Mehr als drei Millionen Menschen in Deutschland leiden an
Tinnitus, die Krankheit ist längst in der Gesellschaft angekommen.
Hörakustiker leisten bei der Tinnitus-Versorgung wichtige Arbeit.
Anlass für die Bundesinnung der Hörakustiker (biha), eine
interdisziplinäre Fachtagung für Hörexperten aus ganz Deutschland
auszurichten. Dieses Jahr feierte sie ihr 5. Jubiläum - mit einem
neuen Besucherrekord: Rund 120 Hörakustiker, HNO-Ärzte und weitere
Experten nahmen am "5. Tinnitus-Tag der Deutschen Hörakustiker" am 5.
September 2018 in Frankfurt am Main teil. Schwerpunkt der
Fachvorträge in diesem Jahr: Die Tinnitusversorgung und ihre
Rahmenbedingungen.
Nach der Begrüßung durch Jakob Stephan Baschab, dem
Hauptgeschäftsführer der biha, übernahm Gabriele Gromke,
Vize-Präsidentin a.D. der biha, Hörakustiker-Meisterin und
Spezialistin in der Tinnitus-Versorgung durch Hörakustiker, die
Moderation. Sie führte durch ein Programm, in dem Vertreter der
Leistungserbringer, der Tinnitus-Betroffenen und der Medizin zu Wort
kamen. Neu waren hingegen die Beiträge von Vertretern der
gesetzlichen Krankenkassen (GKV) und des Medizinischen Dienstes der
Krankenkassen (MDK).
Volker Albert, Vorsitzender der Deutschen Tinnitus-Liga (DTL),
führte in die Fachtagung ein mit einem Rückblick auf 5 Jahre
Tinnitus-Tag, dessen Schwerpunkte und den Status quo der
Tinnitus-Versorgung. Als Beispiel der großen Probleme der
Tinnitus-Betroffenen stellte er die Schreckhaftigkeit vor. Ist die
Hörfähigkeit eingeschränkt durch einen Tinnitus, fällt das Filtern
der Geräusche schwer. Wichtig wird nicht mehr von unwichtig getrennt,
es kann eine Reizüberflutung entstehen und dadurch eine
Schreckhaftigkeit. Hier hilft eine Hörsystemversorgung ungemein.
Dennoch bleiben Wünsche offen. Die konnte er erfolgreich sowohl vor
Leistungserbringern als auch GKV und MDK artikulieren.
Siegrid Meier, Dozentin der Akademie für Hörakustik (afh), ging
auf die Zusammenhänge von Hören, Schwerhörigkeit und Tinnitus näher
ein, die Arbeit des Hörakustikers in der Tinnitus-Versorgung und die
technischen Möglichkeiten. Sie machte noch einmal deutlich, dass eine
Tinnitusversorgung immer interdisziplinär stattfinden muss. Experten
aus den Bereichen der Hörakustik, der Medizin und Psychologie u.a.
sind dabei gefragt und arbeiten eng zusammen.
Dass auch die Kommunikation und Zusammenarbeit zwischen
Leistungserbringern und GKV stimmen muss, darauf wies ihr Vortrag
bereits hin. Denn in der Tinnitusversorgung hat sich gerade in den
vergangenen 5-10 Jahren die Integration von Zusatzfunktionen der
Hörgeräte zum Standard entwickelt. Dazu muss der Tinnitus-Betroffene
erst beraten und dann versorgt werden. Hier kommen die GKV ins Spiel,
denn die Tinnitus-Versorgung ist Teil ihres Versorgungspakets für
gesetzlich Versicherten.
Über die "sozialrechtliche und finanzielle Chancen und Risiken
einer Tinnitusversorgung" für die Leistungserbringer, also die
Hörakustiker, sprachen Christoph Zamoryn, Fachberater der IKK classic
und u.a. zuständig für die Hilfsmittelversorgung, und Alexandra
Gödecke, Ass. Jur., Abteilung soziale Sicherung der biha, in ihrem
gemeinsamen Beitrag. Beide arbeiten an der Schnittstelle zwischen
Leistungserbringern, GKV und Versicherten - einem Spannungsfeld der
Interessen. Umso wichtiger ist die sehr gute Zusammenarbeit und umso
lebendiger wurde dieser Beitrag auf dem 5. Tinnitus-Tag der Deutschen
Hörakustiker diskutiert.
