Welches Unternehmen ist für die
Telematik-Infrastruktur (TI) verantwortlich? Die gematik mbH? Solange
das nicht geklärt ist, gehen Gesundheitsdaten in ein schwarzes Loch -
das kann nicht sein. Zurzeit gibt es keinen datenschutzrechtlich
Verantwortlichen für die Telematik-Infrastruktur der elektronischen
Gesundheitskarte - so, wie es die Datenschutzgrundverordnung fordert.
Mit der elektronischen Gesundheitskarte sollen hunderttausende Arzt-,
Zahnarzt- und Therapeutenpraxen, Krankenhäuser, Apotheken und
Krankenkassen im Gesundheitswesen vernetzt werden. Dazu dient die
Telematik-Infrastruktur. An diesem Netzwerk, die mehrere Plattformen
und Zonen umfasst, sind zahlreiche Unternehmen, Konsortien und
Rechenzentren beteiligt. Unvorstellbare Mengen vertraulicher
Patientendaten soll die TI nach ihrer Fertigstellung übermitteln,
speichern, verarbeiten.
Über datenschutzrechtliche Vorgaben sahen die Konstrukteure des
Netzwerks großzügig hinweg. Die Verarbeitung sensibler Daten in
großem Umfang erforderte bereits nach dem Bundesdatenschutzgesetz
eine "Vorabkontrolle" durch die "verantwortliche Stelle". Diese gab
es jedoch nicht. Seit Inkrafttreten der europäischen
Datenschutzgrundverordnung ist eine noch ausführlichere
Datenschutzfolgenabschätzung (DSFA) vorgeschrieben, die die Risiken
und möglichen Folgen für die persönlichen Rechte und Freiheiten der
Betroffenen bewertet. Die TI wurde jedoch ohne jegliche
datenschutzrechtliche Vorab-Prüfung ausgerollt und bereits als erste
Anwendung der Versichertenstammdatenabgleich in Betrieb genommen.
"Wenn offensichtlich die datenschutzrechtlichen Bedingungen für
die TI nicht erfüllt sind, müsste eine vorübergehende oder endgültige
Beschränkung der Verarbeitung verhängt werden (Art 58 DSGVO)", meint
Dr. Elke Steven von der Digitalen Gesellschaft e.V. "Die
Datenschutzfolgenabschätzung muss von einem unabhängigen,
interdisziplinären Team erstellt werden, das sich um den Schutz der
Grundrechte der Betroffenen kümmert."
Für Ärzte ergäben sich handfeste Probleme, bemerkt Dr. med. Silke
Lüder, Stellvertretende Bundesvorsitzende der Freien Ärzteschaft e.V.
"Wir sind ja gehalten, für unsere Praxen eine
Datenschutzfolgenabschätzung zu machen. Nur: Wie sollen wir
einschätzen, welchen Risiken Patientendaten ausgesetzt sind, wenn wir
sie in die Telematik-Infrastruktur übermitteln? Dafür gibt es ja
gerade keine Datenschutzfolgenabschätzung. Und angesichts der
organisierten Verantwortungslosigkeit seitens der Betreiber können
Ärzte nur zu dem Schluss kommen, ihre Praxen nicht anschließen zu
lassen."
Gesundheitsminister Spahn will nun mit der Brechstange alle
grundsätzlichen Bedenken und Probleme aus dem Weg räumen. Mit dem vom
Kabinett verabschiedeten "Digitale Versorgungs-Gesetz", über das im
Herbst das Parlament entscheiden muss, wird Wirtschaftsförderung auf
Kosten der Versicherten betrieben. Auch daran ist Kritik notwendig.
