Laut Deutschem Gesundheitsamt weisen 80 Prozent der Kinder in
Deutschland Haltungsschäden auf. Etwa 125.000 Heranwachsende ab dem
zehnten Lebensjahr sind sogar von einer krankhaften
Wirbelsäulenverkrümmung, der so genannten Skoliose, betroffen. Eine
notwendige Therapie dieser Erkrankung ist anstrengend und erfordert
einen hohen personellen Aufwand. Dr.-Ing. Grzegorz Sliwinski von der
Technischen Universität (TU) Dresden und Dipl.-Ing. (FH) Michael
Werner vom Fraunhofer-Institut für Werkzeugmaschinen und
Umformtechnik (IWU) in Chemnitz haben jetzt dafür gesorgt, dass die
jungen Patienten es in Zukunft leichter haben werden: Im Rahmen eines
Projektes der Industriellen Gemeinschaftsforschung (IGF) konnten die
beiden Wissenschaftler ein kindgerechtes Therapiegerät und eine
Simulationsplattform für die Skoliosebehandlung entwickeln. Damit
soll nicht nur die Therapie vereinfacht, sondern auch das
Gesundheitswesen entlastet werden. Koordiniert wurde das Projekt vom
AiF-Mitglied Gesellschaft für Chemische Technik und Biotechnologie
e.V. (DECHEMA). Für ihre Leistungen wurden die Forscher gestern in
Berlin mit dem Otto von Guericke-Preis der AiF ausgezeichnet. Der
Preis wird einmal im Jahr für herausragende Leistungen auf dem Gebiet
der IGF vergeben und ist mit 10.000 Euro dotiert. Die
vorwettbewerbliche IGF wird im Innovationsnetzwerk der AiF und ihrer
100 Forschungsvereinigungen organisiert und vom Bundesministerium für
Wirtschaft und Energie (BMWi) mit öffentlichen Mitteln gefördert.
Frühestmöglicher Therapiebeginn
Bei einer Skoliose weist die Wirbelsäule eine dreidimensionale
Fehlstellung auf. So sind die einzelnen Wirbelkörper um ihre
Längsachse verdreht und die Wirbelsäule zudem im Ganzen seitlich
verkrümmt. Eine Skoliose kann verschiedene Auslöser haben, von
angeborenen Fehlbildungen der Wirbel über bestimmte
Muskelerkrankungen bis hin zu Unfällen. In etwa 90 Prozent der Fälle
bleibt die Ursache aber unbekannt. Die Erkrankung beginnt meist im
Wachstumsalter und führt je nach Ausprägung der
Wirbelsäulenveränderungen zu mehr oder weniger starken
gesundheitlichen Beeinträchtigungen wie Bewegungseinschränkungen,
Rückenschmerzen oder auch Funktionseinschränkungen der inneren
Organe. Obwohl eine Skoliose im klassischen Sinn nicht heilbar ist,
sollte eine Therapie möglichst früh beginnen, um schwerere
Verlaufsformen zu verhindern.
Kindgerechtes Gerät mit multisensorischem Feedbacksystem
"Eine skoliosespezifische Physiotherapie, wie sie in Deutschland
angewandt wird, ist insbesondere für die jungen Patienten sehr
anspruchsvoll.", erklärt der Dresdner Wissenschaftler Sliwinski.
"Dabei gibt es heute schon teilautomatisierte Systeme, die die
Übungen einfacher machen und den Therapeuten körperlich entlasten.
Bislang sind diese Geräte aber noch nicht ausgereift.", so der
Ingenieur. Sein Kollege Werner vom Dresdner IWU-Standort ergänzt:
"Wir haben das Potenzial dieser derzeit in Polen und Spanien
verwendeten Geräte erkannt und uns an die Verbesserung des
bestehenden Systems gemacht. Dabei haben wir die Erfahrungen der
Therapeuten und Patienten berücksichtigt und verschiedene technische
Lösungen entwickelt." Die gerätegestützte Skoliosetherapie mit FED
(Fixation, Elongation und Derotation), auf der das moderne
Gerätekonzept der Preisträger aufbaut, basiert auf der Mobilisierung
der Wirbel, der Stimulation des Knochenwachstums, der
Muskelkräftigung und der Verbesserung der sensomotorischen Kontrolle.
