Seit wenigen Tagen liegt ein Referentenentwurf des
Terminservice- und Versorgungsgesetzes (TSVG) vor. Datenschützer,
Patienten und Ärzte sind alarmiert: "Bundesgesundheitsminister Spahn
will eine auf zentralen Servern liegende ''elektronische
Patientenakte'' mit Zugriff sowohl über die Gesundheitskarte und ihre
Telematikinfrastruktur als auch über das Internet", erklärt Dr. Silke
Lüder vom Bündnis "Stoppt die e-Card". "Das bedeutet eine gigantische
Sammlung sensibler Daten auf einem zentralen Server - für Datendiebe
ein extrem attraktives Ziel mit hohem finanziellen Wert. Patienten,
deren Daten dort gespeichert werden, werden quasi enteignet", ergänzt
Dr. Elke Steven, Geschäftsführerin von "Digitale Gesellschaft".
Außerdem bergen beide Zugriffswege Risiken: Der Zugang über die
Gesundheitskarte erfordert ein zentrales Register aller vorhandenen
elektronischen Akten in der Telematikinfrastruktur. So kann man
leicht nachprüfen, welche Versicherten keine elektronischen Akten
haben. Bei Versicherten mit elektronischer Akte kann man über dieses
Zentralregister mindestens feststellen, wo ihre Akte zu finden ist.
Der nun zusätzlich vorgesehene Zugang per Smartphone oder Tablet
über das Internet bedeutet offene Schnittstellen in der
Telematikinfrastruktur, welche aus Sicherheitsgründen als
geschlossenes Netz geplant war. Damit vervielfältigt sich die Gefahr
unbefugter Zugriffe auf die elektronischen Patientenakten. Die
übertragenen Daten auf den oft unzureichend gesicherten Mobilgeräten
sind weiteren Gefahren ausgesetzt: Zugriffe durch Schadsoftware,
Staatstrojaner und persönliche Assistenten (wie z. B. Cortana oder
Siri) der Internetkonzerne.
Auch die Einwilligungsregelung soll sich ändern: Mit der
Übertragung von Daten in die elektronische Akte durfte bislang erst
begonnen werden, wenn der Betroffene gegenüber einem Arzt, Zahnarzt,
Psychotherapeuten oder Apotheker eingewilligt hatte und die
Einwilligung auf der Gesundheitskarte dokumentiert war. Dies setzte
voraus, dass die Patienten auch tatsächlich in der Lage sein mussten,
ihre Entscheidung bewusst und in Kenntnis der Risiken einer
Offenlegung ihrer Daten zu treffen - was bei Kranken und
Hilfsbedürftigen nicht ohne Weiteres vorausgesetzt werden kann. Nach
dem Gesetzentwurf soll nicht einmal diese Möglichkeit mehr gegeben
sein. Denn die Patienten sollen ihre Zustimmung auch pauschal auf
anderen Wegen oder nur gegenüber der Krankenkasse erklären können.
Dies macht es schwer nachvollziehbar, ob tatsächlich eine
Einwilligung vorliegt oder ob sie eventuell sogar widerrufen wurde.
Außerdem soll eine "elektronische
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung" (eAU) eingeführt werden. Das
bedeutet, dass alle Angaben, die bisher vom Versicherten auf Papier
an die Krankenkasse geschickt wurden, künftig unter Angabe der
Diagnose über eine Telematikinfrastruktur geleitet werden sollen. Der
Versicherte hat so keine Möglichkeit, sich gegen diese elektronische
Übertragung sensibler Daten zu entscheiden.
"Die zentrale Speicherung mit Onlinezugang im Browser, ohne
ausreichende Verschlüsselung vereint das Schlechte aus zwei Welten",
fasst Anwalt und IT-Fachmann Jan Kuhlmann, Vorsitzender des Vereins
Patientenrechte und Datenschutz e. V., zusammen. "Die beabsichtigte
Einwilligungsregelung und eine elektronische
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung gefährden die informationelle
Selbstbestimmung des Versicherten. Wir bewerten diese Vorschläge als
''Spahnsinn''."
