Über 40 Prozent aller Heimbewohner, die an Demenz
leiden, erhalten dauerhaft Neuroleptika um psychische- und
Verhaltenssymptome wie Aggressivität, Reizbarkeit und Unruhe zu
lindern. In ihrem aktuellen Studien-Check zeigt die Stiftung
Gesundheitswissen (SGW), dass der Schaden den Nutzen bei zwei der
häufig eingesetzten Neuroleptika bei Alzheimer-Demenz nach aktuellem
Stand der Forschung insgesamt überwiegt.
Untersucht wurde im Studien-Check die wissenschaftliche Beweislage
zum Nutzen und Schaden der Neuroleptika Haloperidol und Risperidon
bei Alzheimer-Demenz. Eingang in die Untersuchung fanden insgesamt 11
randomisiert-kontrollierten Studien (RCTs). Das Ergebnis: Sowohl bei
Haloperidol als auch bei Risperidon überwiegt nach aktuellem Stand
der Forschung der Schaden den Nutzen. Mit Nutzen ist in diesem
Zusammenhang die Verbesserung der Symptome gemeint, mit Schaden das
Auftreten von Nebenwirkungen der Medikamenteneinnahme.
Inwiefern kann die Einnahme von Risperidon oder Haloperidol
Menschen mit Demenz schaden?
In fünf der sechs berücksichtigten Studien zum Nutzen und Schaden
von Risperidon haben die Patienten und Patientinnen, die Risperidon
erhielten, deutlich mehr Nebenwirkungen als diejenigen, die ein
Scheinmedikament bekamen. Auch in den fünf Studien zum Nutzen und
Schaden von Haloperidol haben die Patienten und Patientinnen, die
Haloperidol erhielten, mehr Nebenwirkungen, als diejenigen, denen ein
Scheinmedikament verabreicht wurde. Dabei handelt es sich um
vermehrte Muskelanspannungen, Gang- und Sprachstörungen sowie
Händezittern. Die Symptome ähneln denen von Patienten und
Patientinnen, die unter der Parkinsonkrankheit leiden. Fünf Studien
registrierten mehr Todesfälle in der Risperidon-Gruppe.
Wie sind diese Ergebnisse einzuschätzen?
Zwar sind die zu diesem Thema bisher vorhandenen Studien nicht
frei von Mängeln oder es ist unklar, ob sie fachgerecht durchgeführt
wurden. Das schränkt die Zuverlässigkeit der Ergebnisse ein. Alles in
allem zeigt der Studien-Check der Stiftung Gesundheitswissen jedoch,
dass der Nutzen von Haloperidol und Risperidon zur Behandlung von
Verhaltenssymptomen und psychischen Beschwerden bei
Alzheimer-Patienten gering ist und die Nebenwirkungen beträchtlich
sind. Bereits 2013 kamen die Autoren eines Cochrane-Reviews nach der
Durchsicht von insgesamt 13 Studien zu dem Schluss, dass es keinen
Unterschied macht, ob ältere Menschen mit Demenz eine
Neuroleptika-Therapie (nach einer Einnahmezeit von mindestens drei
Monaten) absetzen oder fortführen. Auch nach dem Update der
Cochrane-Meta-Analyse von 2018 erweist sich ein Beibehalten der
Neuroleptika-Therapie lediglich für bestimmte Gruppen als
vorteilhaft, z. B. für Patienten mit schweren Symptomen. "Angesichts
dieser Ergebnisse sollte der weit verbreitete, dauerhafte Einsatz von
Neuroleptika bei Menschen mit Demenz hinterfragt werden," fordert Dr.
Ralf Suhr, Vorstandsvorsitzender der Stiftung Gesundheitswissen. Dies
verstoße auch gegen die Leitlinien, so Suhr.
Mit dem aktuellen Studien-Check der Stiftung Gesundheitswissen
können auch pflegende Angehörige gemeinsam mit dem Arzt eine gute
Lösung für die Behandlung des von ihnen betreuten Menschen mit Demenz
finden.
- Direkt zum Studien-Check Haloperidol: http://ots.de/9q87z9
- Direkt zum Studien-Check Risperidon: http://ots.de/5C1DK7
Hintergründe zum Studien-Check "Neuroleptika bei
Alzheimer-Demenz":
Wie ist die Stiftung Gesundheitswissen bei ihrer Analyse
vorgegangen?
