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Warum alle Benzodiazepine abhängig machen

Dass alle bisher bekannten Substanzen aus der Wirkstoffgruppe der Benzodiazepine abhängig machen können, zählt schon lange zum medizinischen Grundlagenwissen. Welche Mechanismen aber hinter der Sucht stehen, war bislang unklar. Erst kürzlich gelang es Wissenschaftlern der Universität Genf, die neuronalen Zusammenhänge der Benzodiazepinabhängigkeit zu entschlüsseln.
Benzodiazepine, wie etwa das auf der ganzen Welt bekannte Diazepam, sind im Unterschied zu ihren medizinhistorischen Vorgängern, den Barbituraten, sehr zuverlässige Medikamente. Sie kommen bei zahlreichen Arten psychischer Störungen zur Anwendung. Ängste, Krämpfe und Insomnien sind nur einige davon. Andererseits werden sie des Öfteren als Drogen oder K.-o.-Tropfen missbraucht. Bei langfristiger Einnahme machen sie abhängig. Worauf das Suchtpotenzial beruht, war jahrzehntelang Gegenstand intensiver Forschung. Erst kürzlich gelang es einem Team um Christian Lüscher von der Universität Genf, die für die Entwicklung der Abhängigkeit ausschlaggebenden Mechanismen zu analysieren. Benzodiazepine unterbinden die Inhibition spezieller Rezeptoren des Gehirns, an denen Dopamin als Neurotransmitter fungiert. Der ungebremste Erregungszustand der Nervenzellen leitet einen Teufelskreis ein, der in die Abhängigkeit führt.

Das Team unter der Leitung von Lüscher erbrachte den Nachweis, dass Benzodiazepine die Aktivität von Dopaminnerven in der im Mittelhirn gelegenen Area tegmentalis ventralis verstärken. Diese werden für gewöhnlich durch erfreuliche Ereignisse stimuliert. In der Folge regen sie den Nucleus accumbens an, der die Entstehung von Glücksgefühlen fördert. Die Wirkstoffe aktivieren die Neuronen nicht direkt. Sie docken vielmehr an eine spezielle Art von GABA-Rezeptoren auf der Oberfläche nahe gelegener Schaltneuronen an. Aufgabe dieser Neuronen ist die Hemmung der dopaminergen Nervenzellen, doch die Wirkung des Arzneimittels hindert sie daran. Dies führt zu der Konsequenz, dass das Belohnungszentrum in ungewohnter Stärke stimuliert wird.

Die ungebremste Entfesselung der dopaminergen Neuronen zeitigt auf lange Sicht mannigfaltige Auswirkungen. Ähnlich wie bei der Entstehung einer körperlichen Opioidabhängigkeit bauen die ständig aktiven Nervenzellen immer mehr AMPA-Rezeptoren (eine Untergruppe der Glutamat-Rezeptoren) an ihrer Oberfläche auf. Diese verstärken in der weiteren Folge die Verbindung der dopaminergen mit den glutamatergen Neuronen in der Area tegmentalis ventralis. Je zahlreicher die Verbindungspunkte sind, desto mehr drängt das System darauf, diese auch zu nutzen – ein Verlangen, das nur eine weitere Dosis befriedigen kann.

Der oben beschriebene Kreislauf verläuft nicht bei allen betroffenen Individuen in der gleichen Intensität. Manche Menschen (und Versuchstiere) sind für eine Sucht anfälliger sind als andere. Warum das so ist, muss durch zukünftige Untersuchungen geklärt werden. Offenbar bestehen bei den in geringerem Maße zur Abhängigkeit neigenden Personen stärker ausgeprägte biochemische Schutzmechanismen in nachgeschalteten Hirnregionen, wie etwa dem mesolimbischen System, das an der Entstehung der Emotion „Freude“ beteiligt ist.

Lüscher und seine Kollegen sind optimistisch, dass sie auf Grundlage ihrer Forschungen in Zukunft vielleicht Benzodiazepine entwickeln können, die an anderen Stellen als die bisher bekannten Substanzen an die GABA-Rezeptoren andocken und ihre Aufgabe erfüllen, ohne die Anwender in den Teufelskreis der Sucht zu führen.
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