Unterstützende Organisationen:
Die Aktion "Stoppt die e-Card" www.stoppt-die-e-card.de ist ein
breites Bündnis von mehr als 50 Bürgerrechtsorganisationen,
Datenschützern, Patienten und Ärzteverbänden. Die Bündnispartner
sehen in der elektronischen Gesundheitskarte eine Gefahr für die
ärztliche Schweigepflicht, die informationelle Selbstbestimmung der
Bürger und für eine gute medizinische Versorgung. Das Bündnis ist
seit 2007 aktiv.
dieDatenschützer Rhein Main https://ddrm.de/ - eine lokale Gruppe
des Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung und Partner der Aktion:
Stoppt die e-Card! Die aktuellen Arbeitsschwerpunkte sind u. a. die
unzulässige Videoüberwachung des öffentlichen Raums, die
elektronische Gesundheitskarte (eGK) und die Digitalisierung des
Gesundheitswesens, der Sozialdatenschutz, z. B. bei Job-Centern, und
die Überwachung durch Geheimdienste und andere staatliche Stellen.
Der Digitale Gesellschaft e. V. hat sich der gerechten und
demokratischen Teilhabe aller Menschen am digitalen und vernetzten
Zeitalter verschrieben. Wir setzen uns gegen einseitige Sicherheits-
und Urheberrechtspolitik, für Transparenz und Fairness, gegen
Hinterzimmerlobbyismus und für Nutzerrechte ein. Wir wollen Grund-
und Freiheitsrechte in der digitalen Welt verteidigen und ausbauen.
Die Freie Ärzteschaft e. V. (FÄ) www.freie-aerzteschaft.de ist ein
Verband, der den Arztberuf als freien Beruf vertritt. Er wurde 2004
gegründet und zählt mehr als 2.000 Mitglieder: vorwiegend
niedergelassene Haus- und Fachärzte sowie verschiedene Ärztenetze.
Vorsitzender des Bundesverbandes ist Wieland Dietrich, Dermatologe in
Essen. Ziel der FÄ ist eine unabhängige Medizin, bei der Patient und
Arzt im Mittelpunkt stehen und die ärztliche Schweigepflicht gewahrt
bleibt.
Die Humanistische Union e. V. - Landesverband Berlin-Brandenburg
http://berlin.humanistische-union.de/ ist eine unabhängige
Bürgerrechtsorganisation. Seit unserer Gründung 1961 setzen wir uns
für den Erhalt und Ausbau der Grundrechte in Deutschland ein. Wir
sind für die Durchsetzung des Rechts auf selbstbestimmtes Leben und
Sterben.
Komitee für Grundrechte und Demokratie e. V.
http://www.grundrechtekomitee.de Aktiv, streitbar, couragiert und -
wenn menschenrechtlich geboten - zivil ungehorsam engagiert sich das
Komitee für Grundrechte und Demokratie. Im Themenbereich
"Gesundheitssystem/Bioethik" treten wir für Datensouveränität und
Patient*innenrechte ein und haben uns u. a. kritisch mit Big Data im
Gesundheitswesen und der e-Card auseinander gesetzt.
LabourNet Germany: http://www.labournet.de/ Treffpunkt für
Ungehorsame, mit und ohne Job, basisnah, gesellschaftskritisch
Patientenrechte und Datenschutz e. V.
https://patientenrechte-datenschutz.de/ ist ein Zusammenschluss von
Mitgliedern gesetzlicher Krankenkassen, die die elektronische
Gesundheitskarte und die geplante Vernetzung im Gesundheitswesen, die
sog. "Telematikinfrastruktur", aus Datenschutzgründen kritisieren.
Thure von Uexküll-Akademie für Integrierte Medizin
https://uexkuell-akademie.de/ Auf der Suche nach einem passenden
Modell, um die Spaltung der Medizin in eine für seelenlose Körper und
eine für körperlose Seelen zu überwinden, haben sich in der Akademie
Kolleginnen und Kollegen verschiedenster Fachrichtungen
zusammengetan. In Regionalgruppen, Workshops, Modellwerkstätten und
Tagungen werden die Grundgedanken des entstehenden Modells
(wissenschaftstheoretische Ansätze der Semiotik, des Konstruktivismus
und der Systemtheorie) vertieft, diskutiert und in ihrer
Brauchbarkeit überprüft. Ziel ist die Entwicklung einer Theorie der
Humanmedizin, die die individuelle Wirklichkeit der Beteiligten
reflektiert.
V. i. S. d. P.: Jan Kuhlmann, Vorsitzender des Vereins
Patientenrechte und Datenschutz e. V., Heinrich-Seidel-Str. 17,
12167 Berlin
Pressekontakt:
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