fit und munter - Kongress FreierÄrzte: Gemeinsam gegen verantwortungslose Gesundheitspolitik

fit und munter

Kongress FreierÄrzte: Gemeinsam gegen verantwortungslose Gesundheitspolitik


Die Gesundheitspolitik von
CDU-Bundesgesundheitsminister Jens Spahn erschwert Ärzten das
freiberufliche Arbeiten und bedroht massiv das Vertrauensverhältnis
zu ihren Patienten. "Das werden wir nicht zulassen", sagte Wieland
Dietrich, der Bundesvorsitzende der Freien Ärzteschaft (FÄ), am
Montag in Essen. Dietrich ruft die Kollegen zum gemeinsamen
Widerstand auf - und zieht ein positives Fazit des Kongresses Freier
Ärzte, der am Wochenende in Berlin stattgefunden hat.

"Wir werfen insbesondere Jens Spahn vor, sich mit immer neuen und
vor allem unnötigen Gesetzen in den ärztlichen Alltag einzumischen.
Die Kollegen an der Basis sind davon zunehmend genervt, manche geben
ihre kassenärztliche Tätigkeit auf. Das ist bei unserem
Jahreskongress in Berlin deutlich geworden", so Dietrich. Beim
Kongress habe es neben viel Kritik an der Gesundheitspolitik auch
Ratschläge von renommierten Fachleuten gegeben, wie die Ärzte in
Zeiten von zunehmender Bürokratie und Planwirtschaft sowie dem Zwang,
ihre Praxen an die Telematik-Infrastruktur (TI) anzuschließen,
agieren sollten. "Das zeigt uns, dass wir mit unseren Bedenken nicht
allein dastehen", sagte Dietrich. Der Politik empfiehlt der FÄ-Chef,
sich sowohl mit den Einwänden von Juristen in Sachen
Freiberuflichkeit als auch mit denen von Datenschutzexperten
hinsichtlich der TI und der Digitalisierung zu beschäftigen und
Kurskorrekturen vorzunehmen. "Anderenfalls werden immer mehr
Vertragsärzte resignieren und aus dem System aussteigen."

Kritik an unsicherer Zwangsvernetzung aller Daten im
Gesundheitswesen

Dr. Silke Lüder, Vizevorsitzende der Freien Ärzteschaft, betonte
bei der Veranstaltung, "dass wir uns weder der Digitalisierung noch
der technischen Entwicklung verweigern." Aber: "Wir Ärzte kritisieren
eine unsichere Zwangsvernetzung aller Daten im deutschen
Gesundheitswesen, welche die Potenz hat, die ärztliche
Schweigepflicht aufzuheben." Umso dramatischer sei, dass die
Digitalpolitik aus dem Berliner Ministerium in großen Schritten genau
in diese Richtung vorwärts rollt. Ein Beleg ist Spahns geplantes
Digitale-Versorgung-Gesetz (DVG). Demnach sollen alle gesetzlichen
Krankenkassen ab 1. Januar 2021 eine elektronische Patientenakte zur
Verfügung stellen müssen. "Allerdings können Patienten in der
Einführungsphase keine selektiven Zugriffsrechte vergeben",
kritisiert Lüder und erklärt, was das bedeutet: "Haben sie sich
einmal für die Akte entschieden, können sie nicht mehr entscheiden,
ob beispielsweise auch der Zahnarzt auf den HIV-Test zugreifen kann."
Spahn werde mit diesem Vorpreschen zum Totengräber seiner eigenen
hochfliegenden Pläne, wenn die Patienten schon in der
Einführungsphase das Vertrauen in die zentrale E-Akte verlieren.

Zudem zeige das neue Digitalgesetz, dass es denjenigen, die im
deutschen Medizinbetrieb inzwischen viel mehr Einfluss haben als die
Ärzte, nicht mehr um eine Lösung der Kommunikation geht, die die
"frontline workers" im Gesundheitswesen sinnvoll unterstützt. "Im
Gegenteil: Der Referentenwurf für das Digitale-Versorgung-Gesetz
liest sich wie eine Veröffentlichung der Bertelsmann-Stiftung, deren
Gründerfirmen vor allem mit der ARVATO AG ein maximales eigenes
wirtschaftliches Interesse am Erfolg ihrer Digitalpolitik haben",
sagte Lüder. Mit dem geplanten Gesetz gibt es ferner einen völligen
Paradigmenwechsel in Bezug auf die elektronische Patientenakte. Sie
wird nicht mehr - wie bisher laut SGBV § 201 geplant - eine
arztgeführte Akte sein, sondern wandert via vielbeworbener Handy-Apps
zur Speicherung bei den Krankenkassen.

