Ende offen bleibt: Wie soll eine Gesellschaft mit
Pädophilen umgehen?
Stabliste:
Buch und Regie: Manuel Möglich
Kamera: Andy Lehmann, Matthias Bähr
Ton: Julian Kiesche, Max Pellnitz
Schnitt: Danny Breuker
Producer: Christian Tipke
Produktionsleitung: Michael Kappler
Leitung: Thomas von Bötticher (Radio Bremen)
Eine Produktion der Sendefähig GmbH im Auftrag von Radio Bremen
für Das Erste © 2018
Rabiat - neues junges Reportageformat von Radio Bremen
Radio Bremen wird rabiat. Der Sender bringt ein Reportageformat
ins Erste, das jungen Reporterinnen und Reportern die Möglichkeit
gibt, ihre Geschichte für ein großes Fernsehpublikum zu erzählen. Die
Autorinnen und Autoren veröffentlichen ihre Reportagen seit knapp
zwei Jahren als "Y-Kollektiv" (https://www.youtube.com/y-kollektiv)
für funk, das Contentnetzwerk von ARD und ZDF. Sie sind preisgekrönt,
nominiert, mindestens aber auffällig. Journalistinnen und
Journalisten mit Haltung und Tiefgang im On, die auch mal voll in die
Kamera sprechen. Öffentlich-rechtliche Werte hat das Team
verinnerlicht, doch die Schmerzgrenze liegt woanders. Der Fokus
richtet sich auf die teilnehmende Beobachtung, das Kennenlernen, das
Erleben. In den sechs Reportagen der Staffel, die ab dem 30. April
2018 immer montags um 22:45 Uhr im Ersten laufen, sind sie ganz nah
dran; ob bei einem Koks-Deal, als Zielscheibe eines Shitstorms im
Netz oder bei einer Partynacht im SM-Club. Die Macherinnen und Macher
werden mit ihrer subjektiven Erzählweise Zuschauerinnen und
Zuschauern auch mal vor den Kopf stoßen. Sie bauen Klischees in den
Filmen auf, um sie postwendend zu brechen. Neue Sichtweisen sollen
sich eröffnen. Die Filme wollen, sollen, ja sie müssen polarisieren,
denn das macht gute Geschichten aus. Die Folgen der ersten
Rabiat-Staffel (jeweils um 22:45 Uhr im Ersten):
- 30. April: Drogenrepublik Deutschland
- 7. Mai: Netzwerk Pervers
- 14. Mai: Geld. Macht. Glück
- 28. Mai: Türken, entscheidet Euch!
- 4. Juni: Hass ist ihr Hobby
- 11. Juni: Unter Pädophilen
Die Fotos sind bei ARD Foto (http://www.ard-foto.de/) und der Film
im Vorführraum des Pressedienstes Das Erste
(https://presse.daserste.de/pages/vorfuehrraum/liste.aspx) abrufbar.
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Radio Bremen
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