Mit ein bisschen Impfpflicht will der
Bundesgesundheitsminister den Masern den Kampf ansagen. Aber ist das
nicht der zweite Schritt vor dem ersten? Ein Kommentar.
http://ots.de/Xf1Mn0
Gegen das Impfen kann man eigentlich gar nicht sein. Eine
medizinische Erfindung, die Krankheiten verhindert, bevor sie
entstehen und deshalb unter anderem viele Millionen gerettete Leben
auf der Haben-Seite verbucht - warum sollte man etwas dagegen haben?
Aber es ist wohl auch ein wenig Zeitgeist: Gegen Maßnahmen im Kampf
gegen den Klimawandel kann man ja eigentlich auch nicht sein. Selbst
wenn der ausfallen würde - was die Fakten leider nicht hergeben -
hätte man sich für mehr Natur und Artenvielfalt, für sauberere Luft
und ein Mehr an Gesundheit eingesetzt. Trotzdem erregt das Thema
hochemotional die Gemüter.
Der erbitterte Kampf gegen Fakten scheint auch ein wenig ein
Luxusproblem zu sein: In einem Land wie Mali lieben Mütter
Impfstoffe, denn sie gelten als Lebensretter. Irgendwas ist da bei
uns aus der Bahn geraten.
Masern-Impfung - das Ziel nur knapp verfehlt
Nun also eine partielle Impfpflicht - ein bisschen Impfpflicht
sozusagen, gegen die Masern. Ihre Befürworter argumentieren zu Recht,
dass es um den Schutz solcher Mitmenschen geht, die durch die
Impfmuffelei anderer gefährdet sind. Nur: Die Impfquote von 95
Prozent, die als Mindestvoraussetzung für die Herdenimmunität gilt,
wird bei der ersten Masern-Impfung übertroffen und bei der zweiten
nur um ein paar Prozentpünktchen verfehlt (s. RKI, Epidemiologisches
Bulletin 18/2019). Das allein lässt vermuten, dass es nicht um
Impfgegnerschaft geht. Vielleicht ist es in Deutschland einfach zu
unpraktisch, sich impfen zu lassen?
Vieles spricht dafür, dass der Weg zur Impfung zu weit, zu
aufwändig, zu zeitintensiv ist. Es gibt kein einheitliches
Erinnerungssystem, es gibt keine Dokumentation, die dem digitalen 21.
Jahrhundert zur Ehre gereichen würde. Es gibt nur ein kleines gelbes
Heftchen, das nie dort ist, wo man es vermutet - eine Tatsache, die
die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) in ihrer
Impfkampagne verarbeitet ("Deutschland sucht den Impfpass"). Es gibt
keine Impfprogramme etwa an Schulen, die z.B. im Bereich der
Gebärmutterhalsprävention in anderen Ländern wirklich etwas bewegt
haben. Ideen, wie die, Apotheker impfen zu lassen, verschwinden
gleich wieder in der Schublade. Denn Ärztefunktionäre wollen das
nicht und fordern sofort reflexartig das Dispensierrecht für
Arzneimittel - als ob das eine mit dem anderen zu tun hätte - worauf
das Interesse der Apotheker am Impfen sofort versiegt. Und ganz
allgemein: Vielleicht entspricht der Weg, den man gehen muss, um
seine Kinder impfen zu lassen, einfach nicht mehr der
Lebenswirklichkeit von Familien, in denen beide Elternteile
berufstätig sind?
Auf die Sorgen der Eltern stülpt der Staat die Impfpflicht
Kurz: In Deutschland wird zu wenig dafür getan, dass die Impfung
zu den Menschen kommt, wenn die Menschen nicht zur Impfung kommen.
Aber sollte man nicht, bevor man seinen Bürgern mit Impfpflicht und
Bußgeldern droht, zunächst sicher sein, alles getan zu haben, damit
diese aus Überzeugung und freiwillig zum Impfen gehen?
Eine europaweite Umfrage zu Impfungen brachte kürzlich zutage,
dass 85 Prozent der EU-Bürger Impfungen als wirksames Mittel zur
Verhütung von Krankheiten sehen. Aber fast jeder Zweite glaubt
fälschlicherweise, dass sie häufig zu schweren Nebenwirkungen führen.
Dieses mangelnde Vertrauen will man nun mit einer Impfpflicht
ausbügeln. Nach dem Motto: "Du machst Dir Sorgen um die Gesundheit
Deiner Kinder? Egal - Du gehst jetzt impfen!" Gibt es tatsächlich
jemanden da draußen, der glaubt, dass dies das Vertrauen in das
Impfen stärkt?
Es muss praktisch werden, sich impfen zu lassen. Da gibt es noch
eine Menge Stellschrauben, an denen gedreht werden kann. Und es muss
weiterhin intensiv Aufklärungsarbeit geleistet werden. Und wenn das
alles nicht hilft, könnte man vielleicht über eine Impfpflicht
nachdenken.
Aber eben erst dann.
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