Zamoryn dankte für die Einladung: "Es ist keine
Selbstverständlichkeit". Im Dialog und in der Fachtagung sieht er die
Chance auf eine win-win-Situation. "Ich lerne für meine Arbeit auch
von Ihnen dazu." Denn "es gilt im sozialrechtlichen Rahmen, Gehör zu
finden", gibt er den Hörakustikern mit auf den Weg. Er ging näher auf
den bereits 2016 mit der biha geschlossenen Versorgungsvertrag ein
und auf etwaige anstehende Änderungen. Hierzu wird er einiges aus der
Fachtagung der Hörakustiker mit in die nächste Verhandlung nehmen,
wie bspw.: "Beratung ist ein wesentlicher Beitrag der
Leistungserbringer." Die wollen diese vergütet haben. Gromke: "Sie
verlangen Qualitätsstandards, das kostet Zeit. Umso mehr bei einer
Tinnitus-Versorgung, die noch intensiver ist. Hier kommen ein großes
psychologisches Moment der Betroffenen, ihre Ängste und Stress hinzu,
dem begegnet werden muss." Das muss sich in den Zahlen widerspiegeln,
fordern die Hörakustiker. Diese Forderung würde Zamoryn für seine
weitere Arbeit mitnehmen.
Dr. Patrick Schunda sprach als Vertreter des MDK Hessen zu "Der
MDK und seine Sicht zur Tinnitusversorgung". Er ging auf die
nationale Leitlinie zur Versorgung eines chronischen Tinnitus ein und
deren Zusammenspiel mit dem Gesetz, hier dem Sozialgesetzbuch V.
Durch die auf wissenschaftlichen Studien und Evidenz beruhenden
Aussagen der Leitlinie und deren Zusammenwirken mit dem Gesetz konnte
er sehr gut darstellen, wie und warum manche Entscheidungen fallen,
die bspw. den Betroffenen im ersten Moment nicht verständlich
erscheinen. Ein Ausblick gab den Leistungserbringern Mut und den
Willen, Dinge zu ändern.
Nach einem kurzen Abriss der Geschichte des Tinnitus von Prof. Dr.
Gerhad Goebel, ehem. Chefarzt der Schön-Klinik-Roseneck, Prien, ging
Dr. Roland Zeh, Chefarzt der Fachklinik für Hörstörung, Tinnitus,
Schwindel und Cochlea-Implantate der MEDIAN-Kaiserberg-Klinik
Bad-Nauheim auf den "Aktuellen Stand der klinischen Rehabilitation in
der Tinnitusversorgung" ein. Er stellt Tinnitus als einen Tiger dar,
der, anders als ein Schoßhund, nicht unbeachtet im Körbchen in der
Ecke schläft. Einen Tinnitus-Tiger lässt man aus Angst nicht aus den
Augen. Angst ist eines der größten Probleme dieser Erkrankung. Es
geht darum, den Betroffenen die Angst vor dem Tinnitus zu nehmen.
Erst dann ist es möglich, Tinnitus zu kompensieren. "Heute weiß man,
wie ein Tinnitus entsteht", sagt Zeh. Und obwohl der Tinnitus primär
organischen Ursprungs ist, ist "das Ausmaß vom Leiden in erster Linie
durch psychische und psychosomatische Faktoren bestimmt". Bei allen
gilt es als erstes, die Hörsituation zu optimieren. Nach Maskierung
des Tinnitus und Reduzierung des Hörstresses müssen Entspannung und
Ablenkung angegangen und trainiert werden. "Wie ein Bodybuilder muss
hier aktiv trainiert werden", sagt Zeh.
Der Tinnitus-Tag ist vor fünf Jahren parallel mit der von der biha
verfassten bundesweit geltenden Leitlinie zur Tinnitus-Versorgung der
Hörakustiker implementiert worden. Auf der jährlichen Fachtagung
können sich Hörakustiker, HNO-Ärzte, Therapeuten sowie alle, die in
die Versorgung von Tinnitus-Patienten involviert sind, austauschen
und weiterbilden.
Hintergrund zum Hörakustiker-Handwerk
In Deutschland gibt es etwa 5,4 Millionen Menschen mit einer
indizierten Schwerhörigkeit, Tendenz steigend. Schwerhörigkeit zählt
zu den zehn häufigsten gesundheitlichen Problemen. Mit etwa 6.400
Hörakustiker-Betrieben und ca. 15.000 Hörakustikern versorgt das
Hörakustiker-Handwerk etwa 3,5 Millionen Menschen in Deutschland mit
qualitativ hochwertigen, volldigitalen Hörsystemen. Die Bundesinnung
der Hörakustiker (biha) KdöR vertritt die Interessen der Hörakustiker
in Deutschland.
Neben der Erstversorgung des Kunden ist der Hörakustiker auch für
die begleitende Feinanpassung mit wiederholten Überprüfungen und
Nachstellungen der Hörsystemfunktionen zuständig. Daneben organisiert
er - wenn der gesetzliche Anspruch besteht - die Kostenübernahme
durch die gesetzlichen Krankenversicherungen und steht für Wartung
und Reparaturen der Hörsysteme bis zu einem gewissen Grad zur
Verfügung.
Darüber hinaus berät er zu Gehörschutz und speziellem technischem
Zubehör. Der Hörakustiker verfügt über theoretisches Wissen aus der
Akustik, Audiologie, Psychologie und Hörsystemtechnik und über
praktische Fertigkeiten zur Audiometrie.
Pressekontakt:
Dr. Juliane Schwoch (biha)
schwoch@biha.de
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