Das Gehirn ist die wohl komplexeste Struktur, mit
dessen Funktionsweise sich Wissenschaftler unterschiedlicher
Disziplinen beschäftigen. Die Resultate der Hirnforschung sind für
viele Berufsgruppen interessant, auch für Ergotherapeuten.
"Tatsächlich verhält es sich so, dass Gehirnforscher heute die
Wirkung vieler Ansätze, die Ergotherapeuten schon lange anwenden,
bestätigen.", erklärt der Ergotherapeut Felix Haase, DVE (Deutscher
Verband der Ergotherapeuten e. V.). Und legt dar, wie diese
Erkenntnisse im Zusammenspiel mit Erfahrungen die ergotherapeutische
Arbeit prägen.
Selbstbestimmt und in jeglicher Hinsicht handlungsfähig sein. Wer
möchte das nicht? Doch gibt es immer wieder Situationen im Leben
eines Menschen, die zu einem Bruch führen, die das Leben auf den Kopf
stellen: Der Tod eines geliebten Menschen, Übergänge wie Trennung,
Scheidung, Rente oder der Verlust des Arbeitsplatzes ziehen oftmals
ebenso massive Veränderungen im Alltag nach sich wie Einschränkungen
durch einen Unfall oder schwere Erkrankungen. Dies alles kann dazu
führen, dass Menschen bei ihren täglichen Handlungen beeinträchtigt
sind; auf körperlicher, seelischer oder geistiger Ebene.
Das Gehirn auf Antrieb umschalten
Ergotherapeuten sind auf Empowerment spezialisiert. Was bedeutet,
dass sie ihre beeinträchtigten Patienten und Klienten befähigen, das
wieder tun zu können, was für sie wichtig ist. Was ist also
naheliegender, als diese täglichen Handlungen wie etwa soziale
Kontakte pflegen, eine erfüllende Aufgabe finden oder an den
Arbeitsplatz zurückkehren, "einfach" zu üben oder wieder zu erlernen,
wenn sie für diesen Menschen eine Bedeutung haben, ja sein Leben
ausmachen und prägen? Um herauszufinden, was genau das ist, gehen
Ergotherapeuten tief in die Biografie ihrer Patienten um
entsprechende Ziele gemeinsam mit ihnen festzulegen. "Jede
Therapiesituation ist eine Lernsituation.", verdeutlicht Felix Haase
den Ansatz der Ergotherapie. Der Ergotherapeut erklärt weiter:
"Lernen funktioniert über die Vorgänge im Gehirn. Das sogenannte
mesolimbische System, das Wissenschaftler inzwischen allgemein als "
Belohnungssystem" bezeichnen, ist das, was Ergotherapeuten mit ihrer
Arbeit aktivieren wollen. Denn in diesem Bereich des Gehirns sind die
Emotionen angesiedelt, dort entsteht durch Ausschütten des Hormons
Dopamin unter anderem Freude.". Wenn es gelingt, dieses System zu
aktivieren, erleben Menschen außer Freude, Glück und Erfolg. Dadurch
verstärken sich auf neurobiologischer Ebene alle Lernprozesse im
Gehirn.
Erfolgserlebnisse bei wichtigen Handlungen herbeiführen
Der Ergotherapeut verdeutlicht die ineinander greifenden Prozesse.
Patienten, die nach einem Schlaganfall, einem Unfall oder einer
anderen Erkrankung beispielsweise einen Arm nicht mehr bewegen
können, sind oft massiv in ihrer Handlungsfähigkeit beeinträchtigt.
