Der Aufsichtsrat des AOK-Bundesverbandes hat heute
eine Resolution zum Referentenentwurf des "Gesetzes für eine faire
Kassenwahl in der gesetzlichen Krankenversicherung" (GKV-FKG)
verabschiedet. Sie hat folgenden Wortlaut:
"Spahn-Pläne falsch und gefährlich
Die soziale Selbstverwaltung ist ein unverzichtbarer Teil der
Mitbestimmung von Mitgliedern der Krankenkassen und Beitragszahlern
im deutschen Gesundheitswesen. Durch die direkte Beteiligung der
Betroffenen führt sie zu sachgerechten Kompromissen und
Entscheidungen. Diese berücksichtigen einerseits die Interessen der
Versicherten, Patienten und Leistungserbringer, stellen andererseits
aber auch die notwendige Wirtschaftlichkeit und Finanzierbarkeit von
medizinischer Versorgung und Pflege im Interesse der Beitragszahler
zur gesetzlichen Krankenversicherung sicher. Die Arbeit von
Vertreterinnen und Vertretern der Versicherten und Arbeitgeber im
Verwaltungsrat des GKV-Spitzenverbandes, aber auch in den
Krankenkassen vor Ort, trägt entscheidend dazu bei, unser
Gesundheitswesen sinnvoll zu gestalten und weiterzuentwickeln -
unabhängig von kurzfristigen politischen Erwägungen. Die
ehrenamtlichen Mitglieder der Verwaltungsräte sind dazu gesetzlich
umfassend legitimiert und einem gesetzlich definierten, öffentlichen
Auftrag verpflichtet.
Soziale Selbstverwaltung und Sozialpartnerschaft stärken
Dieses bewährte Erfolgsmodell wird nun durch die vorgesehenen
Änderungen im Referentenentwurf des "Gesetzes für eine faire
Kassenwahl in der gesetzlichen Krankenversicherung" (GKV-FKG) ins
Wanken gebracht. Die Repräsentanz der Sozialpartner im Verwaltungsrat
des GKV-Spitzenverbandes soll demontiert und damit die soziale
Selbstverwaltung aus der Verantwortung für die Gestaltung unseres
Gesundheitswesens gedrängt werden. Die geplante Entfernung der
Versicherten- und Arbeitgebervertreter aus dem zentralen Gremium zur
Beratung und Entscheidung über Grundsatzfragen der gesetzlichen
Kranken- und Pflegeversicherung ist ein direkter Angriff auf die
Selbstverwaltung und damit auf eine tragende Säule der
Sozialpartnerschaft. Die Pläne bedeuten nicht weniger als eine
Abschaffung des Prinzips der Selbstverwaltung in der gesetzlichen
Kranken- und Pflegeversicherung auf Bundesebene. Die Ablösung der
sozialen Selbstverwaltung hätte auch weitreichende Konsequenzen für
die Legitimation der Gemeinsamen Selbstverwaltung, zum Beispiel im
Gemeinsamen Bundesausschuss oder in der Gesellschaft für
Telematikanwendungen der Gesundheitskarte (gematik).
Diesen gravierenden Eingriff als "Professionalisierung" zu
bezeichnen, ist eine Verdrehung der Tatsachen. Die ehrenamtlichen
Selbstverwalter im Verwaltungsrat des GKV-Spitzenverbandes handeln
professionell, da sie stets die Ausgewogenheit des Gesamtsystems im
Auge haben und den notwendigen Interessenausgleich zwischen
Versicherten- und Arbeitgeberseite organisieren. Die Vertreter der
Arbeitgeber und der Versicherten sind laut Gesetzestext die Vertreter
der Krankenkassen sogar gegenüber den Vorständen. Es ist nicht
erkennbar, welchen Vorteil es haben sollte, dass stattdessen künftig
die hauptamtlichen Vorstände der Krankenkassen über die
Grundsatzfragen der Gesundheits- und Pflegeversorgung entscheiden
sollten. Die ordnungspolitische, systemtragende und
qualitätsorientierte Sicht der sozialen Selbstverwaltung würde im
neuen System abgelöst durch Entscheidungen von Vorständen der
Einzelkassen, die vor allem und nachvollziehbarweise den
betriebswirtschaftlichen Interessen ihrer eigenen Körperschaft
verpflichtet sind. Da die einzelnen Krankenkassen im - politisch
gewollten - Wettbewerb miteinander stehen, wären kaum überwindbare
Konflikte und Blockaden die Folge.
