Der Deutsche Ethikrat hat am 21. Februar 2019 im
Rahmen einer öffentlichen Anhörung in Berlin gemeinsam mit
Sachverständigen aus den Bereichen Virologie, Epidemiologie und
Politikwissenschaft darüber diskutiert, welche regulatorischen
Maßnahmen für die Verbesserung von Impfraten ethisch und rechtlich
akzeptabel beziehungsweise sinnvoll sind. Die Ergebnisse dieser
Anhörung werden in die Stellungnahme zum Thema "Impfen als Pflicht?"
einfließen, die der Ethikrat derzeit erarbeitet.
Impfungen gehören zu den erfolgreichsten Vorsorgemaßnahmen der
Medizin. Vor allem gegen viele von Viren verursachte, auch heute noch
nur symptomatisch behandelbare Infektionskrankheiten sind Impfungen
die wichtigste Präventionsmöglichkeit. Das Beispiel der Masern zeigt
jedoch, dass es trotz der Verfügbarkeit einer gut verträglichen
Schutzimpfung und eindeutiger Impfempfehlungen immer wieder zu
regionalen Ausbrüchen der Krankheit kommen kann. Der Deutsche
Ethikrat nahm dies zum Anlass, nationale und internationale
Impfstrategien in den Blick zu nehmen.
Peter Dabrock, der Vorsitzende des Deutschen Ethikrates, betonte
in seiner Begrüßung, dass es nicht darum gehe, den generellen Sinn
oder die Effektivität des Impfens anzuzweifeln. Vielmehr stelle sich
die Frage, ob es eine Impfpflicht geben sollte. Diese, so Dabrock,
sei besonders relevant, "weil sie im freiheitlich-demokratischen
Rechtsstaat hohe Rechtsgüter tangiert: das Persönlichkeitsrecht, das
Recht auf die Integrität von Leib und Leben, aber auch die Erwartung
an den Staat, Leib und Leben gegen unnötige und effektiv
beherrschbare Gefahren zu schützen."
Ole Wichmann, Leiter des Fachgebiets Impfprävention am Robert Koch
Institut, wies zunächst auf die Gruppen mit besonderem
Handlungsbedarf hin. Dazu gehören neben Jugendlichen
Bevölkerungsgruppen mit potenzieller Unterversorgung, wie zum
Beispiel im Ausland geborene Menschen. Oft werde zu spät oder
unvollständig geimpft. Die Impfakzeptanz, so Wichmann, hänge
besonders von der Beratung durch die behandelnden Ärztinnen und Ärzte
ab. Um die Impfraten zu erhöhen, schlug Wichmann vor, dass
Krankenkassen ihre Mitglieder regelmäßig zum Impfen einladen und
nicht nur Kinder- und Hausärzte, sondern auch Fachärzte anderer
Disziplinen Impfungen durchführen sollten. Auch das Impfen in Schulen
oder im Betrieb könne zur Steigerung der Impfquoten beitragen.
Überlegenswert sei zudem, für bestimmte Krankheiten auch in
Deutschland eine Impfpflicht einzuführen, wie sie in anderen
europäischen Ländern bereits etabliert ist.
Claude Muller von der Infectious Diseases Research Unit des
Luxembourg Institute of Health berichtete über internationale
Strategien der Impfprävention. Muller stellte die in verschiedenen
Ländern Europas verbreiteten Vorbehalte gegen Impfungen vor. Die
aktuellen Masernausbrüche machten deutlich, so Muller, dass größere
Anstrengungen in der Öffentlichkeitsarbeit nötig seien. Zudem sollte
man niedrigschwellige Zugänge zu Impfungen ermöglichen. Auch Muller
sieht vor allem Ärzte und das Pflegepersonal in der Verantwortung,
Patienten aufzuklären. Eine Impfpflicht sei vorwiegend für
Beschäftigte im Gesundheitswesen zu erwägen.
Die Politikwissenschaftlerin Katharina Paul von der Universität
Wien erörterte Fragen von Steuerungsinstrumenten (Governance) im
Zusammenhang mit Schutzimpfungen. Nach Paul lässt sich Vertrauen
langfristig nicht durch eine Impfpflicht herstellen. Sie plädiert
stattdessen dafür, die (Wissens-)Infrastruktur auszubauen und zu
stärken sowie die Öffentlichkeit aktiv und gezielt in die Impfpolitik
einzubeziehen. Ein zentrales Instrument der Governance seien
Impfregister, die als Schnittstelle von Medizin, Politik und
Gesellschaft den Menschen Transparenz und Teilhabe ermöglichten.
Wolfram Henn, Leiter der Arbeitsgruppe "Impfen als Pflicht?" des
Ethikrates, fasste die Vorschläge der Referenten zusammen: "Wir
brauchen erstens ein Impfregister als Forschungsressource und als
Möglichkeit zur gezielten Kommunikation, zweitens Zurückhaltung gegen
pauschale Zwangsmaßnahmen in die Allgemeinbevölkerung hinein und
drittens eine Fokussierung der Maßnahmen auf die
Verantwortungsträger, insbesondere die Ärzteschaft". Alle drei
Referenten waren sich einig, dass eine Impfpflicht erst in Erwägung
gezogen werden dürfe, wenn alle anderen Strategien nicht zum Ziel
führten.
Die Präsentationen und die Dokumentation der Veranstaltung finden
sich unter: http://ots.de/ZY6rMw.
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Ulrike Florian
Deutscher Ethikrat
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