In der Kontroverse um die weitere Ausgestaltung des
morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleichs (Morbi-RSA) hat der
AOK-Bundesverband deutlich Position bezogen. Vorstandsvorsitzender
Martin Litsch sieht jetzt den Moment für eine politische Lösung
gekommen: "Aus den beiden Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats
beim Bundesversicherungsamt lässt sich eine tragfähige Reform
ableiten. Damit sorgt die Politik für Planungssicherheit bei den
Krankenkassen und schlichtet einen Dauerstreit." Dabei müsse darauf
geachtet werden, dass die Finanzreform auch die großen
Herausforderungen im Gesundheitswesen berücksichtige. "Kassen sollten
motiviert sein, wirtschaftlich zu agieren. Gleichzeitig muss die
gesundheitliche Daseinsvorsorge in ländlichen Regionen weiter
verbessert werden."
Laut Jens Martin Hoyer, Stellvertretender Vorstandsvorsitzender
des AOK-Bundesverbandes, gibt das erste Sondergutachten klare
Handlungsvorgaben: "Wie von den Gutachtern vorgeschlagen, ist es
sinnvoll, künftig alle Krankheiten im Morbi-RSA zu berücksichtigen,
bei den Zuschlägen das Alter deutlicher zu gewichten und die
Manipulationsresistenz zu stärken." Die AOK unterstütze sämtliche
Vorschläge aus dem ersten Beiratsgutachten, obwohl diese für das
AOK-System Zuweisungsverluste bedeuteten. "Für uns steht die
grundsätzliche Linie der Zielgenauigkeit des Morbi-RSA und des Abbaus
von Risikoselektion an erster Stelle. Das muss der entscheidende
ordnungspolitische Maßstab bleiben."
Insgesamt ließen sich die Handlungsempfehlungen der Gutachter
zügig umsetzen. Beim zweiten Sondergutachten sieht die
AOK-Gemeinschaft allerdings noch Anpassungsbedarf. So stelle das
Gutachten zwar fest, dass die Kassenergebnisse kaum durch regionale
Verteilung von Versicherten beeinflusst werden. Auch fehle eine
Begründung, worin ein Anreiz zur regionalen Risikoselektion bestehen
könne. Hoyer: "Dennoch schlägt der Beirat die kurzfristige Einführung
von regionalen Ausgleichskriterien vor, was aus unserer Sicht nicht
sachgerecht ist." Denn diese zementierten die bestehende Über- und
Fehlversorgung in Ballungsräumen und benachteiligten strukturschwache
Regionen in allen Bundesländern. "Es ist begrüßenswert, dass der
Beirat Ist-Ausgaben-Ausgleiche konsequent ablehnt. Umso
unverständlicher sind dann aber die vom Beirat ebenfalls ins Spiel
gebrachten Deckungsbeitragscluster-Ausgleiche, die einem
Ist-Ausgaben-Ausgleich gleichkommen", so der Verbandsvize. Ohne
Wirtschaftlichkeitsanreize für die Krankenkassen im Morbi-RSA drohten
mittelfristig Ausgabenschübe und Beitragssatzsteigerungen.
Neben der RSA-Reform müsse die Politik auch den Wettbewerb
zwischen den Krankenkassen reformieren. "Ein sinnvoller Wettbewerb
zwischen Krankenkassen konzentriert sich vor allem auf effektive und
effiziente Versorgung", so Hoyer weiter. Damit das funktioniere,
bräuchten die Kassen entsprechende Handlungsspielräume.
Während die AOK beim RSA schnelle Lösungen für möglich hält, seien
diese auf den Reformbaustellen der Gesundheitsversorgung eher nicht
zu erwarten, so Verbandschef Martin Litsch: "Für Patienten und
Versicherte ist das eigentliche Topthema die Sicherstellung der
medizinischen Versorgung auf dem Land." Zwar enthalte das
Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) hier ein paar
Ansatzpunkte, zum Beispiel Investitionskostenzuschüsse aus dem
Strukturfonds bei Neuniederlassungen. "Realistisch betrachtet bleiben
wir damit aber im Klein-Klein stecken, nachhaltige Verbesserungen
werden ausbleiben. Was wir brauchen, ist eine groß angelegte
Versorgungsoffensive für den ländlichen Raum. Dabei muss der Bedarf
der Menschen maßgeblich sein", so Litsch. Anstelle von
unübersichtlichen Einzelvergütungen solle gezielt in notwendige
Strukturanpassungen investiert werden. Neben einer besseren
Verzahnung von ambulanten und stationären Versorgungsstrukturen
gehörten dazu beispielsweise mobile Angebote sowie der Ausbau der
Fernbehandlung. Hier werde sich die AOK-Gemeinschaft gezielt
engagieren.
Im Übrigen sei es aber auch Aufgabe der ärztlichen
Selbstverwaltung, die medizinische Versorgung durch Ärzte so
sicherzustellen, dass diese gut erreichbar sind und die fachärztliche
Versorgung zeitnah gewährleistet ist. Litsch: "Hierfür haben die
Kassenärztlichen Vereinigungen allein im Jahr 2017 rund 42,6
Milliarden Euro von der gesetzlichen Krankenversicherung erhalten.
Die Einnahmen der Vertragsärzte haben sich seit 2010 um mehr als neun
Milliarden Euro erhöht, ein Plus von über 25 Prozent. Die
Zufriedenheit mit der vertragsärztlichen Versorgung hat sich
allerdings nicht verbessert."
Noch an anderer Stelle meldet Martin Litsch Nachbesserungsbedarf
an: Zwar bringe das TSVG mehr Schwung in die Digitalisierung. Der
Wettbewerb um innovative Lösungen könne aber nur beflügelt werden,
wenn der Paragraf 67 im Fünften Sozialgesetzbuch zum Ausbau der
elektronischen Kommunikation zwischen Leistungserbringern und
Krankenkassen um die Gruppe der Patienten erweitert werde. Außerdem
müsse die Rolle der gematik im Sinne einer Netzagentur neu definiert
werden.
Zur jüngsten Kritik der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV)
am AOK-Projekt stellt Litsch klar: "Mit unserem Digitalen
Gesundheitsnetzwerk wollen wir die Versorgungsprozesse im Sinne der
Patienten verbessern. Dafür sollen die Diagnose- und Therapiedaten
für alle Leistungserbringer sektorübergreifend vernetzt werden. Dies
gelingt durch die dezentrale Speicherung der medizinischen
Informationen und Dokumente. Die Daten bleiben auf Servern von
Arztnetzen, Kassenärztlichen Vereinigungen oder Kliniken." Dass die
KBV jetzt behaupte, verteilte Datenspeicherung sei unsicherer und
biete mehr Möglichkeiten für Hackerangriffe, sei irreführend.
Vielmehr biete gerade die dezentrale Speicherung eine hohe
Sicherheit, weil Daten nicht mit einem Angriff gestohlen werden
könnten. Auch bleibe die Arzt-Akte absolut unangetastet. Allein Arzt
und Patient könnten entscheiden, welche Daten zur Verfügung gestellt
werden.
Litsch: "Es ist erstaunlich, mit welcher Heftigkeit die KBV unser
Digitales Gesundheitsnetzwerk ohne faktische Grundlage attackiert.
Wir haben zu all diesen Fragen gute Lösungen erarbeitet und wünschen
uns, dass wir bald zu einem sachlichen Austausch zurückkehren. Unsere
Versicherten erwarten innovative und sichere Angebote."
Weiterführende Informationen finden Sie auf www.aok-bv.de.
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