"Digitalisierung ist die neue Religion"

Digitalisierung, Big Data und Künstliche Intelligenz (KI) sind
Themen, die auch den Mathematiker und Biometriker Prof. Gerd Antes
beschäftigen. Er monierte beim Kongress, dass es für keinen der
gängigen Begriffe rund um die Digitalisierung eine stichhaltige
Definition gebe, auch nicht für Big Data. Selbst der Bundestag stütze
sich in seinen Ausführungen auf lediglich drei Quellen. Antes hält
das Erzeugen von immer mehr Daten für kontraproduktiv. Denn je größer
der Heuhaufen werde, desto schwieriger gestalte sich die Suche nach
der Nadel in eben jenem Heuhaufen. Er warnte vor Qualitätsverlust in
der medizinischen Forschung und einer Abschaffung der
Wissenschaftlichkeit. Immer häufiger würden Korrelationen mit
Kausalität gleichgesetzt und pseudowissenschaftliche Beiträge
publiziert. Und: Die nahezu "religiöse Verehrung von Daten" führt
laut Antes zu Sprunginnovationen, "allerdings in die falsche
Richtung". "Digitalisierung ist die neue Religion", sagte der frühere
Direktor des Deutschen Cochrane Zentrums. Positiv sei, dass immerhin
auch die Zahl der Kritiker steige. KI hält Antes nicht per se für
schlecht. Er möchte aber dafür sensibilisieren, sich auch mit den
negativen Seiten auseinanderzusetzen. Das mache bisher kaum jemand.
Dabei gebe es dramatische Beispiele fürs "Schiefgehen", etwa den
Absturz zweier Boeing-Flugzeuge, die offenbar auf Softwarefehler
zurückzuführen seien. Die Piloten hatten laut Antes nicht die
Möglichkeit, das Steuer selbst zu übernehmen.

Martin Tschirsich, IT-Sicherheitsanalyst bei der modzero GmbH,
erklärte, dass es grundsätzlich nicht nur um Vertraulichkeit der
Daten, sondern immer auch um Integrität, Authentizität und
Verfügbarkeit der Daten geht. Es dürfe weder unerkannte Änderungen an
Daten geben, noch dürfe unklar sein, woher Daten stammen.
Systemausfälle müssten genauso vermieden werden wie unautorisierte
Zugriffe. Tschirsich machte dabei deutlich, dass derzeit noch keine
realistische und praktikable Verschlüsselungstechnik für langfristig
vertrauliche Medizindaten zur Verfügung stehe. Für die neuen E-Akten
sei jetzt geplant, dass Versicherte, Ärzte, Kliniken und
Krankenkassen alle den gleichen Schlüssel für die E-Akte nutzen.
Dieser würde von den Anbietern der Akten und von einem "Treuhänder"
verwaltet werden und liege demnach durchaus nicht mehr - wie von der
Politik versprochen - nur in der Hand der Versicherten. Der
Sicherheitsanalyst hatte die bundesdeutsche Öffentlichkeit beim
jüngsten Kongress der Chaos Computer Clubs eindrucksvoll auf die
Risiken der glorifizierten elektronischen Patientenakten der
Krankenkassen hingewiesen.

Vertrauensvolle Bindung zwischen Arzt und Patient in Gefahr

Das zweite große Thema beim Kongress Freier Ärzte drehte sich um
Planwirtschaft, Konzernmedizin und ärztliche Freiberuflichkeit.
Gesundheitsminister Spahn bedrohe "ideell und strukturell die für
unseren Beruf und unser ärztliches Tun notwendige Freiheit", sagte
FÄ-Chef Dietrich. Verbandsvize Dr. Axel Brunngraber betonte, dass die
vertrauensvolle Bindung zwischen Ärzten und ihren Patienten mehr und
mehr aufgelöst werde. "Arztverschwiegenheit und Loyalität gegenüber
den Patienten sind jedoch Grundmerkmale des freien Arztberufes",
erläuterte der Internist aus Hannover. Er kritisierte zudem den in
der Gesundheitspolitik häufig verwendeten Begriff
"Patientenversorgung", das sei ein Kampfbegriff. "Wir Ärzte betreuen
und behandeln Patienten, wir versorgen sie nicht."

