Teilnehmer von Krebs-Früherkennungsuntersuchungen
werden zu selten oder nicht umfassend genug über den Nutzen, aber
auch über mögliche Nachteile der Untersuchungen aufgeklärt. Das zeigt
eine repräsentative Befragung von mehr als 2.000 gesetzlich
Versicherten für den "Versorgungs-Report Früherkennung" des
Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO). Nur etwa 55 Prozent der
teilnehmenden Frauen wurden nach eigenen Angaben über die Vorteile
der Früherkennung von Gebärmutterhalskrebs informiert. Noch geringer
war mit 25 Prozent der Anteil der Frauen, die Informationen über
mögliche Nachteile der Untersuchung wie falsch positive Befunde
erhielten. Ein ähnliches Bild zeigte sich bei Darmkrebs-Vorsorge: Die
Information über die Nachteile der Darmspiegelung (36 Prozent)
erfolgt wesentlich seltener als die Aufklärung über den Nutzen der
Untersuchung (75 Prozent). Nur bei der Brustkrebs-Früherkennung war
das Verhältnis ausgewogen: Jeweils etwa die Hälfte der teilnehmenden
Frauen berichtete, dass sie über Nutzen beziehungsweise Nachteile
aufgeklärt worden seien.
Schmacke: Ärzte dürfen Bedenken der Patienten nicht wegwischen
"Die Befragungsergebnisse zeigen, dass die Voraussetzungen für
eine informierte Entscheidung der Versicherten oft fehlen", sagt
Professor Norbert Schmacke, Mitherausgeber des Reports. Dabei habe
der Nationale Krebsplan schon 2010 das Ziel formuliert, die
Versicherten zu einer Entscheidung unter Berücksichtigung aller Vor-
und Nachteile zu befähigen. "Ärzte dürfen Fragen oder Bedenken ihrer
Patienten, zum Beispiel zu möglichen Fehlalarmen durch falsche
Befunde, nicht einfach wegwischen."
Die Befragung zeigt, dass sich die Versicherten vor allem per
Internet über das Thema Früherkennung informieren. Dies geben 51
Prozent der Frauen und 47 Prozent der Männer an. Eine fast ebenso
große Rolle spielt der Hausarzt: 40 Prozent der befragten Frauen und
50 Prozent der Männer nennen ihn als Informationsquelle. "Bei der
Förderung der informierten Entscheidung sind die Ärztinnen und Ärzte
besonders gefragt", sagt Martin Litsch, Vorstandsvorsitzender des
AOK-Bundesverbandes. "Sie sollten sich noch stärker als bisher mit
dem Nutzen, aber auch den möglichen Risiken und Nachteilen der
Früherkennung auseinandersetzen und diese ihren Patienten
vermitteln." Auch die AOK wolle ihren Beitrag zur Verbreitung von
entsprechenden Aufklärungsmaterialien leisten, die zum Beispiel vom
Gemeinsamen Bundesausschuss bereitgestellt werden.
Jeder fünfte Versicherte ab 60 nicht vom Darmkrebs-Screening
erreicht
Neben Defiziten bei der Aufklärung macht der "Versorgungs-Report
Früherkennung" auch transparent, wie viele AOK-Versicherte die
Früherkennungs-Untersuchungen wirklich regelmäßig in Anspruch nehmen.
Üblicherweise werden nur jahresbezogene Teilnehmer-Raten ausgewertet,
die bei Früherkennungs-Untersuchungen mit größeren Zeitintervallen
wenig aussagekräftig sind. Die neuen Langzeit-Auswertungen auf Basis
der AOK-Abrechnungsdaten zeigen insgesamt recht hohe Teilnahmeraten.
So nahmen 78 Prozent der Versicherten über 60 zwischen 2007 und 2016
entweder den Stuhltest, die Darmspiegelung (Koloskopie) oder die
Beratung zur Darmkrebs-Früherkennung in Anspruch. "Das heißt im
Umkehrschluss aber auch, dass jeder Fünfte ältere
Anspruchsberechtigte im Zeitraum von zehn Jahren überhaupt nicht vom
Darmkrebs-Screening erreicht wurde", sagt Christian Günster, Leiter
des Bereichs Qualitäts- und Versorgungsforschung beim WIdO. An der
Früherkennung von Gebärmutterhalskrebs nahmen im gleichen Zeitraum 85
Prozent der anspruchsberechtigten Frauen zwischen 30 und 49 Jahren
regelmäßig teil. 15 Prozent ließen die Untersuchung dagegen nur
selten (in einem oder zwei der zehn Jahre) oder gar nicht
durchführen.
Grundsätzliche Ablehnung bei Mammografie höher als bei anderen
Untersuchungen
Bei der Brustkrebs-Früherkennung per Mammografie wurden die
Zeiträume von 2007 bis 2009 und 2014 bis 2016 verglichen, um ein
realistisches Bild der Teilnahme im Zeitverlauf zu zeichnen. In
diesem Zeitraum stieg der Anteil der Frauen, die eine Mammografie
erhielten, um fünf Prozentpunkte auf 61 Prozent an. Gleichzeitig
belegt die Auswertung, dass 22 Prozent der anspruchsberechtigten
Frauen von 60 bis 69 Jahren zwischen 2007 und 2016 gar nicht an der
Mammografie teilnahmen. "Die Versichertenbefragung zeigt, dass dies
oft mit grundsätzlicher Ablehnung zu tun hat - öfter als bei den
anderen betrachteten Untersuchungen", erläutert Christian Günster. So
gibt jede fünfte Frau, die nach eigenen Angaben nicht zur Mammografie
gegangen ist, grundsätzliche Ablehnung als Grund an. Im Falle der
Früherkennung von Gebärmutterhalskrebs spielt Ablehnung dagegen nur
bei sechs Prozent der Nicht-Teilnehmerinnen eine Rolle, im Falle der
Darmkrebs-Vorsorge nur bei fünf Prozent der Nicht-Teilnehmer. Bei
diesen beiden Untersuchungen nennen die Befragten sehr viel häufiger
die Beschwerdefreiheit als Begründung für die Nicht-Teilnahme (45
Prozent bei Gebärmutterhalskrebs und 44 Prozent bei Darmkrebs),
während diese Begründung bei der Mammografie deutlich seltener
gegeben wird. "Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die
Informationen rund um das Mammografie-Screening zu einer bewussteren
Auseinandersetzung und Entscheidung der Frauen führen", so Günster.
AOK begrüßt neues Einladungswesen zu Gebärmutterhalskrebs und
Darmkrebs
AOK Vorstand Martin Litsch begrüßt in diesem Zusammenhang die
Einführung eines organisierten Einladungswesens für die
Darmkrebs-Vorsorge ab Juli 2019 und für die Früherkennung von
Gebärmutterhalskrebs ab 2020. "So werden alle Männer und Frauen im
entsprechenden Alter mit dem Thema konfrontiert und erhalten auch
eine schriftliche Information zur Abwägung der Vor- und Nachteile",
betont Litsch. Sowohl den Nutzen als auch mögliche Nachteile der
Früherkennung in der Kommunikation angemessen zur berücksichtigen,
sei "eine echte Herausforderung, und hier müssen auch wir
Krankenkassen besser werden."
Als Vorbild für eine gute Patienteninformation nennt Professor
Norbert Schmacke die Entscheidungshilfe des Instituts für Qualität
und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) zur Mammografie:
"Sie hat das Pro und Contra auf dem Boden vorhandener Studien mit
modernen Kommunikationsmethoden aufgearbeitet", so Schmacke. Er
betont, dass bei Früherkennungs-Untersuchungen kein unmittelbarer
Zeitdruck bestehe: "Ratsuchende sollten sich Zeit lassen und in Ruhe
entscheiden, wenn sie sich unsicher sind, ob ihnen eine Untersuchung
nutzt."
Versorgungs-Report beleuchtet Früherkennung aus verschiedenen
Perspektiven
Der "Versorgungs-Report Früherkennung" steht auf der neu
gestalteten Homepage des Wissenschaftlichen Instituts der AOK unter
www.wido.de zum freien Download zur Verfügung. Neben den Ergebnissen
der Versichertenbefragung und den Auswertungen zur Inanspruchnahme
der Früherkennungs-Untersuchungen umfasst der Report weitere Beiträge
zu Prinzipien und Methoden sowie zur Evidenzlage verschiedener
Früherkennungsuntersuchungen. Weitere Themen sind die Anforderungen
an evidenzbasierte Entscheidungshilfen für Patienten sowie die
Diskussion um den Nutzen und die Risiken des Mammografie-Screenings.
Ein Daten- und Analyseteil beleuchtet die Diagnosehäufigkeit von
Erkrankungen und die Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen in den
vier ausgabenwirksamsten Sektoren des deutschen Gesundheitswesens.
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