Besonders wichtig war den heute ausgezeichneten Ingenieuren eine
offene Bauweise des Therapiegeräts, die die kleinen Patienten nicht
einengt. Sein Herzstück ist ein integriertes multisensorisches
Feedbacksystem, das auf die Bewegungen des Patienten reagiert.
Dadurch werden sowohl die kognitiven als auch die sensomotorischen
Fähigkeiten während der Behandlung optimal angesprochen.
"Letztendlich führt die Summe der Verbesserungen dazu, dass die
Patienten bei einem geringeren Trainingsaufwand und gleichzeitiger
Stärkung der Langzeitmotivation schneller lernen, ihre Körperhaltung
zu korrigieren und diese auch im Alltag anzunehmen.", fasst Sliwinski
zusammen.
Bessere Versorgung von Skoliosepatienten birgt großes
Marktpotential
Christian Diers, Geschäftsführer der Diers International GmbH in
Schlangenbad, hat als Hersteller von Medizinprodukten das
ausgezeichnete IGF-Projekt von Anfang an eng begleitet. "Die
Versorgung der Patienten, vor allem im Zusammenspiel von Therapie und
Diagnostik, hat sich nach unseren Beobachtungen deutlich verbessert.
Wir sind vollends überzeugt von dem ausgezeichneten System und sehen
dafür ein großes Marktpotential.", betont Diers. Professor Kurt
Wagemann, Geschäftsführer des AiF-Mitglieds DECHEMA, sieht in der
Medizintechnik einen wichtigen Pfeiler der IGF: "Die diesjährigen
Träger des Otto von Guericke-Preises haben eine wissenschaftbasierte
Therapieform entwickelt, bei der die behandelten Kinder spielend
lernen. Das hat mich besonders überzeugt. Dass dadurch womöglich auch
Operationen vermieden werden können, ist ein ein weiterer Pluspunkt
des ausgezeichneten IGF-Projektes."
Einen dreiminütigen Film zum Projekt finden Sie auf der Website
der AiF unter https://www.aif.de/video-uebersicht.html.
Ansprechpartner zum Projekt
Dr.-Ing. Grzegorz Sliwinski, TU Dresden, Institut für
Biomedizinische Technik, E-Mail: Grzegorz.Sliwinski@tu-dresden.de,
Telefon: +49 (0)351 463 35342
Prof. Dr. Kurt Wagemann, Gesellschaft für Chemische Technik und
Biotechnologie e.V. (DECHEMA), E-Mail: info@dechema.de, Telefon: +49
(0)69 7564-0
Über die AiF
Die Arbeitsgemeinschaft industrieller Forschungsvereinigungen
"Otto von Guericke" e.V. ist das Forschungsnetzwerk für den deutschen
Mittelstand. Sie fördert Forschung, Transfer und Innovation. Als
Dachverband von 100 gemeinnützigen Forschungsvereinigungen mit mehr
als 50.000 eingebundenen Unternehmen und 1.200 beteiligten
Forschungsstellen leistet sie einen wichtigen Beitrag, die
Volkswirtschaft Deutschlands in ihrer Wettbewerbsfähigkeit nachhaltig
zu stärken. Die AiF als gemeinnütziger Verein organisiert die
Industrielle Gemeinschaftsforschung und betreut über die AiF Projekt
GmbH und die AiF FTK GmbH, ihre einhundertprozentigen
Tochtergesellschaften, weitere Förderprogramme der öffentlichen Hand.
Im Jahr 2017 setzte die AiF rund 535 Millionen Euro an öffentlichen
Fördermitteln ein. Seit ihrer Gründung im Jahr 1954 lenkte sie rund
11,5 Milliarden Euro öffentliche Fördermittel in neue Entwicklungen
und Innovationen und brachte mehr als 230.000 Forschungsprojekte auf
den Weg.
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