Wachkoma hört sich für viele nach
Hoffnungslosigkeit, nach Einbahnstraße an. Das sieht Anne-Mareike
Göbel, Ergotherapeutin im DVE (Deutscher Verband der Ergotherapeuten
e. V.), anders: "Es fallen jährlich etwa drei- bis viertausend
Menschen ins Wachkoma, wovon statistisch betrachtet nur etwa 10%
dauerhaft in diesem Zustand bleiben werden. Das ist eine sehr
positive Prognose." Sie und ihre Berufskollegen sind maßgeblich daran
beteiligt, die Kommunikation mit Menschen im Wachkoma herbeizuführen,
dadurch eine Brücke zur Außenwelt zu schlagen und sie im Rahmen ihrer
Möglichkeiten in Alltagshandlungen einzubinden, also handlungsfähig
zu machen. Das erhöht die Chancen dieser Menschen, das Wachkoma zu
verlassen.
Wachkoma ist oftmals die Folge von Erkrankungen wie Herzinfarkt,
schwerer Schlaganfall, Aneurysma, Toxikationen durch Alkohol- oder
Drogenmissbrauch, Endzustände bestimmter Hirnerkrankungen,
Verletzungen durch Unfälle mit folgenschweren Kopfverletzungen,
Ertrinkungsunfälle und anderen Geschehnisse, die dazu führen, dass
das Gehirn mit zu wenig Sauerstoff versorgt wird. Sterben dabei
Gehirnzellen im Großhirn ab, können die Betroffenen ins Wachkoma
fallen. Wachkoma ist eine Einschränkung des Bewusstseins; diese
Menschen kommen daher üblicherweise ohne lebenserhaltende Apparate
aus, ihre Spontanatmung und die Herz-Kreislauftätigkeit bleiben
erhalten. Ebenso wie ihr Schlaf-Wach-Rhythmus. "Während der
Wachphasen haben sie die Augen geöffnet. Die Augen gehen anfangs oft
ins Leere oder wandern, ohne zu fixieren. Menschen im Wachkoma zeigen
keine von außen als sinnvoll erkennbare Reaktion auf Berührung oder
Ansprache.", beschreibt die Ergotherapeutin Anne-Mareike Göbel die
schwierige Situation, in der sich die Betroffenen am Anfang ihrer
Intervention befinden.
Erste ergotherapeutische Aufgabe: Kommunikationsebene finden Das
erste Ziel von Ergotherapeuten, die ambulant mit Menschen im Wachkoma
arbeiten, ist, mit demjenigen in Kontakt zu kommen und ihn in Kontakt
mit seiner unmittelbaren Umwelt zu bringen. Behutsam bahnen
Ergotherapeuten wie Anne-Mareike Göbel die Kommunikation an, indem
sie sich - je nach dem auf welche Reize der Patient reagiert -
beispielsweise durch eine bestimmte immer wiederkehrende Berührung,
ein spezielles, sanftes Geräusch, Musik oder ein Licht ankündigen. So
lernen die Menschen im Wachkoma dieses Signal dem Therapeuten
zuzuordnen. "Für einen Menschen im Wachkoma führt die Ungewissheit
was passiert, nachdem sich die Tür öffnet, häufig zu Anspannung,
Stress oder einer Abwehrhaltung. Gibt es eine Spritze, verändert
jemand seine Liegeposition? Wird sein Körper mal kraftvoll oder
rabiat, mal behutsam bewegt und gedreht?", erklärt die
Ergotherapeutin, warum sie sich in immer gleicher Form ankündigt und
dadurch Vertrauen aufbaut. Stellt sie fest, dass derjenige während
ihrer Behandlung beispielsweise die Augen sehr intensiv schließt und
wieder öffnet, leitet sie ihn an, dass ein längeres Schließen "ja"
bedeutet. "Dann beginne ich mit Fragen, die seine aktuelle
Lebenswirklichkeit betreffen.", schildert Göbel ihr weiteres
ergotherapeutisches Vorgehen. Dabei geht es etwa um Radio oder Licht
an oder aus, Fenster auf, Fenster zu. Für gesunde Menschen scheint
das banal, es ist für sie nicht vorstellbar, wie anstrengend es für
einen Menschen im Wachkoma ist, sich zu konzentrieren, genügend
Wachheit aufzubringen und in Kommunikation zu kommen. Und dabei
inhaltlich dem zu folgen, was der Andere sagt und wissen will -
selbst wenn es vermeintlich einfache Fragen sind.
Kennzeichnend für Ergotherapeuten: Familienmitglieder einbeziehen
Es ist eine typisch ergotherapeutische Herangehensweise, das soziale
Umfeld einzubeziehen. Haben Ergotherapeuten einen Zugang zu dem von
ihnen betreuten Menschen im Wachkoma gefunden, instruieren sie die
Angehörigen, so dass sie, sofern sie es wollen und können, häufiger
und intensiver kommunizieren. Was jedoch nicht bedeutet, aus der
Zeitung vorzulesen oder Erlebtes zu erzählen. Das hat nichts mit der
aktuellen Lage und Lebenswirklichkeit des Betroffenen zu tun, würde
ihn überfordern. Um Menschen im Wachkoma anzuspornen, erarbeiten
Ergotherapeuten mit deren Angehörigen, was das Leben dieses Menschen
vor dem Wachkoma geprägt hat. Ein solches Vorgehen beeinflusst den
Entwicklungsprozess maßgeblich. Dazu nochmals ein Blick auf die
Zahlen. 30 % der Akutfälle schaffen es, in den ersten Monaten vom
Wachkoma ins aktive Leben zurückzukehren; 60% gelingt es, das
Wachkoma mit erheblichen, bleibenden Beeinträchtigungen
unterschiedlicher Art zu verlassen. "Studien belegen, dass Menschen
selbst mit schwersten Erkrankungen den Weg aus dem Wachkoma finden,
wenn das soziale Umfeld wie Familienmitglieder oder der Partner daran
mitarbeiten und eine gemeinsame Lebensperspektive bieten. Auch durch
ihre Haltung.", so die Ergotherapeutin, die in diesem Zusammenhang
von einem Mann im Wachkoma berichtet, dem es trotz schlechter
medizinischer Prognose gelang, diesen Zustand zu verlassen und der
nach entsprechenden Reha-Maßnahmen wieder zu seiner Frau und den
Kindern zurückkam. "Die Frau hat unglaublich um ihn gekämpft, wollte
ihn unbedingt wieder zuhause haben, nicht zulassen, dass er sich aus
seiner Verantwortung als Familienvater ''wegschleicht''.", verdeutlicht
die Ergotherapeutin die Haltung der Frau, die dadurch ihren Mann
motiviert hat, aus dem Wachkoma zu kommen. So unterschiedlich, sagt
die Ergotherapeutin, lässt sich medizinisches und soziales Potenzial
bewerten.
So befähigen Ergotherapeuten Familienmitglieder
Der Weg aus dem Wachkoma ist meist ein langer, durchaus von
Rückschlägen gezeichneter Prozess dessen Ausgang ungewiss ist. Die
Entwicklung ist im Einzelfall nicht vorhersehbar. Familienmitglieder
und Partner benötigen selbst auch immer wieder Unterstützung, um
einen adäquaten Umgang mit den im Wachkoma Liegenden zu erlernen,
sowohl auf kommunikativer und emotionaler Ebene als auch in ihren
Handlungen. Die Ergotherapeutin Anne-Mareike Göbel zeigt das am Fall
einer Dame, die nach einem schweren Schlaganfall im Wachkoma war. Im
Gespräch mit dem Ehemann stellte sich heraus, dass das Paar früher
auf Reisen am liebsten sofort die Umgebung erkundete. Mit diesem
Wissen hat die Ergotherapeutin die beiden in einer Aufgabe und
verschiedenen Handlungen zusammengeführt: Die Dame, die sich anfangs
- so schien es - schlafend stellte, wenn jemand anders als ihr
Ehemann das Zimmer im Pflegeheim betrat, kooperierte, nachdem klar
war: das Ziel ist, nachhause zu kommen. Schritt für Schritt ließ sie
sich mobilisieren, ließ zu, dass die Pfleger, die Ergotherapeutin und
der Ehemann sie aus dem Liegen ins Sitzen, danach in den Rollstuhl
und als nächstes aus dem Krankenzimmer herausbrachten. Gleichzeitig
hatte der Ehemann wieder eine für ihn bedeutungsvolle Aufgabe: Von
der Ergotherapeutin gecoacht und begleitet, lernte er den Umgang mit
dem Pflegerollstuhl und was zu tun ist, wenn er mit seiner Frau auf
Erkundungstour geht. "Dieser und andere Fälle haben sich so gut
entwickelt, weil es gelungen ist, diese Menschen zu erreichen und
das, was ihnen wichtig war, auf Handlungen herunterzubrechen, die man
mit ihnen im Wachkoma tun kann. Und sie so wieder Lust auf das Leben
bekamen.", fasst die Ergotherapeutin ihre Rolle im interdisziplinären
Team bei der Behandlung von Menschen im Wachkoma zusammen.
Informationsmaterial gibt es bei den Ergotherapeuten des DVE
(Deutscher Verband der Ergotherapeuten e.V.); Ergotherapeuten in
Wohnortnähe auf der Homepage des Verbandes im Navigationspunkt
Service und Ergotherapeutische Praxen, Suche.
Pressekontakt:
Angelika Reinecke, Referentin für Öffentlichkeitsarbeit des DVE e.V.
Telefon: 033203 - 80026, E-Mail: a.reinecke@dve.info
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