In Bezug auf die Verantwortlichkeit für die TI fordern die
Datenschutzorganisationen:
- Feststellung der datenschutzrechtlich verantwortlichen Stelle
für die TI zwecks Benennung eines Datenschutzbeauftragten und
Durchführung einer Datenschutzfolgenabschätzung
- Erstellung einer Datenschutzfolgenabschätzung für die TI und
jede ihrer Anwendungen
- Der Bericht dieses Datenschutzbeauftragten sollte veröffentlicht
werden
- Aufhebung von Sanktionen gegen Ärzte, die ihre Praxen aufgrund
von Datenschutzbedenken nicht an die TI angeschlossen haben
- Klare Haftungsregelungen zur Entschädigung Betroffener, deren
Daten aus der TI oder (unter Ausnutzung der TI) aus den
angeschlossenen "Primärsystemen" der Ärzte, Apotheken und
Krankenhäusern entwendet wurden
- Solange die Voraussetzungen für einen rechtskonformen Betrieb
nicht vorliegen, darf die TI nicht betrieben werden
Tätigkeitsbericht 2017 und 2018 zum Datenschutz - 27.
Tätigkeitsbericht - des Bundesbeauftragten durch den
Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit:
http://ots.de/XcpiGp (S. 59)
Unterstützende Organisationen:
Die Aktion "Stoppt die e-Card" www.stoppt-die-e-card.de ist ein
breites Bündnis von mehr als 50 Bürgerrechtsorganisationen,
Datenschützern, Patienten und Ärzteverbänden. Die Bündnispartner
sehen in der elektronischen Gesundheitskarte eine Gefahr für die
ärztliche Schweigepflicht, die informationelle Selbstbestimmung der
Bürger und für eine gute medizinische Versorgung. Das Bündnis ist
seit 2007 aktiv.
Die Digitale Gesellschaft e.V. www.digitalegesellschaft.de ist ein
gemeinnütziger Verein, der sich seit seiner Gründung im Jahr 2010 für
Grundrechte und Verbraucherschutz im digitalen Raum einsetzt. Zum
Erhalt und zur Fortentwicklung einer offenen digitalen Gesellschaft
engagiert sich der Verein gegen den Rückbau von Freiheitsrechten im
Netz und für die Realisierung digitaler Potentiale bei Wissenszugang,
Transparenz, Partizipation und kreativer Entfaltung.
Die Freie Ärzteschaft e. V. (FÄ) www.freie-aerzteschaft.de ist ein
Verband, der den Arztberuf als freien Beruf vertritt. Er wurde 2004
gegründet und zählt mehr als 2.000 Mitglieder: vorwiegend
niedergelassene Haus- und Fachärzte sowie verschiedene Ärztenetze.
Vorsitzender des Bundesverbandes ist Wieland Dietrich, Dermatologe in
Essen. Ziel der FÄ ist eine unabhängige Medizin, bei der Patient und
Arzt im Mittelpunkt stehen und die ärztliche Schweigepflicht gewahrt
bleibt.
LabourNet Germany: www.labournet.de Treffpunkt für Ungehorsame,
mit und ohne Job, basisnah, gesellschaftskritisch
Der Verein Patientenrechte und Datenschutz e.V. ist ein
Zusammenschluss von Versicherten der gesetzlichen Krankenkassen, der
sich für die Wahrung der Patientenrechte im Zeitalter der
Digitalisierung einsetzt. Dazu analysieren wir die Risiken, die sich
aus der elektronischen Gesundheitskarte in Verbindung mit der
geplanten digitalen Vernetzung im Gesundheitswesen (sog.
"Telematikinfrastruktur") sowie anderen Formen der Verarbeitung und
Verwendung sensibler Patientendaten ergeben. Hieraus entwickeln wir
Ansätze zur Minimierung dieser Risiken.
dieDatenschützer Rhein Main www.ddrm.de - eine lokale Gruppe des
Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung und Partner der Aktion: Stoppt
die e-Card!. Die aktuellen Arbeitsschwerpunkte sind u. a. die
unzulässige Videoüberwachung des öffentlichen Raums; die
elektronische Gesundheitskarte (eGK) und die Digitalisierung des
Gesundheitswesens, der Sozialdatenschutz, z. B. bei Job-Centern und
die Überwachung durch Geheimdienste und andere staatliche Stellen.
Pressekontakt:
presse@freie-aerzteschaft.de
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