Korrektur: Dr. Peter Morfeld ist Epidemiologe und
Mathematiker, der sich an der Universität Köln im Fach Epidemiologe
zum Thema "Mathematische Kausalmodelle in der Medizin" habilitiert
hat. Morfeld ist jedoch nicht Professor an der Universität Bochum. Er
hat keinen Ruf an einen Lehrstuhl. Die Redaktion bittet den Fehler zu
entschuldigen.
Die Debatte um Dieselfahrverbote und Gesundheitsgefahren durch
Stickstoffdioxid (NO2) nimmt weiter Fahrt auf: Nach der Kritik von
mehr als 100 Lungenärzten und Ingenieuren an Grenzwerten und
Messverfahren melden sich im ARD-Wirtschaftsmagazin "Plusminus"
(Sendung: Mittwoch, 22. Februar, 21.45 Uhr, Das Erste) nun auch
Mathematiker zu Wort. Sie werfen dem Münchener Helmholtz-Institut
vor, in seiner umstrittenen Studie für das Umweltbundesamt ohne
wissenschaftliche Grundlage übertriebene Ängste vor mehr als 6000
vorzeitigen Todesfällen durch Stickstoffdioxid zu schüren. "In diesem
Report wird eine Formel verwendet, die falsch ist", sagt der
habilitierte Epidemiologe und Mathematiker Dr. Peter Morfeld. "Wir
können diesen Daten in dem Bericht des Umweltbundesamtes nicht
trauen. Eine solche Aussage ist Unsinn."
In der Studie vom März 2018 hatte das Helmholtz-Institut mit
statistischen Methoden Zusammenhänge von Stickstoffdioxid-Belastungen
und Krankheitsverläufen errechnet. Dabei kamen die Forscher zu dem
Schluss, dass im Jahr 2014 rund 6000 Menschen in Deutschland
vorzeitig durch Stickstoffdioxid verstorben seien. Die Studie wurde
auch in der Debatte um Fahrverbote für Diesel-PKW wiederholt als
Argument verwendet.
Im Interview mit dem ARD-Wirtschaftsmagazin "Plusminus" wirft
Morfeld dem Helmholtz-Institut vor, eine in der Mathematik
gebräuchliche Formel, die sogenannte AF-Formel (Attributale
Fraktion), falsch angewendet zu haben. Für eine Errechnung
vorzeitiger Todesfälle fehle die notwendige Datengrundlage. Um
vorzeitige Todesfälle durch Stickstoffdioxid bestimmen zu können,
müsse jeder Person, die beurteilt werden soll, ein statistischer
Zwilling zugeordnet werden, mit genau derselben Lebensweise wie
regelmäßigem Sport, oder etwa dem genau gleichen Alkoholkonsum. Es
dürfe nur einen Unterschied geben: die Belastung durch NO2. "Wenn wir
solche Daten nicht zur Verfügung haben, können wir den Begriff der
vorzeitigen Todesfälle nicht sinnvoll verwenden", sagt Morfeld. "Und
solche Daten gibt es in der Epidemiologie nicht." Wenn man nur auf
die Größe schaue, die mit der Formel gemessen werden könne, nämlich
generell verlorene Lebenszeit, ergebe sich ein ganz anderes Bild der
Schadstoffbelastung als öffentlich dargestellt. Der Effekt der
NO2-Exposition sei in Wahrheit klein, im Jahr 2014 statistisch für
die Gesamtbevölkerung betrachtet nur acht Stunden pro Person. "Diese
große, plakative Wirkung mit dem vielen Todesfällen, die ergibt sich
nur, wenn ich die Formel falsch anwende."
Das Umweltbundesamt geht nach eigener Aussage offen mit Kritik um
und will die Anwendung der Formel nun überprüfen. Die Frage sei dabei
nicht, ob die Formel falsch oder richtig sei. Bezweifelt werde
lediglich, ob sie auch für die Ableitung vorzeitiger Todesfälle
verwendbar ist, wie von der WHO empfohlen. Hierfür stünde das
Umweltbundesamt mit dem US-amerikanischen Institute for Health
Metrics and Evaluation aus Seattle in Kontakt, das auf dem Gebiet der
Krankheitslaststudien weltweit führend sei und die kritisierte Formel
ebenfalls verwende. Eine endgültige Position werde das UBA erst im
Anschluss einnehmen.
Morfeld fordert unterdessen eine Versachlichung der
Diesel-Debatte. Man müsse klar sagen, dass vorzeitige Todesfälle
nicht bestimmt werden könnten. Andernfalls könnte das Vertrauen der
Bürger in Politik und Wissenschaft erschüttert werden - vor allem
angesichts anstehender Dieselfahrverbote und drohender finanzieller
Verluste für die Betroffenen. Das Umweltbundesamt fordert der
Epidemiologe deshalb auf, seinen Bericht zu den 6000 vorzeitigen
Todesfällen zurückzuziehen: "Sicher ist das ein schwieriger Schritt
für das Umweltbundesamt, aber ich halte ihn für überfällig."
Die Lungenärzte um den früheren Chef der Deutschen Gesellschaft
für Pneumologie Prof. Dieter Köhler haben nach einem Bericht der
tageszeitung (taz) inzwischen ihre Stellungnahme zu
Gesundheitsgefahren durch Luftschadstoffe korrigiert. Dieter Köhler
hat Fehler bei der Berechnung von Feinstaubbelastungen von Rauchern
bzw. falsche Ausgangswerte über den tatsächlichen Schadstoffgehalt
von Zigaretten eingeräumt. In einer Pressemitteilung verteidigte
Köhler aber die These der Lungenärzte, wonach das Beispiel der
Raucher mit ihren hohen Schadstoffbelastungen die Annahmen des
Umweltbundesamts zu Gesundheitsgefahren von Luftschadstoffen in
niedrigen Dosen widerlege. Auch der Mathematiker Peter Morfeld hat
die Berechnungen von Prof. Köhler überprüft. Dem NDR sagte Morfeld
dazu: "Es ist richtig, dass ein Rechenfehler in eigenen Aussagen, die
Herr Köhler gemacht hat, vorliegt. Aber dieser Rechenfehler hat keine
große Relevanz für das eigentliche Argument, das er führt. Das ist
mehr ein Nebensatz gewesen, in dem dies auftritt. Die eigentliche
Logik der gesamten Argumentation wird dadurch nicht betroffen." Die
Zahl der Lungenärzte, die die kritische Stellungnahme zu
Luftschadstoffen unterzeichnet haben, ist inzwischen auf rund 130
angestiegen.
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