Lassen sich beeinträchtige Funktionen nicht mehr trainieren oder
wiedererlernen, ist der ergotherapeutische Ansatz
Kompensationsstrategien anzuwenden. Damit die Betroffenen die für sie
wichtigen Handlungen im Alltag trotz des bewegungsunfähigen Arms
ausführen können, schauen Ergotherapeuten nach vorhandenen anderen
Fähigkeiten, üben beispielsweise mit dem gesunden Arm oder setzen
Hilfsmittel ein. Für den Erfolg einer ergotherapeutischen
Intervention ist es wichtig, die Ziele erreichbar zu machen, damit
der Patient immer wieder Erfolgserlebnisse hat und dadurch das
Belohnungssystem im Gehirn tatsächlich anspringen kann. Damit es dazu
kommt, müssen die Dinge und Handlungen, die die Patienten üben, auch
klappen. Und es müssen Dinge sein, die sie interessieren, zu denen
sie einen Bezug haben, die sie begeistern, die sie gut finden. Warum
ist das so wichtig? Dazu zerlegt der Ergotherapeut Haase wiederum die
im Gehirn ablaufenden Prozesse: "Vom Belohnungssystem gibt es ganz
kurze, direkte Verknüpfungen zum sogenannten Präfrontalhirn direkt
hinter der Stirn. In diesem Teil des Gehirns kommen
Handlungsentschlüsse zustande. Jeder Mensch will (unbewusst) nur von
Erfolg gekrönte Handlungen wieder ausführen." Um dies im Rahmen ihrer
Intervention zu gewährleisten, stellen Ergotherapeuten durch ihre
einfühlsame Einschätzung und Vorgehensweise sicher, dass ihre
Patienten - möglicherweise auch nur in kleinen Schritten - jeweils
genau so viel tun, dass sie dabei erfolgreich sein können. So
entsteht das Gefühl, etwas geschafft, etwas erreicht zu haben. Und
eben dann, bei einer erfolgreichen Handlung, schüttet das Gehirn
Dopamin aus. Über die Freude hinaus wirkt Dopamin antriebssteigernd
und fördert damit die Eigenmotivation des Patienten, weiterzumachen.
Zu große Schritte oder (Selbst)Überforderung hingegen bewirken das
Gegenteil.
Wie Ergotherapeuten Vertrauen bilden
Dass eine solche Vorgehensweise bei körperlichen Einschränkungen
funktioniert, leuchtet ein. Doch wie verhält es sich bei Erkrankungen
auf psychischer Ebene? "Im Bereich seelischer Belastungen und
psychischer Störungen spielen zunächst zwei Aspekte eine große Rolle:
Die Bindung zwischen Patient und Therapeut. Und die täglichen
Handlungen, eingebettet in eine Tagesstruktur.", zeigt der
Ergotherapeut, welche grundlegenden Ziele die Ergotherapie in diesem
Fall verfolgt. Um das nötige Vertrauen zu bilden, greifen
Ergotherapeuten bei Bedarf auch zu unkonventionellen Methoden, führen
erste Gespräche je nach Befinden des Patienten nicht zwangsläufig in
der Praxis. Sie wissen, dass ein Gespräch in vertrauter Umgebung oder
entspannter Atmosphäre, wie bei einem Spaziergang, also "walk and
talk", in kürzerer Zeit und besser dazu führt, den Patienten zu
öffnen, als in Therapie-Räumen. "Das Gefühl, dem Therapeuten
vertrauen zu können und ein "Ohr" zu finden ist für Patienten eine
positive Bindungserfahrung. Dabei kommt es zu wichtigen
neurophysiologischen Vorgängen im Gehirn: Es schüttet das als
"Kuschelhormon" bezeichnete Oxitocin aus. Dieses Hormon ist ein
Gegenspieler zu Angst und Stresserleben.", veranschaulicht der
Ergotherapeut, was im Gehirn vor sich geht. Je schneller es
Ergotherapeuten gelingt, das Vertrauen ihrer Patienten zu erlangen,
desto zügiger kommen diese in eine seelische Verfassung, die das
weitere, zielgerichtete Arbeiten zulässt. Oftmals sind Menschen mit
psychischen Problemen nicht mehr ins Arbeitsleben integriert. Sie
benötigen dann Impulse von außen, müssen aktiviert werden, benötigen
eine Aufgabe und eine Struktur im Alltag. Und diese machen
Ergotherapeuten wie in jedem anderen Fall an den für Betroffene
wichtigen Handlungen, "der Betätigung", fest.
Informationsmaterial gibt es bei den Ergotherapeuten des DVE
(Deutscher Verband der Ergotherapeuten e.V.); Ergotherapeuten in
Wohnortnähe auf der Homepage des Verbandes im Navigationspunkt
Service und Ergotherapeutische Praxen, Suche.
Pressekontakt:
Angelika Reinecke, Referentin für Öffentlichkeitsarbeit des DVE e.V.
Telefon: 033203 - 80026, E-Mail: a.reinecke@dve.info
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