Zusammen mit den geplanten Eingriffen des
Bundesgesundheitsministeriums in die Bewertung neuer Untersuchungs-
und Behandlungsmethoden durch den Gemeinsamen Bundesausschuss ergibt
sich ein ordnungspolitischer Irrweg, den der Aufsichtsrat des
AOK-Bundesverbandes entschieden ablehnt: Das Ziel ist offensichtlich
ein ministeriell gelenktes Gesundheitswesen. Die ministerielle
Steuerung soll gestärkt, die bisherige Rolle der sozialen
Selbstverwaltung und der Sozialpartner aber entscheidend geschwächt
werden.
Das im Koalitionsvertrag vereinbarte Ziel einer Stärkung der
sozialen Selbstverwaltung wird durch die Pläne des
Bundesgesundheitsministeriums ad absurdum geführt. Der Aufsichtsrat
des AOK-Bundesverbandes fordert die politischen Entscheidungsträger
auf, den Weg in Richtung eines staatlich gelenkten Gesundheitswesens,
der im GKV-FKG vorgezeichnet ist, nicht weiter zu verfolgen. Er wird
mit aller Kraft dafür eintreten, diesen massiven Systembruch zu
verhindern.
Regionale Versorgung erhalten und stärken
Der Aufsichtsrat des AOK-Bundesverbandes, gebildet aus den
Vertreterinnen und Vertretern der Sozialpartner, spricht sich zudem
vehement gegen das Vorhaben aus, die regionalen gesetzlichen
Krankenkassen zu einer bundesweiten Öffnung zu zwingen. Die im
Referentenentwurf vorgesehenen Regelungen fokussieren einseitig auf
einen Preiswettbewerb in der GKV. Stattdessen sollte die Politik die
Rahmenbedingungen so gestalten, dass die Krankenkassen einen
Wettbewerb um die beste Versorgung ihrer Versicherten führen können.
Sie sollte den gesetzlichen Krankenkassen mehr Freiraum für regionale
Versorgungsverträge mit Ärzten, Kliniken und anderen
Leistungserbringern geben.
Die elf AOKs beweisen durch zahlreiche regionale
Versorgungsverträge und Projekte, dass eine passgenaue
gesundheitliche Versorgung vor allem in regionaler Verantwortung
gelingt. Sie engagieren sich insbesondere für eine qualitativ
hochwertige und flächendeckende Versorgung in ländlichen Regionen.
Die ehrenamtlichen Vertreter der sozialen Selbstverwaltung in den
einzelnen AOKs unterstützen die Entwicklung dieser regionalen
Versorgungslösungen, die auf die Bedürfnisse der Versicherten vor Ort
zugeschnitten sind. Diese bewährten Mechanismen der regionalen
Selbstverwaltung werden durch die geplante Zerschlagung der
Strukturen auf Bundesebene gefährdet.
Das einseitige Wettbewerbsverständnis des Referentenentwurfes zum
GKV-FKG zeigt sich auch an anderer Stelle: Statt der Sozialgerichte,
die sich mit den Themen der gesetzlichen Kranken- und
Pflegeversicherung auskennen, sollen aufgrund erweiterter
wettbewerbsrechtlicher Klagemöglichkeiten der Krankenkassen künftig
auch Zivilgerichte über komplexe sozialrechtliche Fragen wie die
Durchführung des Risikostrukturausgleichs oder die Ausgestaltung von
Selektivverträgen entscheiden. Diese Rechtswegänderung ist ein
Schritt zur Überführung der Krankenkassen in die Privatwirtschaft.
Diese Änderung lehnt der Aufsichtsrat des AOK-Bundesverbandes
entschieden ab.
Dem Rat der Experten zum Morbi-RSA folgen
Der ehrenamtlich besetzte Aufsichtsrat des AOK-Bundesverbandes
begrüßt das Ziel, den morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich
(Morbi-RSA) in Zukunft noch zielgenauer zu gestalten. Die geplanten
Metropolzuschläge, die Gelder aus ländlichen Regionen in städtische
Gebiete umleiten werden, passen jedoch nicht zu diesem Ziel.
Der Aufsichtsrat des AOK-Bundesverbandes spricht sich dafür aus,
dass sich der Gesetzgeber bei der Reform des Morbi-RSA enger an die
Empfehlungen des Wissenschaftlichen Beirats beim
Bundesversicherungsamt hält. Der Sachverstand der Experten sollte
sich stärker im Gesetz widerspiegeln, um einen fairen und möglichst
zielgenauen Morbi-RSA zu schaffen."
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