Ausgangspunkt des Studien-Checks bildete eine breite,
systematische Literaturrecherche in den relevanten Datenbanken.
Gesucht wurde nach randomisiert-kontrollierten Studien (RCTs) und
Meta-Analysen aus RCTs, die zur Fragestellung passten. Anhand vorher
festgelegter Kriterien wurde die vorgefundene Literatur von zwei
Personen unabhängig voneinander gesichtet und geprüft. Nicht
geeignete Studien wurden dabei ausgeschlossen. Aus den am Ende
ausgewählten Studien wurden die Informationen zu Nutzen und Schaden
entnommen, geprüft und zu einem Gesamtergebnis zusammengeführt
(Evidenzsynthese). Berücksichtigt für die Einschätzung des Nutzens
und Schadens von Risperidon und Haloperidol bei Menschen mit
Alzheimer-Demenz wurden randomisiert-kontrollierte Studien (RCTs),
die die Einnahme von Risperidon bzw. Haloperidol der Verabreichung
eines Scheinmedikaments (Placebo) gegenüberstellten. Bei der
Untersuchung von Risperidon fanden fünf Studien Eingang in die
Analyse, bei Haloperidol waren es insgesamt sechs. Der aktuelle
Studien-Check entstand in Zusammenarbeit mit ausgewiesenen
Demenz-Experten des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE).
Ausführliche Informationen zur Arbeitsweise der Stiftung
Gesundheitswissen finden Sie in unserem "Methodenpapier zur
Erstellung und Evaluation von evidenzbasierten
Gesundheitsinformationen".
Wie entstehen psychische und Verhaltenssymptome bei Menschen mit
Demenz?
Psychische Probleme und Verhaltenssymptome entstehen, weil es
durch eine Demenz zu Schädigungen und Fehlfunktionen des Gehirns
kommt. Dabei ist vor allem die Weiterleitung von Signalen im Gehirn
durch Botenstoffe gestört. Ausgelöst werden die Symptome zumeist
dadurch, dass sich Umweltbedingungen ändern, wie beispielsweise die
Wohnumgebung, der Geräuschpegel oder die Kommunikation mit den
Erkrankten.
Auszug aus der S3-Demenz-Leitlinie zu Neuroleptika
(Antipsychotika): "55 Die Gabe von Antipsychotika bei Patienten mit
Demenz ist wahrscheinlich mit einem erhöhten Risiko für Mortalität
und für zerebrovaskuläre Ereignisse assoziiert. Es besteht
wahrscheinlich ein differenzielles Risiko, wobei Haloperidol das
höchste und Quetiapin das geringste Risiko hat. Das Risiko ist in den
ersten Behandlungswochen am höchsten, besteht aber wahrscheinlich
auch in der Langzeitbehandlung. Es besteht ferner wahrscheinlich das
Risiko für beschleunigte kognitive Verschlechterung durch die Gabe
von Antipsychotika bei Demenz. Patienten und rechtliche Vertreter
müssen über dieses Risiko aufgeklärt werden. Die Behandlung soll mit
der geringstmöglichen Dosis und über einen möglichst kurzen Zeitraum
erfolgen. Der Behandlungsverlauf muss engmaschig kontrolliert werden.
Empfehlungsgrad A, Evidenzebene Ia und III"... (S. 72,
http://ots.de/yROfhl)
Der Studien-Check ist Teil einer multimedialen
Informationskampagne der Stiftung Gesundheitswissen (SGW) und des
Zentrums für Qualität in der Pflege (ZQP) zur Woche der Demenz.
Über die Stiftung Gesundheitswissen:
Die gemeinnützige, operative Stiftung Gesundheitswissen mit Sitz
in Berlin will die Kompetenz von Menschen in Deutschland im Hinblick
auf Gesundheit und Prävention stärken und die Informationsasymmetrien
zwischen Arzt und Patient abbauen. Dazu erstellt sie u.a.
laienverständliche Gesundheitsinformationen auf Grundlage aktueller
wissenschaftlicher Erkenntnisse, zeigt Präventionsmöglichkeiten sowie
Behandlungsalternativen auf und fördert das Gesundheitswissen im
Allgemeinen. Stifter ist der Verband der Privaten
Krankenversicherung.
Pressekontakt:
Una Großmann
Leiterin Kommunikation
una.grossmann@stiftung-gesundheitswissen.de
T +49 30 4195492-20
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