Berlins Ärztekammerpräsident Dr. Günther Jonitz monierte in seinem
übermittelten Grußwort die Gesetzesflut aus dem
Bundesgesundheitsministerium. Sie zeige, dass von der
Gesundheitspolitik auf absehbare Zeit "keine Zunahme an Klugheit oder
Zuhören zu erwarten ist". Jonitz schlägt vor, sich gemeinsam auf den
Weg zu machen, um die Patientenversorgung insgesamt zu optimieren.
Nur dann "werden wir in der Lage sein, eine gute Medizin unter
vernünftigen Bedingungen zu praktizieren."

Rechtswissenschaftler Professor Helge Sodan rät der Ärzteschaft,
sich in Parteien zu engagieren. "Werden Sie politischer", sagte er.
Sodan monierte, dass sich der Staat in ureigene Gegebenheiten der
Arztpraxen einmische. "Dort hat er nichts zu suchen." Und: "Es ist
klares Ziel der Politik, Medizinische Versorgungszentren zu stärken."
Deren Expansion, immer mehr Bürokratie und Planwirtschaft gefährdeten
die ärztliche Freiberuflichkeit, so Sodan. Die Forderung der
einstigen Gesundheitsministerin Ulla Schmidt aus dem Jahr 2003,
"endlich Schluss (zu) machen mit der Ideologie der
Freiberuflichkeit", habe sich zwar noch nicht erfüllt. Für Sodan
liegt jedoch nahe, "dass das in ungebremstem Tempo so weitergeht."

Unterdessen hält der Soziologe Werner Vogd Jens Spahn für einen
"hochintelligenten Populisten", den man mit seinen eigenen Waffen
schlagen müsse. Der Professor von der Universität Witten/Herdecke
sagte, Spahn agiere im Sinne der Systemtheorie geschickt. Er wisse,
das Gesundheitswesen sei nicht in den Griff zu bekommen. Von daher
sei es egal, welche Maßnahmen von wem ergriffen würden. Spahn komme
laut Vogd zugute, dass die Medien sein Tun begleiten und er
regelmäßig in den Schlagzeilen sei. Und: Wenn er zurückrudere,
geschehe das weitgehend unbemerkt. Der Ärzteschaft riet er, den Blick
zu weiten und sich nicht allein auf finanzielle Unwägbarkeiten zu
konzentrieren.

Der nächste Kongress Freier Ärzte findet voraussichtlich im Juni
2020 in Berlin statt. Bereits am kommenden Donnerstag lädt die Freie
Ärzteschaft zusammen mit Medi Geno Deutschland und dem Freien Verband
Deutscher Zahnärzte (FVDZ) in das Haus der Bundespressekonferenz
(BPK) nach Berlin ein. Die Pressekonferenz "Patientendaten in Gefahr
- Ärzte klagen gegen Spahns Vernetzungstechnologie" findet um 11 Uhr
im Tagungszentrum der BPK, Schiffbauerdamm 40, 10117 Berlin, statt.

Über die Freie Ärzteschaft e.V.

Die Freie Ärzteschaft e. V. (FÄ) ist ein Verband, der den
Arztberuf als freien Beruf vertritt. Er wurde 2004 gegründet und
zählt heute mehr als 2.000 Mitglieder: vorwiegend niedergelassene
Haus- und Fachärzte sowie verschiedene Ärztenetze. Vorsitzender des
Bundesverbandes ist Wieland Dietrich, Dermatologe in Essen. Ziel der
FÄ ist eine unabhängige Medizin, bei der Patient und Arzt im
Mittelpunkt stehen und die ärztliche Schweigepflicht gewahrt bleibt.



Pressekontakt:
presse@freie-aerzteschaft.de

V .i. S. d. P.: Wieland Dietrich, Freie Ärzteschaft e.V.,
Vorsitzender, Gervinusstraße 10, 45144 Essen, Tel.: 0201 68586090,
E-Mail: mail@freie-aerzteschaft.de, www.freie-aerzteschaft.de

Original-Content von: Freie Ärzteschaft e.V., übermittelt durch news aktuell
Login
Einstellungen

Druckbare Version

Artikel Bewertung
Ergebnis: 0
Stimmen: 0

Bitte nehmen Sie sich die Zeit und bewerten diesen Artikel
Excellent
Sehr gut
Gut
Okay
Schlecht

Verwandte Links
Linkempfehlung

Diesen Artikel weiter empfehlen: