Auch drei Jahre nach dem rechtskräftigen Urteil des
Oberverwaltungsgerichts Magdeburg werden Muttersauen noch immer
rechtswidrig in viel zu engen Kastenständen gehalten. Recherchen des
ARD-Politikmagazins "Report Mainz" und der Umweltorganisation
Greenpeace zeigen, dass es in der Haltung von Muttersauen nach dem
Urteil kaum Veränderungen gab. In Kastenstände werden die Tiere zum
Zeitpunkt der Besamung gezwängt und verbleiben dann für rund einen
Monat in diesen Systemen. Während dieser Zeit können sich die Sauen
nicht umdrehen und auch nicht in Seitenlage ausgestreckt hinlegen.
Tierschützer hatten in mehreren Schweinezuchtanlagen in
Niedersachsen, Schleswig-Holstein und auch in Mecklenburg-Vorpommern
solche Kastenstandssysteme heimlich gefilmt. Die Aufnahmen liegen
"Report Mainz" exklusiv vor. Sie dokumentieren: In allen gefilmten
Betrieben werden Muttersauen noch immer in viel zu engen
Kastenständen gehalten. Allein im Landkreis Ludwigslust-Parchim bei
Schwerin hatten die Tierschützer in drei Sauenhaltungsbetrieben
Verstöße gegen das Urteil dokumentiert. Auf Nachfrage von "Report
Mainz" beim zuständigen Veterinäramt erhielt die Redaktion die
Antwort: "Bei Vor-Ort-Kontrollen (...) wurden keine Verstöße
festgestellt (...). Den Hinweisen werden wir durch erneute Kontrollen
nachgehen."
Die Umweltorganisation Greenpeace, der das Bildmaterial zugespielt
wurde, sieht hierin einen klaren Rechtsverstoß. Die Agrarexpertin der
Organisation verweist insbesondere auf die
Tierschutznutztierhaltungsverordnung von 1992 nach der die Tiere sich
ungehindert ausstrecken können müssen.
Greenpeace-Agrarexpertin Stephanie Töwe sagt dazu im Interview mit
"Report Mainz": "Wir wissen seit 1992, das sind 27 Jahre, dass
Schweine so eigentlich nicht mehr gehalten werden dürfen. Also der
Kastenstand müsste viel größer und vielmehr den Bedürfnissen der
Tiere angepasst sein. Und er widerspricht auch dem Tierschutzgesetz.
Also eigentlich gehört er abgeschafft." Der Mannheimer
Strafrechtsprofessor Jens Bülte, der sich mit Tierschutzrecht
befasst, kritisiert: "Man würde doch erwarten, dass spätestens mit
der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, also innerhalb der
letzten gut zwei Jahre, sich irgendetwas hätte tun müssen. Und das
ist natürlich schon ein Armutszeugnis für eine Exekutive, wenn man
eine Entscheidung, eine Auslegung von Recht und Gesetz, hat und die
Behörden sagen, wir können es nicht umsetzen. Wir wollen es nicht
umsetzen und legen die Hände in den Schoß. Also das lässt einen als
Jurist wirklich verstört zurück."
Im Bundeslandwirtschaftsministerium wurde ein Referentenentwurf
erarbeitet, mit dem die Haltung der Muttersauen in Kastenständen neu
geregelt werden soll. Beobachter und Tierschutzverbände hatten nach
dem "Kastenstandsurteil" auf ein Signal gehofft, dass nunmehr die
Haltung in breiteren oder in anderen tierschutzgerechten Systemen
geregelt werde. Doch nach dem nun vorliegenden Entwurf will das
Bundeslandwirtschaftsministerium einen anderen Weg gehen: Zwar soll
der Aufenthalt der Sauen im Kastenstand verkürzt werden, doch dies
müssen die bestehenden Betriebe erst in maximal 17 Jahren umsetzen.
Der Passus aus der noch gültigen Tierschutznutztierhaltungsverordnung
nach dem die Tiere "ihre Gliedmaßen in Seitenlage austrecken können
müssen" wurde dagegen komplett gestrichen.
Die Umweltorganisation Greenpeace sieht dies als Zeichen dafür,
dass sich die Agrarlobby durchgesetzt hat. Greenpeace-Agrarexpertin
Stephanie Töwe kritisiert: "Frau Klöckner passt also mit ihrem
Referentenentwurf sozusagen die Gesetzgebung der Wirklichkeit an,
anstatt die Wirklichkeit dem jetzt geltenden Gesetz anzupassen und
mehr Tierschutz in die Ställe zu bringen." Auch der Präsident des
Deutschen Tierschutzbundes, Thomas Schröder, kritisiert den
Referentenentwurf scharf: "Das ist eine klare Aushebelung jeder
Rechtsordnung, und zwar aus rein ökonomischen Gründen."
Der Entwurf wird nun der Europäischen Kommission zur Notifizierung
vorgelegt und muss danach im Bundesrat beschlossen werden.
Weitere Informationen finden Sie auf unter http://x.swr.de/s/10tm
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